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Lohr
Nach Tötungsdelikt in Lohr: Warum werden Kinder und Jugendliche zu Tätern, Herr Romanos?
Ein 14-Jähriger ist in Lohr getötet worden: Was sind mögliche Hintergründe für solch eine Tat? Nachfrage bei Marcel Romanos, Direktor der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie.
In Lohr am Main ist die Trauer groß: Ein 14-Jähriger ist in der Nähe des Nägelsee-Schulzentrums mutmaßlich von einem Gleichaltrigen getötet worden.
Foto: Fabian Gebert | In Lohr am Main ist die Trauer groß: Ein 14-Jähriger ist in der Nähe des Nägelsee-Schulzentrums mutmaßlich von einem Gleichaltrigen getötet worden.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:42 Uhr

Nach dem Tod eines 14-Jährigen in Lohr am Main (Lkr. Main-Spessart) sind Entsetzen und Trauer in der 15.000-Einwohner-Stadt groß. Die Polizei geht davon aus, dass ihn ein gleichaltriger Mitschüler mit einem Schuss aus einer Pistole getötet hat. Der mutmaßliche Täter war offenbar an die Waffe eines 66-Jährigen gelangt.

Wie aus der Polizeistatistik hervorgeht, sind derartige Verbrechen unter Kindern äußerst selten. Trotzdem macht diese Tat gerade Kindern und Jugendlichen Angst.

Wie geht man mit der Angst um? Wie spricht man mit Kindern und Jugendlichen über derartige Straftaten? Warum tut jemand so etwas Furchtbares? Nachfrage bei Prof. Dr. Marcel Romanos, Direktor der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In Lohr ist ein 14-Jähriger gestorben, vermutlich getötet von einem gleichaltrigen Jungen. Das macht fassungslos. Und es ist auch beängstigend. Wie schätzen Sie diesen Fall ein?

Dr. Marcel Romanos: Generell kann man sagen, dass es bei Aggression unter Kindern und Jugendlichen sehr selten zu Todesfolgen oder gar zu gezielten Tötungsdelikten kommt. Wenn das allerdings passiert, ist es umso schockierender. Aber natürlich gibt es Aggression, Gewalt und Verletzungen auch unter Kindern und Jugendlichen, das ist Teil unserer menschlichen Natur. 

Professor Dr. Marcel Romanos ist Direktor der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Foto: Johannes Kiefer | Professor Dr. Marcel Romanos ist Direktor der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Auch im oberfränkischem Wunsiedel wurde vor ein paar Wochen ein 10-jähriges Mädchen vermutlich von einem 11-Jährigen getötet. Nehmen Gewalttaten unter Kindern und Jugendlichen zu?

Romanos: Statistisch betrachtet sind es trotzdem nicht viele Fälle. Ich würde nicht von einer Welle sprechen. Es sind extrem seltene Einzelfälle, die bestimmte Konstellationen haben. Wir können durch diese Fälle keine Rückschlüsse auf die Entwicklung der gesamten Gesellschaft ziehen.

Der 14-jährige Getötete war Schüler, sein Platz wird nun für immer leer bleiben. Wie können Eltern ihre Kinder darauf vorbereiten? Sollten sie das überhaupt thematisieren?

Romanos: Nicht darüber zu sprechen ist nicht die Lösung. In der Schule werden wirklich alle Schülerinnen und Schüler davon erfahren. Wir haben die glückliche Situation, dass wir in der Region ein gut ausgebautes schulpsychologisches System haben. Es werden sicher sehr fähige Kolleginnen und Kollegen vor Ort sein und Gesprächsangebote machen und Hilfe anbieten.

Was raten Sie den Eltern vor Ort?

Romanos: In der Familie ist es wichtig, den Kindern zuzuhören und ihre Fragen ehrlich zu beantworten. Wichtig ist es, keine Ängste zu schüren. Man sollte Kindern nicht vermitteln, dass es so gefährlich geworden ist, dass man sich nicht mehr auf die Straße trauen kann. Besser ist es, für die Kinder einfach da zu sein, ihnen zuzuhören und sie aufzufangen.

Wie bemerkt man, dass das ein Kind Probleme mit Gewalt hat?

Romanos: Praktisch jedes Kind hat einmal Aggressionen und übt auch mal Gewalt aus. Es ist normal, dass es zu körperlichen Konflikten zwischen Kindern kommt. Es ist eine Entwicklungsaufgabe, aggressive Impulse im Griff zu haben und kontrollieren zu können. Nicht jede Form von Gewalt ist gleich. Viele impulsive Gewalttaten im Jugendalter – auch unter Drogen- oder Alkoholeinfluss – sind stark emotional getriggert. Oft geht es um Beziehungsprobleme, Eifersucht oder Enttäuschungen. Auch die hormonellen Veränderungen in der Pubertät lassen die Aggressionsneigung zunehmen.

Ganz klar kann man sagen: Wer in der eigenen Familie Gewalt erlebt, wird häufiger auch anderen gegenüber gewalttätig, da Gewalt als legitimes Mittel gelernt wird. Das kann dann bis hin zu einer krankhaften Störung des sozialen Verhaltens führen.

Das deutsche Strafrecht sieht vor, dass Kinder unter 14 Jahren nicht strafrechtlich belangt werden können. Finden Sie das richtig?

Romanos: Durch Fälle wie diesen in Lohr kommt sicher die Diskussion um die Strafmündigkeit wieder auf. Gefängnisstrafen für Kinder einzuführen, das wäre völlig verfehlt. Wir haben es hier mit Einzelfällen in besonderen Situationen zu tun. Ich kenne nun nicht die Details oder den Hintergrund dieser Tat, aber ein Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter in Lohr wird vermutlich nach Jugendstrafrecht geführt. Hier spielt neben der Strafe immer die Frage der Erziehungsmöglichkeiten ein Rolle.

In Lohr gibt es verschiedene Gesprächs- und Hilfsangebote, zum Beispiel in der Ambulanz des Bezirkskrankenhauses in Lohr. Dort kann man einen Termin vereinbaren unter Telefon (093 52) 503 14011 (immer zwischen 8 und 16 Uhr). Das Krisennetzwerk Unterfranken ist rund um die Uhr erreichbar unter der kostenlosen Telefonnummer (0800) 655 3000.

 
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