Es fällt Ihnen gewiss auch auf: Manche Fotos zu Texten sind nicht aktuell, sondern dem Archiv entnommen. Mit möglichst passenden Motiven wird visuell auf ein Thema aufmerksam gemacht, gelegentlich auch indem man mit einer Assoziation, einer gedanklichen Verknüpfung, hinführt. Man spricht dann generell von Symbolfotos. Häufig wird bei zeitnah verbreiteten digitalen Meldungen ersatzweise darauf zurückgegriffen. Denn Illustrationen zu journalistischen Beiträgen sollen nicht fehlen, sie schaffen Aufmerksamkeit. Die ist über die Reichweite digital messbar.
Illustrationen liefert das Redaktionsarchiv per Stichwort
Es gibt Ereignisse, zu denen liegt der Redaktion eben kein Foto vor - etwa dann, wenn sie erst bevorstehen. Die illustriert man dann gerne mit vergleichbaren früheren Aufnahmen. Oder nehmen wir Unglücksfälle und Polizeieinsätze: Kaum passiert, schon werden sie digital verbreitet. Dann fehlen häufig noch Bilder. Geeignete Illustrationen liefert sofort das reichhaltige Redaktionsarchiv per Stichwort. Allgemeine Darstellungen von Polizei- oder Feuerwehrautos mit Signallicht bieten sich allemal an. Aber Achtung, dass danach nicht alle Bilder gleich aussehen. Davor warnt die Profifotografin Christina Czybik. Und gibt selbst das Archiv zu eigenen Recherchen von Journalistinnen und Journalisten nichts her, wird schon mal eine Szene für die Kamera nachgestellt.
Redaktionen, die so illustrieren, tragen Verantwortung für journalistische Glaubwürdigkeit. Sie dürfen damit ebenso wenig übertreiben oder verzerren wie mit Schlagzeilen oder Texten. Dazu kommt ein absolutes Muss: Unterzeilen müssen kennzeichnen, wenn es sich um ein Symbolbild oder eine gestellte Szene handelt. Diese eherne Grundregel schreibt der Pressekodex in Richtlinie 2.2 vor. Auf verzerrte Bilddarstellungen, die nachweislich zum Nachteil von Personen geführt haben, können durchaus rechtliche Konsequenzen folgen.
Ein krasser Widerspruch von Bild und Text bei einem Artikel
Ohne solche Konsequenzen blieb ein redaktioneller Fehlgriff, der mich zu diesen erklärenden Zeilen veranlasst hat. Darum ging es: Bei einer Verpuffung entstand in einer Firma in Main-Spessart eine Stichflamme, kein Brand. Es gab Verletzte. Zu sehen war bildbestimmend aber ein Flammeninferno, gegen das zwei Feuerwehrleute mit Schlauch ankämpfen. Ein krasser Widerspruch von Bild und Text.
Es handelt sich dabei um ein altes Bild aus dem Archiv, noch dazu ein denkbar ungeeignetes. Zudem wurde nicht wie vorgeschrieben erklärt, dass es ein Symbolbild gewesen ist. Die Nachricht wurde so übertrieben befeuert. Kein Wunder, dass ein Leser bei mir die Seriosität dieser Zeitung in Frage gestellt und ihr Sensationslust und "Bildzeitungsstil" vorgeworfen hat.
Das beanstandete Foto wurde ausgetauscht
Diese maßlose virtuelle Übertreibung wurde kurz darauf im Online-Angebot dieser Zeitung gegen ein Blaulichtfoto der Polizei ausgetauscht. Digital ist dieses schnelle Einlenken einfach. Gedruckt auf Papier erschien das kritisierte Symbolfoto erfreulicherweise nie.
Auf Bilder aus dem Krieg gehe ich hier ausdrücklich nur kurz ein. Archivfotos für aktuelles Geschehen in der Ukraine einzusetzen, scheint redaktionell nicht angeraten. Die derzeit auffällig sparsam veröffentlichten Kriegsfotos erhalten zuweilen eine Erklärung in der Unterzeile. Fotos, angeboten von Presseagenturen, die nach strengen journalistischen Grundsätzen arbeiten, wie die Deutsche Presseagentur (dpa) oder Associated Press (ap), sind meist erklärt. Ihnen darf man in Redaktionen mehr Vertrauen schenken, selbst wenn man sich für mögliche Wirkungen von Bildern der eigenen Verantwortung bewusst sein sollte.
Wenn Einordnungen zwingend sind
Die Herkunft so mancher anderer Aufnahmen aus dem lokalen Alltag müssen Journalistinnen und Journalisten der Leserschaft aber unbedingt redaktionell erklären. Besonders dann, wenn sie Pressestellen für ihre Auftraggeber geliefert haben. Deren PR-Texte sind mittlerweile bei dieser Zeitung gut gekennzeichnet. Aber auch bei den dazu veröffentlichten Bildern sind Quellenangabe und Einordnung zwingend. Sie sind ein Teil der Nachricht, der zum Verständnis der Motive und zur Glaubwürdigkeit beiträgt.
Als Leserin und Leser mögen Sie erkennen: Bilder verdienen oft mehr Aufmerksamkeit als nur angeschaut zu werden.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
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Feb. 2022: "Wie die Kritik eines Leser zu neuen Fotos geführt hat"
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