
Pressefotografen sollen wirklichkeitsnahe Fotos liefern, solche, die das in Worten geschilderte Geschehen ins Bild setzen und das oft auch dann noch, wenn alles vorbei ist. Folglich müssen oft im Nachhinein Szenen nachgestellt oder symbolische Motive fotografiert werden, wenn sich geeignete Illustrationen nicht im Archiv finden. Das ist nicht immer ganz einfach und kann Verpflichtungen mit sich bringen.
Das Beispiel
Beispiel: Am 2. Juli lautete eine Überschrift, "An den Schulen herrscht große Betroffenheit". Im Artikel ging es darum, dass die Messerattacke in Würzburg, bei der drei Menschen starben und sieben weitere verletzt wurden, auch an Schulen ein Thema war. Kriseninterventionsteams waren dort eingesetzt. Dieser Text sollte illustriert werden.
Die Idee
Bilder von Verantwortlichen der Schulen, die meist bekannt sind, wollte man nicht zum wiederholten Male zeigen. Der Bildberichterstatter setzte stattdessen eine gute Idee um: Eine Schülerin legte für das Foto Blumen an der am Barbarossaplatz entstandenen Gedenkstätte nieder. Denn auch Kinder waren Zeugen der Messerattacke geworden. Die Aufnahme mit dem Mädchen entstand dann vor Ort nach Anweisungen des Fotografen.
Die Zeugin
Die Aufnahme verunsicherte Frau K.S. Sie teilt mit, dass sie mit ihrer in der Schule vorbereiteten Enkelin an der Gedenkstätte gewesen sei. Als sie das Bild dann in der Zeitung entdeckte, hat sie in der Redaktion mal nachgefragt, ob alles in Ordnung gewesen ist. Dass man das nicht immer sagen kann, hatte sie zuvor nämlich schon in anderen Veröffentlichungen gelesen.
Ich halte fest: Im vorliegenden Fall war mit der Aufnahme alles in bester Ordnung.
Der Schönheitsfehler
esNur ein Schönheitsfehler ist bei der Veröffentlichung aufgetreten. Es wurde versäumt, dem Foto in der Zeitung hinzuzufügen, dass es gestellt war, weil die darauf sichtbare Aktion nach Anweisungen des Fotografen zustande gekommen ist. Die Zeile unter dem Foto aber lautete nur: "Ein Mädchen legt am Ort der Bluttat am Barbarossaplatz in Würzburg Blumen nieder. Auch Schüler waren unter den Augenzeugen des Messerangriffs."
Was der Pressekodex sagt
Pressekodex, Richtlinie 2.2, sagt verpflichtend: "Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten. So sind Ersatz- oder Behelfsillustrationen (gleiches Motiv bei anderer Gelegenheit, anderes Motiv bei gleicher Gelegenheit etc.), symbolische Illustrationen (nachgestellte Szene, künstlich visualisierter Vorgang zum Text etc.) und Fotomontagen oder sonstige Veränderungen deutlich wahrnehmbar in Bildlegende bzw. Bezugstext als solche erkennbar zu machen."
Gesetzliche Notwendigkeit
Aber es gilt nicht nur den Pressekodex zu beachten. Gesetzlich notwendig war aktuell im vorliegenden Fall natürlich auch, dass Erziehungsberechtigte des Kindes mit der Aufnahme und ihrer Veröffentlichung einverstanden gewesen sind. Was selbstverständlich der Fall war. Diese Zustimmung ist bekanntlich unerlässlich, wenn Minderjährige im Bild sichtbar werden.
Danke sage ich Frau K.S., die mir mit ihrer Nachfrage Gelegenheit gegeben hat, eine journalistische Verpflichtung auch der Leserschaft transparent zu machen. Könnte ja auch sein, dass Sie ebenfalls mal zum Zeugen oder Beteiligten einer solchen Aufnahme werden.
PS.: Bei der eingangs verlinkten Online-Fassung des Berichtes ("An den Schulen herrscht ...") findet sich das Bild mit der Schülerin nicht mehr. Das Bild wurde von der Redaktion ausgetauscht.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema Fotos:
2011: "Die Wahrhaftigkeit von Bildern und Lieblingsgerichte auf dem Festtagstisch"
2016: "Das fotografische Missverständnis mit den armen Kindern aus Schweinfurt"
2017: "Die Maus im Brot und der Horror einer Leserin"