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LESERANWALT
Leseranwalt: Wenn eine politische Analyse wie die Legende zum "heiligen Robert" wirkt
Ein Leser hat einen Beitrag zu Robert Habeck kritisch auseinandergenommen. Für den Leseranwalt ein Beispiel, welch diverse Botschaften man aus einem Artikel lesen kann.
'Der, der Sturm erntet': Unter dieser Überschrift und mit diesem Bild erschien in der Main-Post am 27. Januar eine politische Analyse zu Robert Habeck. 
Foto: Montage Main-Post/Foto Boris Roessler, dpa | "Der, der Sturm erntet": Unter dieser Überschrift und mit diesem Bild erschien in der Main-Post am 27. Januar eine politische Analyse zu Robert Habeck. 
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 22.04.2024 11:26 Uhr

Es hängt bekanntlich stark vom eigenen Standpunkt beziehungsweise der eigenen Parteineigung ab, welche unterschiedlichen Botschaften aus Artikeln empfangen werden können. Das belegen wissenschaftliche Studien. Doch überzeugender sind eigene Wahrnehmungen. Hier die von Leser B.H. zu einer ganzseitigen politischen Analyse, die Robert Habeck in den Mittelpunkt stellt. Sie erschien in der Zeitung von 27. Januar unter dem Titel "Der, der Sturm erntet".

Herr B.H. nimmt den Beitrag auseinander, konkret, Punkt für Punkt. Die Online-Fassung der Augsburger-Allgemeine könnte bei ihm mehr Gnade finden: Sie erkennt in Habeck den Buhmann der Ampel.

Leser zitiert aus"mittelalterlicher Legende": mehr als Lobhudelei

Hier nur einige der von B.H. ausgewählten, für ihn kritikwürdigen Passagen aus dem Beitrag in den Main-Post-Ausgaben. Schon den Titel empfindet der Leser als poetisch, er steht für ihn über einer "mittelalterlichen Legende" vom "Heiligen Robert".

Er zitiert daraus: "... schon schlägt ihm geballter Hass entgegen", "die Wut <...> trifft den Wirtschaftspolitiker mit voller Wucht", "nach dem härtesten Jahr seiner erstaunlichen Laufbahn", "bedankt sich höflich für die Frage", "bleibt äußerlich ungerührt", "lebt den Sport, bei dem es hart zur Sache geht" und "bezieht all die Prügel". "Typisch für Märtyrer" lautet eine seiner durchaus nachvollziehbaren individuellen Assoziationen. Er hält das alles unterm Strich für mehr noch als Lobhudelei.

In der Analyse ein "tragisches Kapitel politischer Literatur"

Gleichermaßen verständlich wäre eine Leser-Reflexion, in der der Bundeswirtschaftsminister als negativ dargestellt erscheint. Denn wer "Sturm erntet, wird zuvor wohl Wind gesät haben". Siehe Heizungsgesetz. Die Wucht von Wut und Hass oder Prügel, die entspringt halt eigenem Versagen, können Kritiker feststellen. Kurzum, sie wären wohl zufrieden mit der Analyse als  "tragisches Kapitel politischer Literatur".

Ärgerlicher, unsachlicher Beitrag oder empathische Betrachtung?

Die Spannweite der Empfindungen ist groß. Denkbar sind auch andere, zufriedene Reaktionen: "Endlich Verständnis für Habeck, der allenthalben Prügel bezieht." Fazit solcher Habeck-Freunde: eine empathische Betrachtung der Situation.

Doch bei B.H. erntet der Artikel titelgerecht Sturm. Er habe "Schlagseite" und gebärde sich nur sachlich. Es handle sich aus seiner Sicht um Journalismus, der sich von Sachlichkeit und Neutralität verabschiedet hat. Hätte man sich offen zur Werbung für den umstrittenen Politiker bekannt, wäre von ihm nichts dagegen einzuwenden, meint er.

Auch Beschreibungen sind subjektiv: Kennzeichnung von Analysen empfohlen

Weil Situationsbeschreibungen immer subjektive Betrachtungen zugrunde liegen, würde ich aber die direkte und verständliche Kennzeichnung als "Analyse" empfehlen, wie ich es bereits getan habe. Vielleicht könnte auch das unseren Leser B.H. zufriedenstellen. 

Ich habe Herrn B.H., dessen Sicht auf den Artikel ich zumindest verstehe, eine redaktionelle Betrachtung entgegengehalten. Denn eine Analyse der Bundesregierung, die Habeck zum roten Faden macht, wird in Medien nicht wie nüchterne Nachrichten oder wie in einer Enzyklopädie präsentiert.

Feature aus der Perspektive namentlich genannter Autoren

Gerade die gedruckte Zeitung bedarf der Abwechslung in visueller Welt. So entstand ein sogenanntes Feature. Das fordert die Perspektive namentlich genannter Autoren heraus, bietet Elemente der Reportage und erlaubt sprachliche Freiheiten. Was dann immer Leserinnen oder Leser dazu empfunden mögen: Werbung ist es keine - und war es auch im vorliegenden Fall nicht.

Entscheidend ist: Schilderungen sind von Fakten abgeleitet

Es handelt sich bei der Darstellung der Analyse um legitimen Journalismus. Dafür entscheidend ist: alle Schilderungen, Vergleiche oder literarische Anklänge sind von Fakten abgeleitet. Analysierende Teile sind als solche erkennbar. Nicht nur Leser B.H., dem ich für konstruktive Offenheit danke, wird sich in seiner demokratischen Haltung, aber ohnehin wenig beeinflussen lassen. Ganz abgesehen davon, wird jeder und jede auch auf Beiträge stoßen, die zufrieden stimmen. Der Wert einer Zeitung lässt sich eben nicht an einem einzelnen Erscheinungstag messen.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Journalismus-Kritiken:

Juli 2023: "Was eine Studie dazu sagt, ob Journalismus einseitig 'rot-grün' oder eher konservativ ist"

Sept. 2022: "Wenn ein 'Bericht' über Sarah Wagenknecht und die Linken eigentlich eine Analyse ist"

Feb. 2022: "Wenn die "Spaltung" in der Schlagzeile den Trennungsgrundsatz trifft"

Jan. 2022: "Vom 'Jungspund' Friedrich Merz und den Schwächen einer Überschrift"

Dez: 2020: "Warum ich auf das Wohl eines nachdenklichen Lesers anstoßen muss"

Jan. 2016: "Der Wert einer Zeitung ist nicht an einem Erscheinungstag zu ermessen"

 
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