Tiefe Einblicke in die bunte Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens sind der Stoff, aus dem Boulevard-Medien bestehen. Lokale Tageszeitungen handeln sich gelegentlich Kritik ein, wenn sie daraus schöpfen. Doch das gehört dazu.
Hier zwei ganz unterschiedliche Beispiele dafür: „Ihre Redaktion hat wohl sauere Gurkenzeit“ (Steht für die Zeit, in der wenig los ist, meist Urlaubszeit), mutmaßte jüngst ein Leser. Grund: Maria, die Tochter der früheren Würzburger Oberbürgermeisterin, Pia Beckmann, war beim Joggen mit Vater im Würzburger Lokalteil abgebildet. Nun hat sich der Beckmann-Spross selbst schon einen bemerkenswerten Bekanntheitsgrad erworben. Nicht nur in dieser Zeitung. Dafür sorgte die lang anhaltende TV-Präsenz in Heidi Klums Topmodelsuche in Pro7. Folglich war das zunehmend prominente Töchterlein nicht zum ersten Mal im Lokalteil vertreten, als sich der Papa an seiner Seite für den New York-Marathon vorbereitete.
Zugegeben, das ist auf den ersten Blick ohne Tragweite. Niemand hätte die Mitteilung vermisst, wäre sie nicht erschienen. Nicht wenige Persönlichkeiten, vor allem Politiker, hätten sich mit ihren Aktivitäten an Beckmanns Stelle in der Zeitung als wichtiger erachtet.
Zweites Beispiel: Vorwürfe erreichten uns, weil die Redaktion verbreitete, dass ein Mann nächtens splitternackt (wohl Folge einer Wette) von der Polizei aufgegriffen wurde. Die war alarmiert worden, von einer erschrockenen Autofahrerin. Im Internet schreibt ein Kritiker ironisch: „Das nenne ich hochwertigen Journalismus. Armes Würzburg.“ Ein anderer erhebt sich ebenfalls online über diese Nackten-Meldung: „ . . . die Lokalpresse delektiert sich zum Ergötzen der katholisch-verklemmten Leserschaft ausgiebig am vermeintlichen Tabubruch, der an anderen Orten nur noch amüsierte Bemerkungen provozieren kann.“
Ja, als Meinung respektiere ich sogar das. Urteilen und gleich über die lokalen Leser herziehen, das konnten diese Schreiber aber nur, weil berichtet wurde – über den Nackten. Das „Delektieren“ kann ich nicht nachvollziehen. Der Text war streng nachrichtlich gehalten.
Festhalten will ich aber: Der Auftrag der Medien schließt die Verbreitung derartiger Vorfälle ein. Das Bundesverfassungsgericht hat das in Entscheidungen bestätigt. Als winzige unterhaltende Mosaiksteinchen können sie dazu beitragen, unsere Gesellschaft als Ganzes zu verstehen. Sie glänzen zwischen Politik- und Wissensvermittlung. Sie tragen sogar zur Meinungsbildung bei. Leser darf man getrost für so mündig halten, sie angemessen zu bewerten.
Kunterbuntes gehört dazu. Auch seichten Stoff in Boulevardblättern deckt die Freiheit der Presse, wenn er keine Rechte verletzt. Natürlich bleibt es jedem Leser unbenommen, über den nächtlichen Nackten in der Zeitung den Kopf zu schütteln. Wir wissen aber, Lokalkolorit, der die besondere Atmosphäre einer Stadt oder Region erschließt, wird meist gerne gelesen. So das Beckmann'sche Joggen. Selbst die ernsthafteste Tageszeitung wäre schwer genießbar, würde sie nur Ereignisse mit Bedeutung und Tragweite verbreiten. Auch Unwichtiges ist wichtig. Und die Anwesenheit von Gesellschaft und Promis bietet die Chance, Leute an Politik und Zeitung heranzuführen, die dafür verloren scheinen.