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LESERANWALT
Leseranwalt: Ein kleiner, blauer Hinweis auf ein "Essay" in der Zeitung inspiriert zu mehr Medien-Transparenz
Deutlich zu machen, um was für einen Artikel es sich handelt, sorgt für Glaubwürdigkeit. Ein gelungenes Essay kann auch eine Lokalzeitung schmücken.
Das kleine, blaue Wort 'Essay' über der Überschrift macht deutlich, dass es sich bei diesem Artikel um eine besondere journalistische Form handelt.
Foto: MP | Das kleine, blaue Wort "Essay" über der Überschrift macht deutlich, dass es sich bei diesem Artikel um eine besondere journalistische Form handelt.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 16.06.2024 02:35 Uhr

Obwohl ihm Bedeutung zukommt, war er am 20. März in der Zeitung leicht zu übersehen: Unscheinbar und blau über einem Artikel, noch oberhalb der Überschrift, stand der Begriff "Essay". Eine erfreuliche Überraschung. Die Kennzeichnung einer seltenen Textform und ihre gelungene Ausführung.

Selbst wenn die Gefahr besteht, dass sich solche Feinheiten im Internet verlieren, hätte das "Essay" auch der Online-Fassung zugutekommen können: "Bayerns Grundschulreförmchen nach dem PISA-Desaster: Warum es falsch ist, an den musischen Fächern zu sparen". Der Text aber, der ist identisch.

Das Essay: Mit wissenschaftlichen Themen präzise und knapp auseinandersetzen

Was die Text-Form bedeutet, blieb in der Zeitung zwar unerklärt, war jedoch im Artikel beispielhaft umgesetzt. Im Wesentlichen war dieses Essay mehr als nur der "Versuch", den ihm die Übersetzungen aus dem Englischen (neben "Aufsatz" und "Abhandlung") auch mitgeben.

Dass man sich darin vorwiegend mit wissenschaftlichen und literarischen Themen präzise und knapp, aber doch anspruchsvoll auseinandersetzt, lässt sich vielen Wörterbüchern entnehmen. Und auch: Es ist unverzichtbar, dass da auch eigene Meinung einfließt. Die zeigt im angesprochenen Essay schon die Überschrift an.

Meinungsartikel müssen kenntlich gemacht werden

Folglich zählt das Essay, das eigenen Gedanken offen steht, zu den journalistischen Meinungsartikeln. Und Meinungen sind von Informationen zu trennen. Vor diesem Hintergrund hilft es, auch Mischformen kenntlich zu machen. Vorliegend ist das mit "Essay" geschehen. Ein Fortschritt, weil das in der Zeitung nicht immer der Fall ist.

Vielleicht ringen sich, inspiriert vom Essay, Redaktionen dazu durch, analysierende Beiträge ebenfalls kenntlich zu machen. Gerade die von Korrespondentinnen und Korrespondenten, die aus Nachrichten zur Situation und eigenen Erkenntnissen regelmäßig auch Schlussfolgerungen ziehen. Das Missverständnis, diese ihre Meinung sei im Bericht nicht zulässig, ist mir häufig begegnet.

Transparenz führt zu Glaubwürdigkeit

Einordnungen sind im Journalismus sinnvoll. Sie sorgen formal für Klarheit und sind Bausteine für Transparenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Auch die Vielfalt der in einem Medium gebotenen Darstellungen kann dadurch sichtbar werden. Und ich füge hinzu: Essays müssen nicht überregionalen Titeln vorbehalten sein. Sie schmücken auch Lokalzeitungen.

Dabei fördert nicht nur ihre Kennzeichnung die Medienkompetenz. Dass dadurch Medienqualität ebenfalls besser einschätzbar wird, das betont aktuell das Institut für Medienverantwortung, das vom 2. bis 10. Mai eine "Woche der Transparenz" ausgerufen hat. Was in dieser Woche gewollt ist, erklärt Institutsleiterin Sabine Schiffer: Ausgewählten Berich­ten sollten in dieser Zeit Kurzinfos vorangestellt werden: etwa "gekürzte Agenturmeldung", "Foto aus dem Archiv", "Korrespondentenbericht mit Fotos von" und dergleichen mehr. Daraus verspricht sich die Journalistik- und Kommunikationsprofessorin besseres Verstehen und den Abbau von Mythen, etwa dass die Medien beeinflusst würden.

Solche Erklärungen von Autorinnen oder Autoren zu ausgewählten Beiträgen gibt es bereits. Aber sie sind bisher eher selten. Und doch sind sie Leserinnen und Lesern in den gedruckten Main-Post-Titeln schon angenehm aufgefallen. Den Journalistinnen und Journalisten, die am 2. Mai oder direkt am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, mit Transparenz fördernden Aktivitäten beginnen, empfehle ich: Machen Sie damit danach einfach weiter.

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Weitere Leseranwalt-Kolumnen zu journalistischer Transparenz:

9. Feb. 24: "Wenn eine politische Analyse wie die Legende zum 'heiligen Robert' wirkt"

22. Sept. 22: "Wenn ein 'Bericht' über Sarah Wagenknecht und die Linken eigentlich eine Analyse ist"

21. Juli 22: "Was einem sehr guten Artikel aus Russland zur Perfektion fehlt"

21. Nov. 21: "Warum Redaktionen so transparent wie möglich arbeiten sollten"

11. Feb. 21: "Medienwissen, das Allgemeinbildung sein sollte"

11. Jun. 19: "Empfehlung für mehr Transparenz"

13. Nov. 17: "Transparenz: Baustein für Glaubwürdigkeit"

 
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Kommentare
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  • Jochen Freihold
    Klasse Kommentar wieder einmal von Mathias Wiedemann.
    "Obwohl ihm Bedeutung zukommt" - so das zusätzliche Eingangs-Zitat von Main-Post-Leseranwalt Anton Sahlender, sollte jenen in wohlverstandenem Interesse nichts hindern, mehrfache Zuschriften aus der Leserschaft zumindest zu beantworten. Kann und sollte ja künftig nur besser werden.
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