
Wird jemand gedemütigt, dann wird er gemeinhin erniedrigt, niedergemacht oder gar seiner Ehre beraubt. Für Betroffene bringt das Verb eine vernichtende Note mit sich. Die wurde nach der 0:2-Niederlage gegen Österreich der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zuteil. "Genervt und gedemütigt" lautete nach dem Spiel in Wien die Schlagzeile in der Zeitung vom 22. November 2023. Fasst möchte man fragen, geht noch mehr Herabsetzung? Ging es überhaupt um Demütigung - und wenn ja, für wen?
Zumindest "genervt" reagierte nach dem wieder mal verlorenen Prestige-Duell Deutschland. Aber kann nach einem Spiel, bei dem Siegen und Verlieren selbstverständlich dazugehören, auch von "gedemütigt" die Rede sein?
Vielleicht brachten die deutschen Spielen doch einen Hauch von Demut mit nach Wien
Menschen ohne Demut, die kann man therapeutisch demütigen. Sind die doch unbescheiden, stellen Ansprüche und wären nie zum Dienen bereit. Diese Wörterbucherklärung schließt sich gegenüber Gegnern auf dem Platz aus.
Keinesfalls sicher ist aber, ob die Gündogans und Sanés angesichts ihrer schon zuvor erlittenen schmerzlichen 2:3-Niederlage gegen die Türkei und ob der österreichischen Erfolgswelle nicht doch einen Hauch von Demut mit nach Wien brachten.
Die Spieler wollten auf dem Rasen wohl niemanden demütigen
Demütigen ist jedenfalls kein Ziel des Fußballs und nicht der von Spielerinnen und Spielern. Da werden Siege und Tore werden angestrebt, in möglichst regelgerecht geführten Matches. Und Spaß soll das Kicken machen und Zuschauerinnen und Zuschauer erfreuen. Das versucht man schon Jugendlichen mitzugeben. Diese Urbedürfnisse betonen sogar hoch entlohnte Profis, wenn sie siegreich sind. In Wien haben zumindest die österreichischen Spieler sich und ihrem Publikum großen Spaß bereitet. Demütigen wollten sie auf ihrem Rasen wohl niemanden.
Warum kann ihr Sieg als Demütigung bei Redakteurinnen und Redakteuren ankommen? Brachte er deren Ansprüche und die der deutschen Fangemeinde zum Einsturz? War doch die Rückkehr der Nagelsmann-Auswahl auf die ihr zugeordnete Erfolgsspur Richtung Europameisterschaft angepeilt. Dem sollte zuletzt Österreich im Weg stehen.
Sprachliche Demut würde auch in die Leserschaft fördernd wirken
Ich unterstelle mal, dass speziell auf Journalistinnen und Journalisten die verdiente Niederlage demütigend gewirkt haben könnte. Obwohl sie das ärgerliche Ergebnis zurecht den Verantwortlichen auf dem Fußballplatz zuschrieben, konnten sie ihr getrübtes Stimmungsbild in einer Überschrift zuspitzend loswerden.
Klar, auch zum Wortschatz von Sportjournalistinnen und Journalisten gehört Demütigung. Aber sie sollte nicht entmutigend auf Spieler als vernichtendes Ergebnis abgelagert werden. Fördernd würde da etwas eigene sprachliche Demut auch in die Leserschaft wirken.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch: Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Dazu auch die Leseranwalt-Kolumnen:
2012: "Über die Folgen eines Schönheitsfehlers in einer emotionalen Sportreportage"
2012: "Brutale Tritte und was Günter Netzer schon 2006 gesagt haben soll"
2014: "Echte Fußball-Fans nehmen beim Lesen von Spielberichten ihre Vereinsbrille nicht ab"
2016: "Die Reichweite von Lokalpatriotismus im Sportjournalismus"
2020: "Mörderischer Sprachgebrauch"
2020: "Wörter, die eine wichtige Geste stören"
2020: "Wie die Sportredaktion ihr neues Konzept erklärt"
2021: "Gut, dass 'wir' nicht mit Skispringern abstürzen"
2021: "Wie die Baskets zum Osterlamm geworden sind"