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LESERANWALT
Leseranwalt: Ohne Korrespondentinnen und Korrespondenten im Ausland verblasst in den Medien die Welt
Lokale Zeitungen und überregionale Medien berichten unterschiedlich intensiv über Ereignisse in fernen Länder. Welche Kriterien dabei entscheidend sind.
Menschen feiern und schwenken in Santiago chilenische Fahnen nachdem bekannt wurde, dass knapp 62 Prozent der Wähler des südamerikanischen Landes den Entwurf für ein neues Grundgesetz abgelehnt haben. Solche Bilder lieferte die Deutsche Presseagentur (dpa) aktuell am Tag der Abstimmung.
Foto: Karin Pozo, dpa | Menschen feiern und schwenken in Santiago chilenische Fahnen nachdem bekannt wurde, dass knapp 62 Prozent der Wähler des südamerikanischen Landes den Entwurf für ein neues Grundgesetz abgelehnt haben.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 13:40 Uhr

Als solides journalistisches Zeichen ist für die Deutschen Presseagentur (dpa) zu werten, dass am Dienstag, 6. September, in der gedruckten Ausgabe der Main-Post zu lesen war, dass in Chile eine der weltweit progressivsten Verfassungen gescheitert ist. In überregionalen Medien wurden Korrespondentenberichte dazu schneller veröffentlicht, gleich am Montag, am Tag nach dem Scheitern. Grundsätzlich verfolgen Lokalzeitungen das Geschehen auf anderen Kontinenten ja nicht sehr eng. Sie verlassen sich da überwiegend auf Agenturen und müssen selbst andere Schwerpunkte setzen. Die dpa lieferte ihren Kunden aber topaktuell Texte und Bilder auch aus Chile. 

Befürworter sind in Chile damit gescheitert, die Verfassung von Pinochets Militärdiktatur (1973-1990) abzulösen und damit die Daseinsfürsorge in Bildung, Alters- und Gesundheitsversorgung zu übernehmen und indigenen Gruppen Sonderrechte zuzugestehen. Vielen Chilenen ging das zu weit. Es sollte ein plurinationaler Staat entstehen, um das Fortbestehen kultureller Identitäten zu gewährleisten.

Bachelorarbeit vergleicht die Auslandberichterstattung von Süddeutscher Zeitung mit El País

Zu erwarten war, dass eher überregionale Medien die Nachricht und Bilder aus Südamerika verbreiten, weil die schon vorher die Entwicklung in Chile begleitet hatten. Für Lokalzeitungen kommt es da nicht auf einen Tag an.

Aufschlussreich sind aber Aspekte, die eine im Jahr 2022 am Institut für Journalistik der TU Dortmund verfasste Bachelorarbeit von Rebecca Küsters anspricht. Ihr Titel: "Der Einfluss von sprachlicher, kultureller und wirtschaftlicher Nähe auf die Auslandsberichterstattung". Die Autorin vergleicht in einer Inhaltanalyse auch quantitativ die Webseiten der auflagenstärksten Tageszeitungen Spaniens und Deutschlands, also El País und Süddeutsche Zeitung (SZ).

2003 Artikel der Zeitungen hat Küsters auf Ländernennungen analysiert. Das meistgenannte Land war dabei Mexiko, die Berichte darüber hat sie auf typische Merkmale der Auslandsberichterstattung untersucht. Laut Medienwissenschaftler Kai Hafez sind das: Politik- und Elitezentrierung, Konfliktperspektive, fehlende Wirkungszusammenhänge, Metropolenorientierung und Präsenz von Agenturen.

Nähe als ein entscheidender Faktor für die Berichterstattung

310 analysierte Artikel (276 El País, 34 Süddeutsche Zeitung) aus drei Monaten verdeutlichen gegenüber den genannten Faktoren den starken Einfluss von Nähe. Spanien steht sprachlich, kulturell und wirtschaftlich Lateinamerika näher als Deutschland. Das zeige sich vor allem bei der Berichterstattung über die wirtschaftlich starken Ländern. Die Top 5 sind in beiden Medien Mexiko, Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien. Laut World Bank sind das die Länder mit den höchsten Bruttoinlandsprodukten (BIP) Lateinamerikas. So schreibt die Autorin in ihrer Zusammenfassung: Nähe sei zwar ein entscheidender Faktor, aber nicht die Lösung aller Probleme.

Die Süddeutsche Zeitung orientiere sich als deutsches Medium stark an der Wirtschaftskraft. Berichte von El País sind beeinflusst von wirtschaftlichen Verbindungen und Migrationsströmen. Charakterisieren lassen sie sich durch Konfliktperspektive, von Eliten- und Politikzentrierung sowie Negativismus, heißt es in der Bachelorarbeit.

Die Präsenz von Korrespondentinnen und Korrespondenten bleibt wichtig

Als bedeutsam tritt aber hervor, dass El País in Mexiko eine Redaktion hat und eine digitale Ausgabe betreibt. Die Präsenz von Korrespondentinnen und Korrespondenten führt sichtbar zu einer umfangreicheren und näherer Berichterstattung. So bleibt es für solide Informationen aus aller Welt wichtig, dass nicht nur Agenturen, sondern auch Medien im Ausland Journalistinnen und Journalisten beschäftigen.

Die Zahl der Korrespondentinnen und Korrespondenten habe aber in den vergangenen Jahren ebenso wie die der Auslandsseiten und Sendeplätze - vor allem in Print- und Onlinemedien - abgenommen. Dazu komme das Schrumpfen von Budgets und Redaktionen.

Der weltweite Anstieg autoritärer Systeme erschwert die Arbeit der Journalisten

Eine Herausforderung sei auch der weltweite Anstieg autoritärer Systeme, die durch Repression und zunehmende Propaganda die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten erheblich erschweren. Das sagt eine Studie, welche die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung unter dem Titel "Das Verblassen der Welt" in diesem Jahr vorgelegt hat. Der Mediendienst Kress hat dazu zusammenfassend getitelt: "Wie sich die Kürzungen bei Auslandskorrespondenten rächen".

Betroffen sind auch lokale Zeitungen, die nach wie vor den Rest der Welt nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es geschieht so manches in der Welt, das auch für die eigene Region bedeutsam ist.

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.

Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

2008: "Die Botschaft vom falsch verstandenen Russland-Versteher"

2013: "Was in der Welt geschieht, könnte auch für die eigene Region von Bedeutung sein"

2016: "Ein Buch mit sieben Siegeln aufgeblättert: Die DPA"

2018: "Fragen und Antworten, die Fragen aufwerfen"

2019: "Empfehlung für mehr Transparenz"

2021: "Anreize zum Öffnen der eigenen Filterblase"

2021: "Was ein doppelt erschienener Leitartikel zeigt"

 
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