LESERANWALT
Das passt nicht: Huren in der Überschrift, Prostituierte im Text
Ein Wort, wie es in der Boulevardpresse vorkommt, kritisiert Herr M.M.. Ihn stört es in einer Überschrift in der Zeitung vom 8. Juni: "Zwei tote Huren, ein Täter". „Huren“ sei ehrverletzend für Frauen dieses Gewerbes. M.M. erklärt, dass viele mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und in dieses Gewerbe gedrängt würden. Handelte es sich doch bei den Opfern um eine Rumänin und eine Chinesin. Manche Frauen würden aus Verzweiflung zu Prostituierten. Und: Ohne dieses Gewerbe gäbe es mehr Überfälle auf Frauen, argumentiert Leser M.M..
Der Bericht über zwei Tötungsdelikte rechtfertigt das Wort in der Überschrift ohnehin nicht (siehe folgendes Bild). Das Wort "Hure" kommt im Text überhaupt nicht vor. Handwerklich ist es für eine Redaktion nicht gerade überzeugend, wenn „Huren“ in der Überschrift prangt, obwohl im Bericht stets nüchtern von „Prostituierten“ die Rede ist. Angesichts dieser Zuspitzung verstehe ich den Vergleich von Herrn M.M. mit „Boulevardpresse“.
Hier geht's zur Online-Fassung des Berichtes mit passender Überschrift: "Nach Mord an Prostituierten: Polizei geht von Serientäter aus"
Hier Beispiele aus "evangelisch.de"
Oder auch aus der Kopie der Seite eines alten Buches
Es lassen sich gewiss weitere Auslegungen für einen Begriff finden, der natürlich kein Tabu im Journalismus sein darf. Zutreffend eingesetzt kann er selbstverständlich gebraucht werden. Aber es gibt wohl kaum eine Begründung, die die „Huren“ in der Überschrift über dem Beitrag vom 8.6. wirklich verzeiht. Denn in der Umgangssprache wertet das Wort ab, wird oft als Schimpfwort gebraucht. Hier passt es einfach nicht und wird vom Text nicht gedeckt.
Überschriften waren schon immer ein Thema für Leser, damit auch für den Leseranwalt...
Hier eine Auswahl aus früheren Leseranwalt-Kolumnen zu Überschriften:
Unangemessene Herabwürdigung in einer Überschrift (2016)
Ein Kardinal geht in den Ruhestand, aber nicht in Rente (2016)
Trügerische Überschrift (2016)
Vom Bewusstsein für eine korrekte Überschrift im Stich gelassen (2016)
"Fette Beute" wird in der Überschrift zur Belastung für die Geschädigten (2015)
Über die Schwierigkeit, Empfindungen und die Würde des Menschen zu beurteilen (2014)
Artikel mit Selbstverständlichkeiten in der Überschrift überblättern viele Leser (2013)
Kandidaten vor der Wahl: Überschriften sollten eine klare Linie erkennen lassen (2013)
Nach Gewalttaten muss der Schutz von Opfern schon in der Sprache der Überschrift beginnen (2013).
Das falsche "Gefällt mir" in der Überschrift missfällt auch in Gänsefüsschen (2013)
Verständnis für einen schwulen Sozi und eine unverständliche Überschrift (2012)
Journalistisches Foulspiel: Der falsche Fall des Lothar Matthäus in einer Überschrift (2012)
Anton Sahlender, Leseranwalt
Das rechtfertigt der Bericht nicht
Wie dem auch sei, zumindest denke ich ebenfalls, dass die Verwendung der Bezeichnung "Huren" wenig schmeichelhaft ist. Sie ist eine Abwertung, die hier überdies für Opfer von Gewalttaten eingesetzt wird, die damit noch einmal posthum zu Opfern werden.Der Bericht über zwei Tötungsdelikte rechtfertigt das Wort in der Überschrift ohnehin nicht (siehe folgendes Bild). Das Wort "Hure" kommt im Text überhaupt nicht vor. Handwerklich ist es für eine Redaktion nicht gerade überzeugend, wenn „Huren“ in der Überschrift prangt, obwohl im Bericht stets nüchtern von „Prostituierten“ die Rede ist. Angesichts dieser Zuspitzung verstehe ich den Vergleich von Herrn M.M. mit „Boulevardpresse“.
Hier geht's zur Online-Fassung des Berichtes mit passender Überschrift: "Nach Mord an Prostituierten: Polizei geht von Serientäter aus"
Nicht abwertend gemeint
In der zuständigen Redaktion erklärt man freilich, „Huren“ sei nicht abwertend gemeint gewesen. Würden sich doch manche Prostituierte selbst so bezeichnen, sogar ein Bundesverband von ihnen (und Bordellbetreibern) benutzt diesen Begriff. Und in Gleichnissen der Heiligen Schrift, vor allem im Alten Testament, ist er ebenfalls nachzulesen, keineswegs nur im abwertenden Kontext.Hier Beispiele aus "evangelisch.de"
Oder auch aus der Kopie der Seite eines alten Buches
Kein Tabu
Es lassen sich gewiss weitere Auslegungen für einen Begriff finden, der natürlich kein Tabu im Journalismus sein darf. Zutreffend eingesetzt kann er selbstverständlich gebraucht werden. Aber es gibt wohl kaum eine Begründung, die die „Huren“ in der Überschrift über dem Beitrag vom 8.6. wirklich verzeiht. Denn in der Umgangssprache wertet das Wort ab, wird oft als Schimpfwort gebraucht. Hier passt es einfach nicht und wird vom Text nicht gedeckt.
Das Wort ist kurz
Aus redaktioneller Praxis heraus fällt mir aber doch noch eine banale Erklärung für die die „Huren“ in jener Überschrift ein: Das Wort ist kurz. Für „Zwei tote Prostituierte, ein Täter“ hätte der im Layout verfügbare Platz nicht gereicht. In der Notwendigkeit zur Kürze steckt eine Gefahr, wenn für die Zeitung unter Zeitdruck Überschriften gebastelt werden: Sie sollen mit Worten zum Lesen verführen, die müssen aber passen und stets zutreffen.Das macht noch keine Boulevardpresse
Weil die „Huren“ über einem kleinen Bericht am Fuß einer Zeitungsseite standen, macht das allerdings noch keine „Boulevardpresse“. Das Wort ist mir in den folgenden Beiträgen über die mutmaßlichen Mordfälle an den beiden Prostituieren auch nicht mehr begegnet.Überschriften waren schon immer ein Thema für Leser, damit auch für den Leseranwalt...
Hier eine Auswahl aus früheren Leseranwalt-Kolumnen zu Überschriften:
Unangemessene Herabwürdigung in einer Überschrift (2016)
Ein Kardinal geht in den Ruhestand, aber nicht in Rente (2016)
Trügerische Überschrift (2016)
Vom Bewusstsein für eine korrekte Überschrift im Stich gelassen (2016)
"Fette Beute" wird in der Überschrift zur Belastung für die Geschädigten (2015)
Über die Schwierigkeit, Empfindungen und die Würde des Menschen zu beurteilen (2014)
Artikel mit Selbstverständlichkeiten in der Überschrift überblättern viele Leser (2013)
Kandidaten vor der Wahl: Überschriften sollten eine klare Linie erkennen lassen (2013)
Nach Gewalttaten muss der Schutz von Opfern schon in der Sprache der Überschrift beginnen (2013).
Das falsche "Gefällt mir" in der Überschrift missfällt auch in Gänsefüsschen (2013)
Verständnis für einen schwulen Sozi und eine unverständliche Überschrift (2012)
Journalistisches Foulspiel: Der falsche Fall des Lothar Matthäus in einer Überschrift (2012)
Anton Sahlender, Leseranwalt
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