Ich zitiere den Leser:
„Es ist deswegen FALSCH, weil es nicht wertfrei (= wahrheitsgemäß) eine Tatsache meldet, sondern in der sprachlichen Formulierung die persönliche Interpretation einer Tatsache beinhaltet, die vom Schreiber ganz offensichtlich negativ gesehen wird bzw. negativ dargestellt werden soll.“
Nicht wertfrei
Ich stimme zu. Die Überschrift ist nicht wertfrei, so wie es eine Nachricht erfordert. Denn jemanden „im Stich lassen“ ist eine Einordnung, hier eine negative. Sie gleicht einem Vorwurf an Frankreich. Es ist davon auszugehen, dass „Frankreich“, gemeint ist die Regierung des Landes, Valls Aussagen anders bewertet.
Selbstkritisch könnte man nun formulieren: Ein Redakteur wurde von seinem Bewusstsein für journalistisch korrekte Überschriften im Stich gelassen.
Aus der Zeit der Ritterturniere
Die Redensart „im Stich lassen“ soll aus Zeiten der Ritterturniere stammen, aber erst im 17. Jahrhundert stark gebraucht worden sein. Danach bedeutet sie, dass ein Kämpfer, der seine Genossen verlässt, diese im Stich des Feindes lässt. Es handelt sich auch im aktuellen Sprachgebrauch eindeutig um eine Bewertung.
Die Überschrift ist vor allem falsch, weil sie einem Grundsatz des journalistischen Handwerks für Nachrichten nicht gerecht wird: Der Trennung von Nachricht und Meinung. Hier ist eine Nachricht mit einer Meinung überschrieben. Der Trennungsgrundsatz bleibt gültig, auch wenn am Ende der Nachricht auf Seite 1 auf einen ausführlichen Beitrag auf Seite 5 der selben Ausgabe verwiesen wird.
Der Verweis gilt einem ausführlichen Bericht („Merkel in Flüchtlingskrise zunehmend isoliert“) über europäische Reaktionen zum Ziel der Bundeskanzlerin, mittelfristig einen Teil der in der Türkei
ankommenden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf EU-Staaten zu verteilen. Aber auch der würde die Überschrift von der ersten Seite inhaltlich nicht rechtfertigen. Ganz abgesehen davon, dass ich auch hier im zuordnenden Begriff "Flüchtlingskrise" eine Bewertung sehe, die als solche nicht zulässig ist.
Platz begrenzt Überschriften
Überschriften über einer Vielzahl von Online-Beiträgen zum selben Thema sind korrekt. Beispielhaft herauszugreifen ist: Paris schließt Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus
Dazu ein technischer Hinweis: Was in der Zeitung das Überschriften-Machen besonders erschwert, ist der begrenzte Umfang, den das Layout oft vorgeben muss. Es kann aber die kritisierte Überschrift nicht rechtfertigen, dass nicht gerade viel Platz dafür zur Verfügung stand.
Wer kennt die Wahrheit?
Ist die Überschrift von Seite 1 nicht wahrheitsgemäß, wie Leser W.H. meint? Ist sie falsch? Ich denke, er geht damit sehr weit. Er kennt die Wahrheit auch nicht. Wer weiß wirklich, was Frankreich wollte? Ist das „Im-Stich-lassen“ deshalb Unwahrheit, weil Valls vielleicht glaubt, mit seiner Absage die Kanzlerin auf einen besseren Weg zu weisen? Eine Antwort darauf wird wohl noch nicht einmal die Geschichtsschreibung den Tatsachen zuordnen können.
Bedrohlich formulierte Interpretationen
Am selben Tag (15.2.) hatte ich auf Seite 2 der Zeitung geschrieben, „Journalistische Vorgaben müssen überall und immer hinter die Wahrheitspflicht zurücktreten (hier Online-Fassung)“. Das hat den Kritiker veranlasst, noch grundsätzlicher zu werden. Er erinnert sich weit zurück, bevor er mitteilt: Er sei heute für seine Familie, die schon seit dem Urgroßvater dieses Blatt sammle, dessen Käufer. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen fügt er hinzu,
die "Main-Post" unternehme in den letzten 10 bis 20 Jahren beständig und mit zunehmender Erfolgsaussicht alles ihr nur mögliche, um dies zu beenden. Eine ordentliche und wahrheitsgemässe Berichterstattung, die ihr Geld wert sei, sehe zunehmend anders aus, und das habe nichts mit "Links" und "Rechts" oder "Für" oder "Dagegen" zu tun, sondern nur mit vorurteilsfreier KORREKTER Berichterstattung.
Stimmt.... Aber nur so weit es ordentliche und wahrheitsgemäße Berichterstattung betrifft. Weitgehende Unterstellungen zum Tun der Redaktion trägt diese eine, kritikwürdige Überschrift aber nicht. Die geben einer Redaktion zu denken. Selbst wenn sie weitere Nachweise vermisst.
Anton Sahlender, Leseranwalt
die Leser zu belehren und ihnen ihre subjektive Meinung aufs Auge zu drücken.
Besonders viel nimmt sich in der heutigen Ausgabe (25.2.) ein Herr Thomas Fritz heraus, der meint, einen gewählten Volksvertreter, Herrn Nuß, belehren zu müssen, dass er "durchgreifen" muss. Nicht genug, dass wir anscheinend unmündigen Leser nicht imstande sein sollen, Berichte über irgendwelche Vorgänge oder Zustände richtig zu deuten. Jetzt soll sogar schon ein Landrat belehrt werden, was er zu tun und zu lassen hat! Das ist es, was einem zeitweise die Lektüre der MAIN POST nicht zum unbedingt angenehmsten Zeitvertreib werden lässt.