Karoline Ziegert aus Saarlouis fühlt sich getäuscht. Sie hat im vergangenen Jahr der Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen das Cello ihres verstorbenen Vaters geschenkt, der in den 1950er Jahren Cellist des Kammerorchesters des Saarländischen Rundfunks gewesen war. Unter einer Voraussetzung: Es solle damit anspruchsvolle Salonmusik gespielt werden.
Als Fan des Orchesters hatte die Stifterin vor, regelmäßig nach Bad Kissingen zu kommen, um den Klang des Instruments wieder zu erleben. "Ich hänge doch so an diesem Cello", erzählt sie. Bei der 3000 Euro teuren Restaurierung, bezahlt vom Förderverein, hatte sich herausgestellt, dass das Instrument zwischen 1790 und 1810 gebaut wurde, und, so der Geigenbauer, die "herausragende Arbeit eines großen Meisters" ist.
Nach der Entlassung von Orchesterleiter Burghard Tölke und der angekündigten "Neuausrichtung" ist Karoline Ziegert nun "bitter enttäuscht". Nach monatelangem Arbeitskampf hatte sich das Orchester Ende Oktober gegen seinen Leiter gestellt und sich mit der Staatsbad GmbH auf neue Verträge geeinigt. Ganz bestimmt habe sie das Instrument nicht gestiftet, damit es zur Trinkkur-Begleitung in der Wandelhalle eingesetzt werde, sagt Ziegert. Im Schenkungsvertrag sind keine Auflagen formuliert, Karoline Ziegert glaubt dennoch, gute Argumente für eine Rückgabe des Cellos zu haben. Sie hat ihren Anwalt eingeschaltet.
Anlass für die Schenkung sei der "Weg der Optimierung des Orchesters" gewesen, heißt es im Anwaltsschreiben an die Staatsbad GmbH. "Unsere Mandantin musste allerdings erfahren, dass dieser Weg wohl offensichtlich aufgrund der Vorkommnisse in der Vergangenheit nicht mehr möglich ist. Es liegen daher Gründe vor, die es unserer Mandantin gestatten würden, von dem Schenkungsvertrag zurückzutreten bzw. diesen anzufechten."
Ab März soll es Themen-, Wunsch- und Solokonzerte geben
Die Staatsbad GmbH, die Presseanfragen nur schriftlich beantwortet, will sich dazu nicht äußern. Auch nicht darüber, ob und wann der Klarinettist und die Flötistin wieder eingestellt werden, die trotz anerkannter musikalischer Leistungen und ohne Angabe von Gründen während der Probezeit gekündigt worden waren. Die Wiedereinstellung war in dem Schreiben in Aussicht gestellt worden, in dem das Orchester Ende Oktober das überraschende Ende des Streiks bekanntgab.
Die Neuausrichtung kündigt die Staatsbad GmbH für März 2022 an. Ab dann werde es unter anderem Themen-, Wunsch- und Solokonzerte geben. Die Arbeitsgruppe aus Vertretern von Stadt und Orchester habe außerdem die Zahl der wöchentlichen Konzerte, bislang 13, angepasst: "So wird die Staatsbad Philharmonie Kissingen ab Januar pro Woche insgesamt bei elf 75-minütigen Konzerten auf der Bühne zu sehen sein. Die derzeitige wöchentliche Spielzeit von 13 Stunden pro Woche wird damit erhalten bleiben."
Von 13 Planstellen sind im Orchester derzeit vier nicht besetzt. Das Orchester spiele selbstverständlich wie gehabt, so die Staatsbad GmbH: "Die musikalische Leitung der Konzerte erfolgt derzeit durch die musikalische Vertretung des Leiters."
Viele Hotelgäste kommen vor allem, um das Orchester zu hören
Matthias Heid, Direktor des Hotels Kaiserhof Victoria direkt am Kurgarten in Bad Kissingen, erlebt permanent, wie wichtig das Orchester seinen Gästen ist: "Seit wir im Mai wieder öffnen konnten, stellen sie zwei Fragen: Sind Schwimmbad und Sauna geöffnet? Und spielt das Kurorchester? Würde eine der Fragen mit Nein beantwortet, würden sie gar nicht erst kommen."
Etwa ein Viertel der Stammgäste komme fünf- bis sechsmal im Jahr vor allem, um das Orchester zu hören. "Die bitten darum, zu den Konzertzeiten zum Beispiel keine Kosmetik-Termine zu bekommen", erzählt Heid. Etliche Gäste hätten während des Arbeitskampfs mit demonstriert, seien mit vor das Büro der Staatsbad GmbH gezogen. "Sie haben sehr mit den Musikern und mit Burghard Tölke sympathisiert und waren nicht amüsiert, dass sich niemand von der Stadt hat blicken lassen. Da musste ich einige beruhigen."
Der Hoteldirektor sieht in der Auseinandersetzung auch einen Imageschaden für die Stadt: "Die ganze Geschichte ist nicht sehr schön abgelaufen." Ob Gäste deshalb ausbleiben werden, kann er noch nicht abschätzen. Jetzt gelte es erst einmal, die nächste Corona-Krise zu überstehen.
Einer, der erstmal nicht mehr kommen wird, ist Stammgast Rainer Furtwängler aus der Nähe von Hamburg. Dieser Tage war er nur nochmal da, um eine gestiftete Geige zurückzunehmen, die noch nicht ins Eigentum der Staatsbad GmbH übergegangen war. Furtwängler, Mitglied im Förderverein, bezeichnet sich als Hauptsponsor des Orchesters. 30 000 bis 40 000 Euro hätten allein er und ein weiterer Mäzen bisher investiert.
Einige Sponsoren haben im Förderverein einen Antrag auf Auflösung gestellt
Zuletzt habe er 7000 Euro für eine Plattenproduktion in Wien bereitgestellt. "Ich hätte noch eine Menge mehr Geld lockergemacht", sagt Furtwängler. "Wir waren ja erst am Anfang. Aber das ist alles zunichte gemacht worden." Nach der Kündigung der beiden Musiker fiel das Projekt ins Wasser. Als Burghard Tölke entlassen wurde, war für Rainer Furtwängler Schluss: "Dass man so ein tolles Orchester kaputtmacht ohne Grund, ist für mich völlig unverständlich. Wir sind alle nur noch geschockt."
Er sei vor drei Jahren auf Kur in Bad Kissingen gewesen, sagt Furtwängler. "Ich war so fasziniert vom Orchester, dass ich geheilt worden bin. Daraus hat sich auch die Freundschaft mit Burghard Tölke ergeben." Wir er seien auch andere Sponsoren der Meinung, dass das Orchester jetzt keinen Förderverein mehr brauche: "Wir haben für die Mitgliederversammlung im Dezember den offiziellen Antrag gestellt, den Verein aufzulösen."
Der Vorsitzende Kurt Rieder plädiert dafür, den Verein erst einmal passiv weiter zu verwalten: "Die Mitglieder brauchen Ansprechpartner." Die Zerfallserscheinungen sieht aber auch er: "Ich führe sehr viele Telefonate mit Mitgliedern in ganz Deutschland. Einige treten aus, andere sagen, es gebe für sie keinen Grund mehr, nach Bad Kissingen zu kommen. Es würde mich nicht wundern, wenn den Verantwortlichen die Sache noch auf die Füße fällt."
Ingrid Mellert aus Bad Tölz, die seit 2018 dreimal im Jahr nach Bad Kissingen kam, um Tölke und sein Ensemble zu hören, bringt wohl die Stimmung vieler Musikfreunde auf den Punkt: "Musiker sind leichter austauschbar, ein hervorragender Orchesterleiter jedoch nicht. Bad Kissingen, jetzt Weltkulturerbe, verliert einen Geiger, Dirigent und Publikumsmagneten, der fehlen und ein riesiges Vakuum hinterlassen wird. Ich bin nur traurig über so viel Dumm-, Stur- und Kurzsichtigkeit."