Was sich seit Monaten in Bad Kissingen abspielt, ist ein Drama, dessen letzter Akt noch nicht in Sicht ist. Die Akteure: Musikerinnen und Musiker am Rande ihrer Belastbarkeit, ein Arbeitgeber am Rande seiner finanziellen Möglichkeiten und Lokalpolitiker am Rande ihrer Geduld.
Kapitel 1: Der Auslöser des Konflikts
Die Staatsbad Philharmonie – ehemals "Kurorchester" genannt – konzertiert viel, verdient wenig und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen - idealerweise einen Tarifvertrag, auszuhandeln von der Gewerkschaft Deutsche Orchestervereinigung DOV. Große mediale Wirkung entfaltet hat dieser Kampf durch eine Protestaktion während des Festakts zur Aufnahme Bad Kissingens in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco: Dirigent Burghard Tölke trug auf der Bühne eine gelbe Weste mit der Aufschrift "Streik". Dieser Protest hat bei einigen Lokalpolitikern offenbar unheilbare Wunden hinterlassen.
Kapitel 2: Die Reaktion von Staatsbad GmbH und Gewerkschaft
Die Staatsbad GmbH, direkte Arbeitgeberin des Orchesters, weigert sich, mit der DOV zu verhandeln. Auf Anfrage heißt es schriftlich, man stelle "die Tarifzuständigkeit der DOV für die Staatsbad Philharmonie Kissingen grundsätzlich in Frage". Zu unterschiedlich seien die Verträge der einzelnen Mitglieder. Außerdem: Eine Musikerin und ein Musiker, beide noch in der Probezeit, wurden entlassen. Begründung laut Orchester: keine.
Die Frage nach dem Verhandlungsmandat sieht die Gewerkschaft anders: "Es gehört zum Kerngeschäft der DOV, maßgeschneiderte Tarifverträge zu erarbeiten, denen u.a. auch die Vereinheitlichung unterschiedlicher Vertragstypen zugrunde liegt." Das sei bei vielen Orchestern gelungen, darunter auch das Kurorchester in Bad Reichenhall oder das Georgische Kammerorchester Ingolstadt, beide in Bayern, so die DOV.
Kapitel 3: Der Lösungsvorschlag der Staatsbad GmbH
Ein "Maßnahmenpaket" der Staatsbad GmbH (Überschrift: "Wir sind ein guter Arbeitgeber – auch für das Orchester") soll eine "signifikante Verbesserung der Gehaltsstruktur bei gleichzeitiger deutlicher Stundenreduzierung" bringen: eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden, bei weiterhin 13 Konzerten. Für Orchesterleiter Burghard Tölke kein Fortschritt: "Wir sollen die gleiche Arbeit in weniger Zeit machen. Wir müssen derzeit so viel spielen, auch, weil drei Stellen nicht besetzt sind, dass unsere Körper dabei kaputtgehen. Eine Reduzierung auf neun Konzerte die Woche würde helfen."
Inzwischen hat jedes Orchestermitglied ein individuelles Vertragsangebot bekommen. Die DOV prüft auf Bitte der Musikerinnen und Musiker die Bedingungen: "Nach einer sorgfältigen Analyse werden wir dieses Angebot bewerten", heißt es von der Gewerkschaft.
Kapitel 4: Die Kritik am Gehaltsvergleich von OB Dirk Vogel
Oberbürgermeister Dirk Vogel hatte argumentiert, das Gehalt der Musiker entspreche etwa dem der Lehrkräfte an der städtischen Musikschule – wenn es auch "in den letzten Jahren offenkundig keine weitere kontinuierliche Entwicklung nach oben" gegeben habe. Diesen Vergleich findet die DOV unpassend: "Das Unterrichten von Kindern in einer Musikschule und das öffentliche Musizieren auf der Bühne sind unterschiedliche Berufsfelder. Sie gleichzustellen bedeutet, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Lehrkräfte und Orchestermitglieder arbeiten mit Musik. Die einen geben Kindern die Grundlagen weiter. Die anderen stehen täglich vor Publikum auf der Bühne und repräsentieren den Kurort Bad Kissingen, der zum Unesco-Welterbe gehört, nach außen."
Kapitel 5: Die aktuelle Stimmung unter den Beteiligten
Die DOV wirft OB Vogel und Staatsbad-Geschäftsführerin Sylvie Thormann vor, sie hätten "das Klima in der Stadt derart polarisiert und gegen das Orchester aufgeladen, dass wir eine vergiftete Atmosphäre konstatieren müssen". Weder Vogel noch Thormann sind derzeit für Anfragen zu erreichen.
Stattdessen wurde eine Pressemitteilung der Stadt mit der Überschrift "Konstruktive Atmosphäre bei Treffen von Stadt, Kurorchester und Staatsbad" herausgegeben. Man habe sich "offen und ehrlich" über die vergangenen Wochen und Monate ausgetauscht, heißt es darin. "Gemeinsam richtet sich der Blick nun in die Zukunft." Orchesterchef Burghard Tölke spricht von einem "konstruktiven Dampfablassen". Das Gespräch sei "hoffnungsvoll spannungsgeladen" gewesen. Über fachliche Aspekte sei aber nicht gesprochen worden.
Es bleibt bei den bekannten Fronten: Die Unterstützenden des Orchesters - Menschen, die bei Protestaktionen mit auf die Straße gehen, Kolleginnen und Kollegen anderer Orchester wie Nürnberg und Coburg - stehen auf der einen Seite, und diejenigen, die das Anliegen der Musikerinnen und Musiker - auch mit Hinweis auf die begrenzten finanziellen Mittel der Stadt - nicht gutheißen, auf der anderen. Die DOV dazu: "Wie angesichts eines derart bodenständigen Vorschlags bei den wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen in der Stadt der Eindruck von 'Raffgier' entstehen kann, bleibt schleierhaft. Erklären lässt sich das wohl nur mit einem völligen Verkennen der professionellen und künstlerischen Expertise und des außergewöhnlichen Engagements der Orchestermitglieder."
Kapitel 6: Die Arbeitsgruppe und wie es jetzt weitergehen soll
Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Stadt und Orchester soll jetzt Vorschläge ausarbeiten, wie die Kurkonzerte "mitarbeiterfreundlich, gästeorientiert und innovativ ausgestaltet werden können". Aus Sicht des Orchesters wäre es erst einmal das Wichtigste, dass die Flötistin Hazar Birkan und der Klarinettist Federico Kurtz de Griñó wieder eingestellt werden. "Das wäre im Sinne des Weltkulturerbes ein Zeichen von Würde", sagt Burghard Tölke, der einen richtigen Streik inzwischen nicht mehr ausschließt.
Die Musiker proben auch nach ihren 30 Stunden 'Dienst'. Neu verhandeln mit der DOV.
Weltkulturerbe, nicht am falschen Ende knausern.