"Wir möchten gerne einmal ein offenes Wort über das verlieren, was die Menschen hier erfahren und erleben", sagte Dr. Wolfram Franke, der ärztliche Direktor der Reha-Kliniken Rhön und Saale der Deutschen Rentenversicherung (DRV Bund). Nicht um Werbung für die beiden Häuser zu machen oder darauf hinzuweisen, dass im nächsten Jahr das 100-jährige Jubiläum ansteht. Sondern um einen Themenkreis publik zu machen und Schwellenängste abzubauen: die psychischen und psychosomatischen Störungen, die es in den unterschiedlichsten Ausprägungen gibt, etwa im Zusammentreffen mit diabetischen Erkrankungen. Das ist eines der Spezialgebiete der Reha-Klinik Rhön an der Kurhausstraße. Und dieses Publikmachen sollte möglichst konkret sein, gezeigt an echten Fallbeispielen.
Immer größere Anforderungen lösten die Abwärtsspirale aus
Angelika Rasch ist eine der Patientinnen, die von ihrem Werdegang erzählte. Dass sie Diabetikerin ist, hat sie vor 20 Jahren erfahren und seitdem Insulin gespritzt. So weit so gut. Aber ihr Umfeld hatte immer größere Erwartungen, stellte immer größere Anforderungen an sie. Es waren nicht nur die Kinder, sondern auch ihr Mann, der nach mehreren Schlaganfällen pflegebedürftig war, aber eine Pflegekraft von außen strikt ablehnte. Das alles musste sie vereinbaren mit ihrem Beruf, den sie unter diesen Umständen nicht aufgeben konnte. Lange gestand sie sich die Belastungen nicht ein. "Aber plötzlich wurde ich unsanft aus meiner Lebensfreude gerissen." Plötzlich war sie mit ihrer Kraft am Ende, da nützte auch das Insulin nicht mehr. "Der erste Schritt zu einem Psychologen war ein schwerer", sagt Angelika Rasch.
Der Zufall brachte sie 2012 zur Reha in die Rhön-Klinik. Die Behandlung und Betreuung waren so gut, dass sie lange anhielten. Jetzt war sie noch einmal da. Denn die 63-Jährige will unbedingt mindestens bis 65 arbeiten, wenn es geht, sogar zwei Jahre länger. "Ich kann das schaffen", ist sie überzeugt. Sie wird nicht mehr immer ja sagen. "Ich habe gelernt, dass ich die Welt nicht alleine verbessern kann." Zudem hat sie einen Arbeitgeber, der Verständnis hat und der ihr Arbeitsbereiche zugewiesen hat, die nicht mehr so stressfördernd sind. "Ich habe keine Führungsaufgaben mehr."
Wenn das Umfeld problematisch ist
"Das ist eine klassische Patientengeschichte", sagt Alexander Bauer, ihr behandelnder Arzt. Es sei wichtig, dass die Patienten lernen, auf innere Signale zu hören, um die Ergebnisse der Behandlung zu Hause möglichst lange zu halten. Bei Rainer Furtwängler liegt die Sache etwas anders. Seine Situation ist schwieriger, weil er davon ausgehen muss, dass sein Umfeld noch genauso problematisch sein wird, wenn er wieder an seine Arbeitsstelle zurückkehrt.
Er hatte eigentlich seinen Traumberuf gefunden, in dem er vollständig aufging: Rainer Furtwängler bildet U- und Straßenbahnfahrer aus. Er machte das mit großem Fachwissen und ebenso großer Empathie, war immer für seine Auszubildenden da. Der Effekt: Seine Ausbildungsgruppen schlossen bei den Abschlussprüfungen immer am besten ab - und zwar deutlich.
Das machte ihn für sein Verkehrsunternehmen zu einem außerordentlich geschätzten Mitarbeiter. Aber seine Kollegen in der Ausbildungsabteilung sahen in ihm einen unerwünschten Konkurrenten, und sie begannen ihn immer stärker zu mobben, bis seine Psyche die Notbremse zog. Sein unmittelbarer Vorgesetzter hatte es nicht für nötig gehalten, auch nur einmal wenigstens vermittelnd einzugreifen.
Frühverrentung ist keine Alternative
In der Reha hat er nicht nur gelernt, seine Depressionen in den Griff zu bekommen, sondern er hat auch Klarheit gewonnen über seine Situation. Natürlich wird er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren (müssen). Er weiß, dass er sich da trotz des üblichen Wiedereingliederungsverfahrens auf sehr dünnem Eis bewegen wird, dass seine Kollegen so weitermachen werden, wie sie vor einigen Wochen aufgehört haben. "Aber ich kann und will mich doch nicht so verändern, dass es ich es den Kollegen recht mache und mich an sie anpasse", sagt Rainer Furtwängler.
Für ihn ist sein starkes persönliches Engagement gegenüber den Auszubildenden so etwas wie eine Bringschuld - ohne Rücksicht auf Kollegen. Deshalb weiß er auch, dass er plötzlich wieder zusammenbrechen kann. Aber er hat während der Reha einen weiteren wichtigen Schritt getan: Er hat sich in diesen Wochen nach einer beruflichen Alternative umgesehen, die ihn auch erfüllen kann. Denn eine Frühverrentung scheidet auch für ihn aus. Und die Zeichen stehen gut, dass er diese sogar in Bad Kissingen findet.
Es kann schnell gehen
Was bei diesem Gespräch deutlich wurde: Es kann sehr schnell gehen, in psychische Störungen zu geraten, aus denen man ohne Hilfe von außen nicht mehr herauskommt. Aber, und das ist für die DRV wichtig: Es kann auch sehr schnell gehen, fachliche Hilfe zu bekommen. Denn das Antragsverfahren, das in der Regel mit einem Besuch beim Hausarzt beginnt und mit der Reha-Bewilligung endet - die Klinik kann sich der Patient übrigens selbst aussuchen - ist sehr kurz. Das liegt daran, dass es der DRV vor allem um die Erhaltung und Wiederherstellung von Arbeitskraft geht: Jeder Euro, der in die Reha investiert wird, bringt fünf Euro in die Wirtschaft zurück. Die Finanzierung ist kein Problem: Die DRV stellt jährlich 6 Milliarden Euro zur Verfügung - mit Tendenz nach oben angesichts der demographischen Entwicklung. Deshalb wird auch nicht die Zahl der Reha-Behandlungen für den einzelnen Patienten reglementiert.
Entsprechend groß muss die Zahl der Therapieplätze sein. Die DRV hält in ihren beiden Häusern in Bad Kissingen 350 Betten vor. Dazu kommen 38 Plätze in der Psychodiabetologie und zehn teilstationäre Tages-Reha-Plätze. Für eine stationäre Therapie werden zunächst einmal fünf Wochen zugrunde gelegt. Die Zeit kann im Bedarfsfall allerdings problemlos verlängert (oder verkürzt) werden. In Bad Kissingen liegt die durchschnittliche Verweildauer bei 38 Tagen. Daran schließt sich dann die Wiedereingliederung an. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 48 Jahren. "Das ist im Moment repräsentativ", sagt Dr. Wolfram Franke. Aber es wird sich angesichts länger werdender Lebensarbeitszeiten nach hinten verschieben. Nun sind 48 Jahre eigentlich noch kein Alter. Aber, so Franke: "Der menschliche Organismus ist auf 40 Jahre ausgelegt. Dann beginnen die Verschleißerscheinungen."