Da sieht man's wieder mal: Große Erfolge entwickeln sich oft aus dem Alltag heraus. Johann Valentin Hamm jedenfalls, 1811 geboren, schien die Musik in die Wiege gelegt. Schon sein Vater, Johann Christian Hamm, hattet in Winterhausen als "Musicus" gegolten. Valentin Hamm selbst heiratete 1834 Theodora Graner, Pianistin und Sängerin aus einer angesehenen Würzburger Familie, und ließ sich als Musiklehrer für Geige in der Domstadt nieder. Ab 1842 spielte Hamm im Würzburger Theaterorchester mit. Und muss dort großen Eindruck hinterlassen haben, denn man ernannte ihn später zum Musikdirektor des Ensembles.
Dass die Nachwelt heute so einiges über den einstigen Würzburger Orchestermusiker weiß, ist zum einen dem Winterhäuser Ortschronisten Werner Luksch zu verdanken, der in den vergangenen Jahren etliche interessante Details über den berühmten Sohn seiner Heimatgemeinde zu Tage gefördert hat. Hamms Kompositionen waren zwar über die Jahrhunderte in die Welt hinaus gegangen und bekannt geworden - doch in seinem Geburtsort war der Musiker in Vergessenheit geraten.
Zum anderen begeistert sich auch Kurt Rieder, der Vorsitzende des Fördervereins der Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen, für den umtriebigen Komponisten. Schließlich war Hamm zahlreiche Male Gastmusiker in Kissingen gewesen, bevor er 1855 als Konzertmeister beim Kurorchester den Ton angeben sollte.
Hamms Erscheinen auf der Kissinger Bühne lässt sich mit der Blüte der Kurmusik in der fränkischen Stadt verbinden. Nicht nur die Bourgeoisie gönnte sich seinerzeit so manchen Konzertbesuch. Auch der "kleine Mann" ging anno dazumal in Kissingen regelmäßig aus. Sehen und gesehen werden waren wichtig, sagt Kurt Rieder. Schließlich kam zu jener Zeit der gesamte europäische Hochadel zur Sommerfrische in die Stadt an der Saale. Die Kurstadt Kissingen blühte auf und wurde 1883 gar zum "Bad" erhoben.
Fast alle Winterhäuser sind mit Hamm verwandt
Doch zurück nach Winterhausen und zu Valentin Hamm: Dass er nun in diesem Jahrtausend neue Berühmtheit erlangte, ist einem Zufall zu verdanken, erzählt Ortschronist Werner Luksch. Ein Freund von ihm hatte 2002 ein Konzert des Veitshöchheimer Heeresmusikkorps 12 der Bundeswehr besucht. Dort spielte man auch den Milanollo-Marsch. Der Freund habe gestutzt, als er hörte, dass die Musik aus der Feder des Winterhäuser Komponisten Valentin Hamm stammt. Luksch selbst hatte diesen Namen noch nie gehört, begann aber sofort mit Nachforschungen. Mit Hilfe eines Genealogie-Computerprogramms erstellte er einen Stammbaum der Familie Hamm. Das erstaunliche Ergebnis: Fast jeder Winterhäuser ist heute irgendwie mit Hamm verwandt.
Über 300 Kompositionen sollen aus Hamms Feder stammen, sagt Luksch. Der wohl bekannteste ist eben jener Marsch, der nach der italienischen Geigerin und Komponistin Maria Teresa Milanollo (1827 bis 1904) benannt sein soll. Hamms Musik ist indes auch in Nürnberg und München heute noch aktuell. So bekam der Komponist aus dem 19. Jahrhundert posthum im Jahr 2010 von den Nürnberger Carnelvalsvereinen sogar einen Faschingsorden überreicht – zu ihrer Gründung im Jahr 1860 hatte er den Nürnberger Carnevalsmarsch komponiert. Was Luksch auch herausfand: Es gibt einen "Kanal-Monuments-Marsch", den Hamm 1846 aus Anlass der Einweihung des Main-Donau-Kanals komponierte, sowie die "Oktoberfest-Polka", die in München heute noch zu hören ist.
Mit Richard Wagner in den Biergarten
Der Winterhäuser Musiker soll auch den jungen Richard Wagner gut gekannt haben, was Luksch aus einem regen Briefwechsel der beiden schloss, den er vor einiger Zeit aufgestöbert hatte. In Werner Dettelbachs Buch "Biedermeier in Franken" (1981) heißt es hierzu, dass Richard Wagner 1833 als Chor-Repetitor am Theater in Würzburg engagiert wurde – auf Fürsprache seines Bruders Albert hin, der selbst Sänger war. Bei ihm und seiner Frau Elise hatte der junge Wagner kostenlos in Würzburg wohnen können. Und abends sei er dann öfter mit Valentin Hamm um die Häuser gezogen. Wein und Bier fanden die Freunde reichlich im Biergarten "Am letzten Hieb".
In der Geschichte der Kurstadt Bad Kissingen ist Hamm freilich schon lange verbürgt. Zum einen hat Gerhard Wulz unter anderem 2007 in seinem Beitrag "Als Kurgäste noch musizieren durften" in der Saalezeitung über ihn berichtet. Zum anderen ist da Hanns-Helmut Schnebel (Langenfeld), der 1974 bis 2002 Bibliotheksleiter bei der Hammelburger Bundeswehr war und zwei Artikel über Valentin Hamm für die Mainfränkischen Jahrbücher (1987 und 1988) schrieb.
Ein Brillantring von Zar Alexander II.
Matthias Heinefetter hatte 1855 in Kissingen gerade Johann Kliegl als Kapellmeister abgelöst, heißt es bei Wulz. Ihm zur Seite stand Konzertmeister Valentin Hamm. Mit ihm zusammen sowie 34 Musikern des Würzburger Theaters, der Meininger Hofkapelle und böhmischen Musikern begannen im selben Jahr in Kissingen systematische Orchesterproben. Wulz schreibt auch über die Begeisterung von Zar Alexander II. für Hamms Marschkompositionen, als er in Kissingen weilte. Er habe Hamms Noten gleich für seine Militärkapelle mit nach St. Petersburg mitnehmen wollen. Hamm komponierte drei Märsche für den russischen Fürsten, der ihn alsbald fürstlich mit einem Brillantring zu entlohnen wusste.
"Das waren meine ersten Quellen zu Hamm", sagt Fördervereinsvorsitzender Kurt Rieder. Er stieß vor einiger Zeit auf den Milanollo-Marsch. "Ich wollte unbedingt Noten fürs Kurorchester haben, fand aber nur eine Version für Piano im amerikanischen Staatsarchiv." Dann sei er auf den Winterhäuser Ortschronisten gekommen, der ihm von seinem Fund der Noten beim Veitshöchheimer Heeresmusikkorps berichtete. Rieder nahm Kontakt mit der Bundeswehr auf und ließ sich 21 Notenblätter mit den Einzelstimmen für die Musiker schicken. Andreas Back, der Arrangeur des heutigen Kurorchesters, will daraus jetzt eine Partitur machen, sagt Rieder.
Der angeblich groß gewachsene Mann war relativ klein
Dass es von dem angeblich "groß gewachsenen" (Wulz) Valentin Hamm bislang kein Bild geben sollte, ließ Rieder keine Ruhe. Werner Luksch hatte ihm berichtet, dass er schon 2013 ein Bildnis des Winterhäusers in den Staatlichen Museen Berlin aufgetrieben habe. Daraufhin wandte sich Rieder selbst nach Berlin und ließ sich das Studio-Foto von 1870 schicken. "Allzu groß war der Mann auf dem Foto aber eigentlich nicht", sagt er schmunzelnd.
Hamms Musik ist sogar in zwei Hollywoodfilmen verarbeitet - in "Rebell und Verführer" (1954) mit Stewart Granger und Liz Taylor sowie in "Der Prinz und die Tänzerin" (1957) mit Laurence Olivier und Marilyn Monroe. Bei beiden Filmen produzierte Richard Addinsell (1905 bis 1977) die Musik. Er hatte eigentlich in Oxford Jura studieren sollen, fand aber daran offenbar wenig Gefallen und widmete sich lieber der Musik. Zwischendurch soll Addinsell einige Zeit in Deutschland verbracht haben, bevor er in den USA als Filmproduzent zu Ruhm kam.
Das Milanollo-Motiv in Hollywood und bei der Parade für die Queen
In beiden Filmen taucht das "Milanollo"-Thema auf. Kannte Addinsell Hamms kraftvolle Klänge vielleicht gar aus Deutschland? Oder hat der gebürtige Brite den Milanollo-Marsch vielleicht damals aus seiner Heimat mitgebracht, denn dort wird er seit jeher zum Geburtstag von Queen Elizabeth II. von der Coldstream Guard, einem Leibregiment der Königin, bei der Truppenparade im Juni gespielt.
In den "Soundtrack Credits", den musikalischen Quellenangaben, zum Film "Rebell und Verführer" wird der Siegeszug des "Milanollo, 1M4" hinaus in die Welt übrigens genau beschrieben: "Der deutsche Komponist Johann Valentin Hamm schrieb das Stück für die italienischen Geigerinnen Teresa und Maria Milanollo, die es 1845 auch bei ihrer Konzerttour durch England im Programm hatten." Und weiter heißt es, dass die Musiker der Coldstream Guard das Stück gleich danach in ihr Repertoire übernommen haben.