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Würzburg
Nehmen die Würzburger Kickers den Abstiegskampf an, Herr Santelli?
Der Trainer des Drittligisten spricht im Interview über seine Arbeit als Feuerwehrmann bei den Rothosen, seine Zukunft, und darüber, was Luxus für ihn bedeutet.
Ralf Santelli, eigentlich Cheftrainer und Leiter des Leistungszentrums, hat die Würzburger Kickers zum zweiten Mal als Coach übernommen.
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Ralf Santelli, eigentlich Cheftrainer und Leiter des Leistungszentrums, hat die Würzburger Kickers zum zweiten Mal als Coach übernommen.
Felix Mock
 und  Frank Kranewitter
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:00 Uhr

Ralf Santelli heißt nach Torsten Ziegner und Danny Schwarz der inzwischen dritte Cheftrainer der Würzburger Kickers in dieser Saison. Eigentlich ist der 53-jährige Deutsch-Italiener Cheftrainer und Leiter des Leistungszentrums des Vereins. Seit drei Partien ist Santelli aber - wie schon in der Vorsaison - interimsweise für die Profimannschaft der Kickers verantwortlich und soll den Abstieg aus der 3. Liga verhindern. Im telefonisch geführten Interview spricht der Schwabe über den Abstiegskampf, seine mögliche Zukunft als Kickers-Trainer und seine Verbindung zu Ralf Rangnick.

Herr Santelli, wo erreichen wir Sie gerade?

Ralf Santelli: Auf der Autobahn. Ich fahre hier auf der rechten Spur entspannt mit 90 Kilometern pro Stunde hinter einem Lkw her. Perfekt also, um fällige Telefonate zu führen.

Und der Cheftrainer der Würzburger Kickers fährt einen ...

Santelli: ... zuverlässigen Mercedes, Baujahr 2003. Aktuell hat der 297 000 Kilometer drauf. Verbrauch: 5,2 Liter Diesel. Was willst du mehr?

Vielleicht einen Sportwagen, so wie ihn die meisten Ihrer Spieler fahren?

Santelli: Ich will nicht sagen, dass ich Schwabe bin. Mein Auto bringt mich von A nach B. Außerdem ist es scheinbar unkaputtbar. Laut Händler hält das nochmal hunderttausend Kilometer durch. Ich brauche keinen Neuwagen.

Ihr Fahrzeug ist definitiv eines, das auf dem Parkplatz eines Profiklubs auffällt.

Santelli: Das mag sein. Aber das sind Dinge, die ich nicht brauche. Da bin ich einfach Pragmatiker.

Gilt dieser Pragmatismus nur für Autos oder zieht sich das durch Ihr gesamtes Leben?

Santelli: Ich bin ein ganz bodenständiger Mensch. Mein Vater kam 1960 als Gastarbeiter nach Deutschland. Er hat, genau wie meine Mama, immer gearbeitet, um seine drei Jungs zu ernähren. Da habe ich gelernt, was es bedeutet, mit Geld umzugehen. Dementsprechend bin ich auch erzogen worden. Luxus ist für mich nicht entscheidend.

Was ist aus Ihrer Sicht Luxus?

Santelli: Luxus wäre für mich eine größere Wohnung. Ich habe zwar Kinder, aber ich wohne alleine hier in Würzburg. Ich habe eine 1,5-Zimmer-Wohnung, die reicht mir eigentlich auch. Ich gehe gerne Essen, statt nur für mich zu kochen. Das tun zu können, ist für mich Luxus.

Sie haben nun drei Pflichtspiele als Cheftrainer hinter sich. In welchen Bereichen haben sich die Kickers verbessert?

Santelli: Die Art und Weise, wie wir spielen. Wir sind ideenreicher und flüssiger im Spielaufbau, das zeigen auch die sechs Tore in drei Spielen. Und ich finde, dass unsere Mentalität besser geworden ist. Das zeigen wir auch, nur noch nicht kontinuierlich über 90 Minuten. In der Schlussphase gegen Magdeburg haben wir diese Mentalität gesehen, als wir durch Marco Hausjell noch eine Riesenchance hatten und uns ein Tor aberkannt wurde. In der Außendarstellung kann ich mit dem 2:4 leben.

Sind Ihnen auf der anderen Seite die Probleme der Mannschaft klarer geworden?

Santelli: Ich kann als Trainer nur analysieren und unterstützen. Klar, es gibt gewisse Abläufe im Training und einen Matchplan. Aber das Handeln auf dem Platz, das moniere ich noch. Die Abläufe müssen intuitiver laufen. Das bedingungslose Umsetzen fehlt mir noch.

Keiner der zurückhaltenden Sorte: Ralf Santelli weist seine Mannschaft von der Seitenlinie aus üblicherweise lautstark an.
Foto: Silvia Gralla | Keiner der zurückhaltenden Sorte: Ralf Santelli weist seine Mannschaft von der Seitenlinie aus üblicherweise lautstark an.
Ist das eine Frage des Willens?

Santelli: Das sind Gewohnheiten. Wenn du immer abstoppst und den Ball nach hinten statt nach vorne spielst, weil du dich so wohler fühlst. Weil du Sicherheit haben willst. Wir wollen aber nach vorne spielen, in die Tiefe spielen. Dazu musst du deine Gewohnheiten durchbrechen. Das hat etwas mit Mut zu tun. Sowas traust du dich eher, wenn du auf einem anderen Tabellenplatz stehst. Die Gewohnheiten eines Menschen zu verändern, ist schwer und funktioniert nicht immer.

Trotzdem reden wir über gut ausgebildete Profifußballer. Vor Ihnen haben sich bereits zwei Trainer versucht, angekommen ist scheinbar wenig. Woran liegt das?

Santelli: Die Jungs sind Profis und haben so gut wie alles im Repertoire. Aber es werden zu oft falsche Entscheidungen auf dem Platz getroffen. Wenn beispielsweise statt eines Dribblings der Pass gefordert wäre.

Was können Sie als Trainer tun, um diese Entscheidungen zu beeinflussen?

Santelli: Ich versuche es mit einer Metapher: Bei Kindern in der Pubertät zählt das, was der Vater sagt, gar nichts. Dann musst du sagen: Okay, hol' dir eine blutige Nase - aber so, dass sie nicht bricht. Die Spieler wollen sich genau wie Pubertierende selbst ausprobieren. Wenn sie deinen Ratschlag nicht befolgen, ist das okay. Wenn sie aber das zweite und dritte Mal gegen eine Wand rennen, muss es heißen: Jetzt mache es aber so, wie ich es vorgeschlagen habe. Und bei dieser Umsetzung sind wir noch zu langsam.

Wie viele im Kader nehmen Ihre Ratschläge bislang an?

Santelli: Seit ich hier bin, haben wir etwa die Hälfte der Spieler erreicht. Aber wenn sich die andere Hälfte noch immer ausprobiert, passt das Gesamtbild noch nicht ganz. Deswegen haben wir immer wieder gute Phasen im Spiel, dann aber wieder schlechtere.

Heißt das, dass zu viel einzeln und zu wenig als Mannschaft passiert?

Santelli: Die Mannschaftsteile sind noch nicht sauber miteinander eingespielt, weil die individuellen Entscheidungen oft nicht die richtigen sind. Spiele ich nach rechts oder nach links? Die weiterführende Handlung wird oft noch nicht erkannt. Vielleicht fehlt es da manchmal an Weitblick, das Verständnis für den zweiten und dritten Ball nach deiner Entscheidung. Das ist schwer reinzukriegen bei den Spielern.

Nimmt die Mannschaft den Abstiegskampf an?

Santelli: Ich glaube schon. Ich war zwar nicht ganz zufrieden mit der Darstellung der Mannschaft. Abstiegskampf heißt aber auch nicht, in jedem Spiel fünf Gelbe und eine Rote Karte zu bekommen. Das Mittelmaß muss gefunden werden. Wir haben Spieler, die mit dem Ball unheimliche Qualität haben, aber gegen den Ball nicht gut genug oder zu spät in Zweikämpfe gehen. Dadurch wirkt es so, als würde man den Kampf nicht annehmen.

Das müsste aber bald passieren. Es sind nur noch zehn Spiele bis zum Saisonende.

Santelli: Fakt ist: Ende März wird es noch spannender. Wenn du dann noch unten drin stehst, greifen die typischen Marktmechanismen und die Berater werden wieder fleißig. Spieler wollen liefern, aber die Berater im Hintergrund suchen schon nach einem neuen Arbeitgeber. Dadurch kommt Unruhe rein, aber das ist in jeder Liga so. Deswegen müssen wir jetzt im März unsere Punkte holen, sonst wird es immer schwieriger.

Sportdirektor Sebastian Neumann plant bereits für die kommende Saison. Inwiefern reden Sie als Cheftrainer dabei mit?

Santelli: Sebastian arbeitet für beide Szenarien (Klassenerhalt und Abstieg, Anm. d. Red.) und muss im Prinzip zwei komplette Mannschaften für die jeweilige Liga zusammensuchen. Je weiter die Saison fortschreitet, kann es natürlich sein, dass ein neuer Trainer dazukommt und seine Vorstellungen einbringt.

Ein Duo, das womöglich auch in der kommenden Saison zusammenarbeitet? Sportdirektor Sebastian Neumann (links) und Trainer Ralf Santelli.
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Ein Duo, das womöglich auch in der kommenden Saison zusammenarbeitet? Sportdirektor Sebastian Neumann (links) und Trainer Ralf Santelli.
Wäre es denkbar, dass dieser Trainer Ralf Santelli heißt?

Santelli: Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Ich habe auch nächstes Jahr noch Vertrag im Leistungszentrum.

Sie betonen immer, wie sehr Ihnen der Job im LZ Spaß bereitet. Mehr als der des Cheftrainers?

Santelli: Die Arbeit im LZ macht unheimlich viel Spaß, genauso wie das Trainieren einer Mannschaft. Der Vorteil ist, dass du weniger erfolgsabhängig bist. Ich spiele jetzt zum zweiten Mal den Feuerwehrmann. Das mache ich, weil ich mich hier sehr wohl fühle. Ich bin das dritte Jahr hier in Würzburg und spüre unheimlich viel Vertrauen. Ich mache beides mit Freude. Natürlich ist es schwierig, während der Saison dazustoßen und Situationen vorzufinden, die korrigiert werden müssen.

Wie attraktiv wäre es, von Beginn an eine Profimannschaft zu konzipieren?

Santelli: Als Trainer hast du immer den Wunsch, von Beginn an mitzuwirken. Es klingt vielleicht komisch, aber: Ich stelle dem Verein meine Arbeitskraft zur Verfügung. Wenn man mich eher im LZ sieht, dann bin ich im LZ. Wenn man mich eher bei den Profis sieht, würde ich auch das machen. Da geht es mir um den Verein. Ich arbeite sehr gerne hier und mag die Stadt. Im Übrigen schon seit 1988, als ich meinen Wehrdienst in Veitshöchheim absolviert habe.

Es geht Ihnen also um den Arbeitsplatz in Würzburg.

Santelli: In der Fußballbranche ist es nicht unüblich, ein Jahr hier und im nächsten wieder dort zu arbeiten. Das macht nicht wirklich Spaß. Das ist aus familiärer und persönlicher Sicht eine hohe Belastung. Kontinuität ist im LZ eher gegeben – oder in einem Verein, der deine Qualitäten nutzt und dich auf den Positionen hin- und herschiebt. Ich bin jemand, der das kann und auch mitmacht.

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Sie sind auch in der kommenden Saison Cheftrainer. Welche Art Fußball spielen die Kickers unter Ralf Santelli?

Santelli: Fußball mit hohen Spielanteilen und schnellem Passspiel. Fußball, der durchaus kreativ sein darf und sehr mutig und offensiv ausgerichtet ist.

Haben Sie Vorbilder, die Ihren Stil geprägt haben?

Santelli: Ich bin stark von Ralf Rangnick geprägt worden. Mit ihm habe ich drei Jahre lang zusammengearbeitet. Früher durfte ich mich auch viel mit Jürgen Klopp austauschen.

Eine Szene von vor fast genau 20 Jahren: Ralf Rangnick (links) und Ralf Santelli (rechts) bei der Auswechslung von Jan Simak. Auch bei Hannover 96 arbeiteten die beiden Schwaben zusammen.
Foto: Sven Simon, Imago | Eine Szene von vor fast genau 20 Jahren: Ralf Rangnick (links) und Ralf Santelli (rechts) bei der Auswechslung von Jan Simak. Auch bei Hannover 96 arbeiteten die beiden Schwaben zusammen.
Wie kam das zustande?

Santelli: Wir haben uns immer wieder am Spielfeldrand gesehen, wir haben immer wieder gegeneinander gespielt. Er war auch mit Ralf Rangnick bekannt, und so hat man sich eben kennengelernt und immer wieder ausgetauscht. Er kommt aus dieser Riege des württembergischen Fußballs. Die Arbeit von Thomas Tuchel lässt sich sicher auch dazuzählen.

Bei Ihrem Antritt sagten Sie, der große Unterschied zur vergangenen Saison sei es, mehr Zeit zu haben. Genügt die Zeit?

Santelli: Ich hoffe es. Ich bin mir bewusst, dass wir mehr Punkte holen müssen. Momentan haben wir einen Ein-Punkte-Schnitt. Das ist natürlich zu wenig.

Was wollen Sie von Ihrem Team in Wiesbaden sehen?

Santelli: Wir müssen die Räume vor unserer Box besser besetzen und den Gegner mehr auf die Seiten drängen. Da waren wir gegen Magdeburg nicht gut genug. Außerdem müssen wir unsere Chancen besser nutzen. Letztendlich musst du einfach die Tore machen.

Der Krieg in der Ukraine ist derzeit das vorherrschende Thema. Wie schwierig ist es da, sich überhaupt auf Fußball zu konzentrieren?

Santelli: Es ist beängstigend und bestürzend. Ich kann den Krieg ausblenden, wenn ich arbeite. Ich bin froh, in diesem Land zu sein, einen Job zu haben. Passend zur Frage von vorhin: Wirklich Luxus ist es wahrscheinlich, sich um Leib und Leben nicht sorgen zu müssen.

 
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