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Fußball
Ex-Fifa-Schiedsrichter Aron Schmidhuber zu Gewalt auf dem Fußballplatz: "Ich hab mal eine Watsch'n kassiert"
Der 76-jährige Eibelstadter spricht im Interview über Sinn und Unsinn technischer Hilfsmittel und sagt, warum ein Jugendspiel am Sonntagmorgen um halbelf nichts für ihn wäre.
Gerne im Garten, aber immer noch lieber auf dem Fußballplatz: der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Aron Schmidhuber.
Foto: Ivana Biscan | Gerne im Garten, aber immer noch lieber auf dem Fußballplatz: der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Aron Schmidhuber.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:48 Uhr

Er sitzt in seinem Wintergarten in Eibelstadt. Von da bietet sich ein grandioser Blick über das Maintal. Ein Fernseher steht in diesem Eckchen des Hauses nicht. Aron Schmidhuber verfolgt Fußball eh lieber auf dem Platz als am Bildschirm, schaut lieber Amateuren zu als Profis. Dabei war er einer der bekanntesten Schiedsrichter Deutschlands. Der heute 76-Jährige leitete 143 Spiele der Fußball-Bundesliga und als Fifa-Schiedsrichter 26 A-Länderspiele, zwei bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien und eines bei der EM in Schweden. Weitere Spiele durfte der Münchner bei diesen Turnieren nicht pfeifen, da die deutsche Nationalmannschaft jeweils bis ins Endspiel gekommen ist.

Der Oberbayer, den es vor vielen Jahren von Berufs wegen ins Unterfränkische verschlagen hatte, war 1992 Referee im Endspiel des Europapokals der Landesmeister zwischen dem FC Barcelona und Sampdoria Genua im Wembley-Stadion in London, 1999 im Uefa-Pokal-Endspiel zwischen Juventus Turin und dem AC Florenz, sowie 1987 im Uefa-Super-Cup Endspiel zwischen dem FC Porto und Ajax Amsterdam. 1987, 1991 und 1992 wurde er in der Bundesliga zum "Schiedsrichter des Jahres" gewählt, 1992 zum Weltschiedsrichter. Bis 2016 war Schmidhuber für die Uefa als Schiedsrichterbeobachter in der Champions und Europa League tätig.

Klare Ansprache an die Spieler: Aron Schmidhuber im Finale des Europapokals der Landesmeister 1992 zwischen Barcelona und Genua.
Foto: Imago/Werek | Klare Ansprache an die Spieler: Aron Schmidhuber im Finale des Europapokals der Landesmeister 1992 zwischen Barcelona und Genua.
Frage: Wir zwei schauen uns ein Fußballspiel zusammen an. Wie darf man sich das vorstellen?

Aron Schmidhuber: Na, zwischendurch gebe ich schon Kommentare ab. Ich habe selbst mal gespielt, in der Jugend sogar zeitweilig beim FC Bayern, dann aber nicht als Profi, sondern nur als Amateur. Ich sage schon was zu Spielszenen. Aber natürlich kommentiere ich bevorzugt Schiedsrichterentscheidungen. Nur nicht jeden Pfiff. Wenn der Schiedsrichter etwas gesehen hat, was man selbst kaum hat sehen können. Oder aber, wenn's besonders schlecht war.

Was ist im Profi-Fußball nur aus der guten, alten Fehlentscheidung geworden?

Schmidhuber: Sie spielen auf die vielen technischen Hilfsmittel an. Fehlentscheidung gibt's schon noch. Auch bei Profis. Nur kann man sie da leichter revidieren. Früher gab's nur den Linienrichter, der mir gesagt hat "da liegst du jetzt aber ganz daneben". Das musste schon krass sein, sonst bin ich bei meiner Meinung geblieben. Ich kann mir vorstellen, dass es heute für Schiedsrichter zum Problem wird, wenn sie allzu oft durch den VAR korrigiert werden. Man sollte doch meinen, ein Schiedsrichter ist grundsätzlich so genau wie möglich, nicht nur, weil jemand mit hinschaut.

Sie hätten sich garantiert mit einem Videoassistenten unwohl gefühlt.

Schmidhuber: Für Gerechtigkeitsfanatiker muss es wohl so sein, öfter einzugreifen. Ganz ehrlich: Bei vielen Entscheidungen kann man es auch heute noch so oder so sehen. Da finde ich es nicht ideal, wenn eingegriffen wird. Jetzt wird halt am Stammtisch nicht mehr über Schiedsrichter-Entscheidungen diskutiert, sondern über die des Videoassistenten. Ich glaube jedoch, dass die VAR-Entscheidungen den Fußball nicht kaputt machen. Es macht nur weniger Spaß - für den Schiedsrichter und die betroffene Mannschaft.

Wären Sie der Typ für einen VAR-Einsatz im Kölner Keller gewesen?

Schmidhuber: Na, ja, die werden ja eingeteilt. Ich hätte es hinnehmen müssen. Aber Spaß hätte es mir nicht gemacht. Ich war Praktiker. Ich habe ja nicht nur national und international gepfiffen, sondern auch weiter in der Bad Tölzer Gruppe auf Kreisebene. Da durfte ich alleine entscheiden, wie weit der Arm beim Handspiel vom Körper weg war, oder ob die Grätsche gerade noch sauber war.

Charmanter Gesprächspartner: Aron Schmidhuber im Interview.
Foto: Ivana Biscan | Charmanter Gesprächspartner: Aron Schmidhuber im Interview.
Das könnten Sie ja noch haben. Der Klassiker: Jugendspiel am Sonntag um halbelf morgens, der Schiedsrichter um die 80. Nichts für Sie?

Schmidhuber: Um Himmelswillen. Das würde keinem Beteiligten Freude machen. Ich bin ja doch eher der strenge Schiedsrichter gewesen. Wenn die auf der Wiese einfach kicken wollen, das würde nicht passen. Die Eltern der Jugendlichen wüssten ja, wer ich bin. Da dürfte ich mir was anhören.

Wir schweifen ab. Wollten wir nicht über Technik reden? Über Torlinien-Technik zum Beispiel.

Schmidhuber: Das ist sogar mal etwas sehr Sinnvolles. Wenn es ein Tor ist, soll es auch ein Tor sein. Paradebeispiel: Der Ball geht an die Unterkante der Latte, springt knapp hinter die Linie und von dort nach vorn heraus. Physikalisch eigentlich unmöglich, doch es passiert. Das würde man vom Menschenverstand her immer falsch entscheiden. 

"Ich würde es auf alle Fälle abstellen, dass mir der Linienrichter pausenlos etwas ins Ohr rein bläst."
Aron Schmidhuber über die Verwendung von Headsets
Und Headsets?

Schmidhuber: Das gab es zu meiner Zeit ja auch noch nicht, dass Schiedsrichter und Linienrichter mit so etwas verbunden sind. Für eine schnellere Kommunikation bei ganz wichtigen Entscheidungen ist das okay. Aber ich würde es auf alle Fälle abstellen, dass mir der Linienrichter pausenlos etwas ins Ohr reinbläst. Ich tät' ihm sagen: Nur bei krassen Fehlentscheidungen melden, dann aber entschlossen, damit ich sofort weiß, dass ich falschgelegen habe. Einen falschen Einwurf an der Mittellinie zu korrigieren, hält doch bloß das Spiel auf. In einem Spiel trifft ein Schiedsrichter 80 bis 100 Entscheidungen, die kann man doch nicht alle kommentieren.

Haben Sie mal richtigen Mist gepfiffen, der Ihnen heute noch peinlich ist?

Schmidhuber: Fällt mir jetzt nichts ein. 

So oft als möglich auf den unterfränkischen Plätzen unterwegs: Aron Schmidhuber, hier beim Bayernligaspiel zwischen dem FC Geesdorf und Bayern Hof.
Foto: Hans Will | So oft als möglich auf den unterfränkischen Plätzen unterwegs: Aron Schmidhuber, hier beim Bayernligaspiel zwischen dem FC Geesdorf und Bayern Hof.
Ach kommen Sie...

Schmidhuber: Naja, vorgefallen ist schon was. Ich hab mal in einem Spiel in einer unteren Klasse eine Watsch'n kassiert.

Oha.

Schmidhuber: Es war in den Neunzigern. Das Spiel war aus. Da kam der Spieler, teilte mir mit, dass er mit mir nicht einverstanden war,  und schon hatte ich eine gefangen. Der wurde ganz schön lange gesperrt. Irgendwann bin wieder bei diesem Verein gewesen. Da kam der Spieler auf mich zu, hat sich entschuldigt. Ich hab ihm schmunzelnd gesagt: "Spiel g'scheit heute und gib Ruh', damit ich dich nicht wieder raushau'n muss."

Es hat den Anschein, dass Gewalt gegen Schiedsrichter zunimmt.

Schmidhuber: Was nichts anderes als ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung ist. Es werden generell immer weniger Entscheidungen akzeptiert, Vieles wird infrage gestellt. Die Disziplin war im Leben und auf dem Platz früher größer. Aber: Schiedsrichter waren im Schnitt auch älter, konnten mit Erfahrung dazu beitragen, Konflikte im Entwicklungsstadium zu unterbinden. Ich habe nicht viele Rote Karten gezeigt, sondern versucht, verbal auf Spieler einzuwirken, von denen ich den Eindruck hatte, da könnte sich etwas aufschaukeln.   

Schiedsrichter werden immer jünger. Im Profifußball gewollt, im Amateurbereich der Entwicklung geschuldet. Über Jahre war die Zahl an Neulingen stark rückläufig. Ein Trend, der jetzt erst langsam aufgehalten wird – auch, weil 15-Jährige Männer-Spiele leiten.

Schmidhuber: Wichtiger als die Altersgrenze von 47 Jahren im Profifußball hielte ich die reine Beurteilung nach dem Leistungstest. Solange ich den bestehe, kann ich mithalten, das ist doch ganz einfach. Es ist unbestritten, dass Routine ein wichtiger Faktor für Schiedsrichter ist. Wenn beispielsweise ein Spieler aus einer Foulszene heraus, womöglich noch im Fallen, etwas Beleidigendes gesagt hat, habe ich das schon mal überhört. Junge Schiedsrichter in den Leistungsklassen können das nicht. Die werden beobachtet, müssen alles ahnden. Sie sanktionieren im Zweifelsfall lieber, als dass sie selbst sanktioniert werden. Das birgt Konfliktpotenzial. Wenn ich gemerkt habe, beide Mannschaften wollen Fußball spielen, und dass da nichts passiert, dann habe ich einfach nicht jeden Scheiß gepfiffen.

 
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    Weiterhin alles Gute Aaron, bleibe gesund und erfreue dich an dem Leben
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