Mit dem Aufstieg der Würzburger Kickers von der Regionalliga in die Dritte Liga in der Relegation der Saison 2014/15 wuchs die Fanbasis am Dallenberg stetig an. Vor allem jüngere Fußball-Fans begannen, sich für die neue Nummer eins im regionalen Fußball zu begeistern. Sogar während und nach der Corona-Pandemie seien junge Leute dazugekommen, stellt Jonathan Freudenberger fest.
Er ist einer von zwei Sozialpädagogen im Team des Würzburger Fanprojekts. Aktuell kämen zu den Treffs regelmäßig zehn bis zwölf Teilnehmende, "im Sommer waren wir auch schon mal 60 Leute", berichtet seine Kollegin Regine Dietl, die das Projekt leitet. Mit dabei ist auch Sonderpädagoge Johannes Bork.
Schwieriger Start für das Projekt während der Corona-Einschränkungen
Die Idee, ein Fanprojekt bei den Kickers zu etablieren, entstand vor rund fünf Jahren. Der Wunsch kam damals aus der Fanszene heraus, weiß Freudenberger. Die Idee sei zunächst im Sande verlaufen, bevor sie "ganz überraschend" während der Corona-Zeit wieder aufgekommen sei.
Das Würzburger Fanprojekt definiert sich als ein sozialpädagogisches Angebot an Fußball-Fans, vor allem an jene, die zwischen 14 und 27 Jahre alt sind. Es hat am 1. Oktober 2021 unter dem Dach der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe der Diakonie als deutschlandweit 72. Fanprojekt die Arbeit aufgenommen.
"Vielerorts sind Fans in dieser Zeit weggebrochen, in Würzburg ist dagegen richtig was entstanden", findet Freudenberger. Dabei war der Start gar nicht einfach: Während der Hochphase der Pandemie startete das Projekt trotz aller Einschränkungen für Fußball-Fans beim Stadionbesuch.
Sportlich stiegen die Würzburger Kickers kurz nach dem Start aus der Dritten Liga in die Regionalliga ab. Zur neuen Saison zogen die Fans, die in den Jahren zuvor hinter dem Tor standen, wieder unter das Tribünendach um. "Neuer Block, neue Fans, neue Generationen und neue Liga", beschreibt Dietl die Herausforderung für das Fanprojekt. Aber auch "endlich wieder viele Menschen im Stadion". In der Regionalliga Bayern sind die Kickers der einzige Verein mit einem Fanprojekt.
Die Würzburger sind bundesweit vernetzt und tauschen Erfahrungen mit anderen Fanprojekten aus. Dietl, Freudenberger und Bork sind insgesamt 82 Stunden pro Woche für das Projekt aktiv. Finanziert wird es zu 50 Prozent vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und zu 25 Prozent vom Freistaat Bayern. Weitere je 12,5 Prozent kommen von der Stadt und vom Landkreis. Sie unterstützen das Projekt wegen seines gesellschaftspolitischen Auftrags, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine positive Lebensorientierung zu geben sowie Gewalt und Extremismus präventiv entgegenzuwirken.
Fanprojekt bietet auch außerhalb des Stadions zahlreiche Aktionen an
Wie das gehen kann, beschreibt Dietl: "Wir haben alle Heim- und Auswärtsspiele, Pokalspiele und teilweise auch Testspiele begleitet." Es habe auch Fahrten ohne Alkohol und Zigaretten gegeben. Sie berichtet auch von zahlreiche Aktionen im Haus in der Hofmannstraße in Heidingsfeld, nur wenige Minuten vom Stadion entfernt, wo sich das Fanprojekt die Räume mit dem Jugendzentrum des Stadtteils teilt. Dort fanden unter anderem Graffiti-Workshops, Tischtennis- und Darts-Turniere oder Fahnen-Maltage statt – oder die Jugendlichen konnten drinnen oder draußen "einfach mal abhängen", wie Dietl sagt.
Zur umstrittenen Fußball-WM in Katar bot das Projekt eine Boykott-Aktion in Zusammenarbeit mit Amnesty International an, inklusive einer Fotoausstellung, die die Arbeits- und Lebenssituation von Gastarbeitern in Katar thematisierte. Im November und Dezember legten die Pädagogen ihre Angebote so, dass sie eine Alternative zu den WM-Spielen darstellten.
Hilfsbedürftige kommen häufig im Stadion in Kontakt mit dem Fanprojekt
Ebenso bieten die zwei Sozial- und der Sonderpädagoge Hilfe für den einzelnen Fan an: "Wohnungs- und Arbeitssuche, Probleme in der Familie, mit sich selbst, mit Drogen, mit psychischen Erkrankungen, mit Schulden, mit dem Partner und Kindern oder Trennungen", führt Dietl mögliche Fälle auf. Ein Erstkontakt ergebe sich oft im Stadion.
Sehr wichtig sei ihnen die Kommunikation mit der Polizei: "Dass ein Spannungsfeld zwischen den Fans, speziell den Ultras, und der Polizei existiert, lässt sich nicht von der Hand weisen. Wir haben deshalb einen Kontakt zur Polizei und zu ihr ein professionelles Verhältnis", erklärt Freudenberger. "Wir haben das Mandat der Fanszene, für sie zu sprechen. Das ist ein herausragendes Vertrauen."
Er sagt auch: "Es war ein unheimlich intensives Jahr mit vielen Erfahrungen, die wir zum ersten Mal gemacht haben. Wenn man beispielsweise in Aubstadt steht, sieht den kleinen Sportplatz und dann kommen die Busse über den Feldweg gerollt, weil es keine andere Zufahrt gibt – das gefällt mir als Fußballfan gut." Die Emotionen, die das Fandasein mit sich bringe, gehörten freilich auch bei den Projektmitarbeitenden dazu.
Dietl denkt bei ihrem schönsten und zugleich kuriosesten Erlebnis an eine Zugfahrt mit sechs Jugendlichen nach München. Auf dem Rückweg seien sie – "gefangen im Neun-Euro-Ticket-Wahnsinn" – in Ingolstadt gestrandet und erst nach 14 Stunden wieder in Würzburg angekommen: "Es war schön, obwohl es ein verrückter Tag war. Alle hatten gute Laune, obwohl es immer später wurde."
Und wie geht es für das Projekt in 2023 weiter? Wir gehen "mal klettern, mal bouldern, mal wandern", beschreibt sie die Angebote außerhalb des Stadions. Orientieren will sich das Team vor allem an den Wünschen der Teilnehmenden. Und womöglich stehen für die Würzburger Kickers in diesem Jahr noch "große Spiele um den Aufstieg" an. Die Regionalliga-Meisterschaft haben sie schließlich als Ziel verkündet. Dann gäbe es erneut eine Relegation um den Aufstieg in die Dritte Liga – wie in der Saison 2014/15.