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Würzburg
Vaterglück und Vaterleid: Wenn die Geburt des eigenen Babys bei Papa zu Depression und Angststörungen führt
Wenn es um Schwangerschaft und Geburt geht, ist jeder zehnte Mann von psychischen Problemen  betroffen. Eine Würzburger Medizinerin erklärt, wie man die Anzeichen erkennt.
Postpartale Depressionen können sich nicht nur bei Müttern, sondern auch bei Vätern im Zeitraum rund um Schwangerschaft und Geburt entwickeln. 
Foto: Christoph Schmidt, dpa | Postpartale Depressionen können sich nicht nur bei Müttern, sondern auch bei Vätern im Zeitraum rund um Schwangerschaft und Geburt entwickeln. 
Aurelian Völker
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:18 Uhr

Ein Kind bekommen. Eltern werden. Für viele Menschen gehört diese Vorstellung zu den schönsten Erlebnissen im Leben. Doch die Realität unterscheidet sich davon oft. Denn die Geburt eines Kindes geht mit vielen Veränderungen und Umstellungen einher - und mit Belastungen für alle Familienmitglieder. Und sie kann nicht nur bei Müttern, sondern auch bei Vätern psychische Krisen hervorrufen. In schlimmen Fällen, sagt Prof. Sarah Kittel-Schneider vom Uniklinikum Würzburg, kann die Geburt sogar zur Entwicklung von Depressionen oder Angststörungen führen.

"Das Thema findet oft noch zu wenig Beachtung", meint die stellvertretende Klinikdirektorin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Auch von Psychotherapeuten und Psychologen werde es nicht immer ernst genommen, sagt Kittel-Schneider.

Sarah Kittel-Schneider ist Professorin für Entwicklungspsychiatrie am Uniklinikum Würzburg  und stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Foto: Mario Weber/Uniklinik Würzburg | Sarah Kittel-Schneider ist Professorin für Entwicklungspsychiatrie am Uniklinikum Würzburg  und stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Doch wie die Anzeichen einer postpartalen Depression erkennen. Was können die betroffenen Väter tun? Die Medizinprofessorin gibt Antworten.

Was bedeuten Schwangerschaft und Geburt für den Vater?

Der Übergang in die Vaterrolle ist ein tiefgreifendes Lebensereignis, bei dem sich viel verändert, sagt Sarah Kittel-Schneider. Auch wenn der Vater nicht die körperliche Rolle der Schwangerschaft hat, müsse er neue Verhaltensweisen lernen. Seine Verantwortung, seine Ziele, seine Identität und die Gefühle gegenüber sich selbst würden sich ändern, sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. "Das kann natürlich zu Ängsten und Stress führen."

Sind Väter und Mütter nach der Geburt gleichermaßen von psychischen Problemen betroffen?

Mütter tragen zwar die Hauptlast und sind auch häufiger von psychischen Erkrankungen rund um die Geburt betroffen, stellt Kittel-Schneider klar. Studien zufolge werden 10 bis 15 Prozent der Frauen  nach der Geburt depressiv, genauso viele sind den Erhebungen nach von Angststörungen betroffen. Bei manchen Frauen treten Depression und Angststörung auch parallel auf, sagt die Ärztin. Zu Männern und der Situation nach der Geburt gibt es deutlich weniger Studien, doch sie zeigen: Auch bei Männern kommen beide Formen in fünf bis zehn Prozent vor - es ist also etwa einer von zehn Männern betroffen.

Warum ist es wichtig, auf die psychische Gesundheit der Väter zu achten?

Angst und Stress stören die Bindung zum Kind, sagt Kittel-Schneider. Wenn der Vater psychisch erkrankt ist, habe dies nachweislich negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes. Grundsätzlich wirke sich die psychische Erkrankung auf alle anderen Familienmitglieder aus, auch auf das Baby. Zudem könnten gesunde Väter eine wichtige Stütze für ihre psychisch kranken Frauen sein, sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Wie können werdende Eltern psychischen Problemen vorbeugen?

Generell empfiehlt Kittel-Schneider: ausreichend körperliche Bewegung, gesunde Ernährung, möglichst ausreichend Schlaf, Reduktion von anderen Stressfaktoren, gute Pflege der Partnerschaft, Aufrechterhaltung von Hobbys und sozialen Kontakten außerhalb der Kernfamilie.

Die werdenden Eltern sollten sich über das Verhalten und ihre Kooperation austauschen, bevor das Kind geboren ist. Und sie könnten an ihrer Partnerschaftsqualität arbeiten, indem sie sich nicht nur als Eltern, sondern auch als Partner empfinden, sagt Kittel-Schneidre. Schon in der Schwangerschaft könnten sie planen, dass es bewusste Zeit als Paar ohne das Kind gibt. 

Es könne hilfreich sein, einen Wochenplan zu erstellen, sagt die Ärztin. Paare könnten Regeln in der Kommunikation einüben: Schwierigkeiten ansprechen, nachfragen, den Partner oder die Partnerin wertschätzen, keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungen machen, eigene Bedürfnisse äußern. Je besser die Partnerschaftsqualität sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass es durch Schwangerschaft und Geburt zu einer sogenannten postpartalen Depression kommt.

Welche Risikofaktoren für eine postpartalen Depression bei Vätern gibt es?

Gut belegt sind laut Kittel-Schneider folgende Risikofaktoren, die die Entwicklung einer postpartalen Depression bei Vätern begünstigen: postpartale Depressionen bei der Partnerin, Frühgeburt des Kindes, frühere Depressionen, Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, schlechte familiäre oder psychosoziale Unterstützung, schlechte Partnerschaftsqualität.

In welchem Zeitraum treten postpartale Depressionen auf?

Die Depressionen können bis zu einem Jahr nach der Geburt des Kindes auftreten. Die höchste Anzahl an relevanten depressiven Symptomen bei den Vätern stelle man nach drei Monaten fest, sagt Kittel-Schneider. Postpartale Depressionen müssten nicht zwangsläufig beim ersten Kind, sondern könnten auch bei weiteren Kindern auftreten.

An welchen Anzeichen lässt sich eine postpartale Depression erkennen?

"Anzeichen sind vermehrte Gereiztheit und Dünnhäutigkeit, Rückzug, gedrückte Stimmung, weniger Freude an dem Baby oder der Partnerin, weniger Interesse, reduzierter Antrieb, vermehrte Erschöpfung", sagt Kittel-Schneider. Häufig würden die ersten Anzeichen eher von außen, von anderen bemerkt. Gerade Männer wollten häufig nicht über ihre psychische Situation reden, sagt die Ärztin. Dabei sei Reden in dieser Situation sehr wichtig.

Ein Stimmungstief kurz nach der Geburt gilt bei Müttern als normal. Gibt es "Baby Blues" auch bei Vätern?

"Der Baby Blues im eigentlichen Sinn wird primär durch den starken Hormonabfall nach der Geburt eines Kindes ausgelöst, den es so bei den Männern nicht gibt", sagt die stellvertretende Klinikdirektorin. "Aber die Symptome wie Erschöpfung, Ängstlichkeit und Schlaflosigkeit können eben auch die ersten Anzeichen einer postpartalen Depression sein, die eben nicht nur durch Hormonschwankungen ausgelöst wird und das gibt es bei Vätern dann eben auch."

Was kann man bei ersten Anzeichen einer Depression machen?

Wie bei der Vorbeugung gilt auch hier: darüber sprechen und schauen, wo es Entlastung geben kann. Dazu könnte man sich etwa folgende Fragen stellen, empfiehlt die Psychiaterin: Wie kann ich Stress reduzieren? Wie kann ich Schlafmangel ausgleichen? Mache ich ausreichend Sport oder bewege ich mich genug?

Was passiert, wenn die ersten Anzeichen einer psychischen Erkrankung nicht erkannt werden?

Werden erste Frühwarnzeichen nicht erkannt, können sie in manifeste psychische Erkrankungen übergehen wie etwa schwere Depressionen oder schwere Angsterkrankungen, sagt Kittel-Schneider. Männer würden dazu neigen, eine "Selbstmedikation" mit Alkohol zu versuchen, was dann in einen Alkoholmissbrauch oder zu Alkoholabhängigkeit führen kann. 

Woher kommt die Vorstellung, dass die Geburt eines der schönsten Ereignisse im Leben ist?

"Dass die meisten Menschen Kinder kriegen wollen, hat natürlich auch evolutionsbiologische und psychologische Gründe", sagt die Medizinerin. "Es ist aber natürlich ein ganz besonderes Ereignis und erfüllt ja auch die meisten Eltern mit viel Stolz und Glück." Doch Risiken oder unangenehme Seiten der Schwangerschaft, Geburt und des Versorgen eines Kindes würden heute zu wenig öffentlich diskutiert. "Die Gesellschaft sollte auch diese negativen Seiten im Blick behalten", sagt die Fachärztin für Psychiatrie. Menschen mit Kinderwunsch sollten sich bewusst sein, was potenziell auf sie zukommen könne. Aber auch unerfüllter Kinderwunsch sei ein Risikofaktor für Depressionen, sagt Sarah Kittel-Schneider: "Daher sollten sich Menschen nicht davon abhalten lassen, wenn sie gerne Eltern werden möchten."

 
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