
Der FC 05 Schweinfurt absolviert bis dato eine erfolgreiche Saison in der Fußball-Regionalliga Bayern. Und ist auch bekannt für eine aktive Fanszene. Im Spätsommer 2023 wurde erstmals eine neue Gruppierung mit einer Zaunfahne für die Öffentlichkeit erkennbar: JSM – "Jung. Sportlich. Motiviert." Deren Anführer Marc R. und zwei weitere Mitglieder wurden vom Verein Ende Oktober 2023 mit Hausverboten belegt. Der Grund: Es handle sich mutmaßlich um rechtsextremistische Hooligans, von denen eine Gefahr für die allgemeine Sicherheitslage ausgehe.
Im exklusiven Interview mit dieser Redaktion spricht der Rechtsextremismus-Experte Robert Claus über den Einfluss von Rechtsextremisten auf Fußball-Fanszenen sowie Trainingskulturen im Kampfsport. Der 41-jährige gebürtige Rostocker ist studierter Ethnologe und seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Hannoveraner Modellprojekt "Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport", das sich unter anderem mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschäftigt –gefördert vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.
Robert Claus: Der FC 05 ist ein Verein mit vergleichsweiser geringer medialer Aufmerksamkeit. Das Thema Hooliganismus beschränkt sich nicht auf die Erste und Zweite Liga, sondern ist überall da anzutreffen, wo es größere Fanszenen gibt. Hooligans sind ein elitärer, kleiner Kreis, der ein Gewalt- und Macht-Monopol ausüben will. Ich würde den Blick nicht nur auf Stadien richten. Es gibt Hooligans, die an Acker-Matches im Wald teilnehmen und sonst nicht großartig auffallen. Ein Großteil rechtsextrem motivierter Hooligans jedoch fällt durch politische Gewalt außerhalb der Spieltage auf. Das ist eine große Gefahr für Menschen, die nicht in ein rechtsextremistisches Weltbild passen.
Claus: Wir reden hier von einer Gruppe, die deutlich im Spektrum des militanten Neonazismus zu verorten ist. Im präterroristischen Milieu. Der Begriff stammt von Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke, der ihn anhand der rechtsextremistischen Szenen in Zwickau und Chemnitz in den 90er Jahren hergeleitet hat. Und diese als Sozialisationsraum für den später aufgedeckten Nationalsozialistischen Untergrund gesehen hat. Man muss sich nur anschauen, welche Thüringer Kontakte die Leute um Marc R. haben. Da ist man sehr schnell bei Knockout 51, von denen Mitglieder wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Auch wenn solche Gruppen nicht groß sind: Das sind mobilisierbare Netzwerke, die hochgradig gewaltkompetent und gefährlich sind.
Claus: Netzwerke und politische Ausrichtung sprechen deutlich dafür, dass wir bei der Gruppe über gewalttätige und politisch radikalisierte Akteure reden. Der "III. Weg" wiederum ist weniger eine auf Wahlen ausgerichtete Partei, denn ein parteipolitisches Schutzschild für Strukturen aus dem militanten Neonazismus.

Claus: Gewalttätige Fußballfans oder Rechtsextremisten haben grundsätzlich das Ziel, ohne Strafverfolgung zu bleiben. Deswegen bleiben sie im Erscheinungsbild möglichst unauffällig. Gleichzeitig gibt es extrem rechte und aus dem Hooliganismus stammende Bekleidungs-Labels wie "Label 23" (Anmerkung der Redaktion: 23 steht für die Buchstaben B und C, Boxing Connection). Der große Unterschied zu früheren Hooligan-Generationen ist, dass eine Teilprofessionalisierung im Kampfsport stattgefunden hat. Heute gibt es kaum noch Hooligans, die nicht Kampfsport trainieren. Wissenschaftlich sprechen wir über Aneignung von Gewaltkompetenz. Teilprofessionalisierung heißt auch: der Aufbau beruflicher Existenzen, zum Beispiel über die Gründung von Security-Firmen, den Vertrieb von Merchandise mittels eigener Kleidungsfirmen oder das Eröffnen von Kampfsportstudios.
Claus: Wir schauen besonders auf schädigungsorientierte Vollkontaktsportarten wie Kickboxen, Boxen oder Mixed Martial Arts. Das sind Disziplinen, die für Gewalttäter attraktiv sind, weil die sich technisch im Straßenkampf sehr gut anwenden lassen. Die Frage ist: Wie geht ein Studio mit den Themen Vielfalt, Antidiskriminierung, Gewalt und Rechtsextremismus um? Unser Projekt hat 2022 eine Studie zu Trainingskulturen veröffentlicht. Wir machen drei Kategorien aus. A) Proaktive, präventive Kampfstudios mit gelebtem Leitbild. B) Den indifferenten Typus, der sich erst auf medialen Druck von Extremismus abgrenzt. C) Kampfsportstudios, die als gewalt- und diskriminierungsoffen gelten, weil dort ein männerbündisches Gewaltideal in den Trainingsfokus gestellt wird. Dort geht es primär um Härte, das ist attraktiv für Personen aus demokratiefeindlichen Szenen.
Claus: Gewalttätige rechtsextreme Gruppen haben einen großen Fokus auf Fußball und Kampfsport. Gewalt dient dazu, im gegenseitigen Messen, die eigene Männlichkeit herzustellen. In einer Gedankenwelt, die sehr von Macht, Hierarchie und Dominanz geprägt ist. Über Fußball können sehr viele Menschen erreicht, über Kampfsport Gewaltfähigkeiten angeeignet werden. In beiden Umfeldern lässt sich Nachwuchs rekrutieren. Was leichter fällt, wenn die polizeilichen Strukturen rund um den Fußball nicht sehr stark ausgeprägt sind, oder es vor Ort keine antidiskriminierenden Gruppen gibt. Schweinfurt hat meines Wissens kein Fan-Projekt.
Claus: Leider ein Manko. Damit fehlen sozialpädagogische Angebote an die Fanszene, eine präventive Arbeit.

Claus: Das würde voraussetzen, dass sich menschenrechts- und demokratieorientierte Gruppen durchsetzen, den Raum für Rechtsextremisten klein halten und damit die politische Kultur einer Fanszene prägen. Entscheidend ist, wie sich führende Köpfe in der Fanszene positionieren. Das heißt aber nicht, dass der Verein nur zuschaut. Vereine haben die Aufgabe direkt mit den Fans zu kommunizieren und Projekte anzustoßen, zum Beispiel Gedenkstättenfahrten im Rahmen einer gesellschaftlich-politischen Bildung. Aber auch, die demokratischen Kräfte in der Szene zu stärken und zu schützen.
Claus: Es gibt die Abteilung "Gesellschaftliche Verantwortung" im DFB, wo Vereine sich Hilfe suchen können. Oder "KoFas", die "Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit", die Vereine im Umgang mit Rechtsextremismus berät sowie die Beratungsstelle für Inklusion und Vielfalt "Kickin!". Oder Faninitiativen wie "!Nie wieder". Oder die "Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball", die Workshops anbietet und gerade den Julius-Hirsch-Preis des DFB erhalten hat.

Claus: Er benötigt ein Leitbild, mit dem er sich zu Demokratie, Menschenrechten und Vielfalt positioniert – und gegen Rechtsextremismus. Um dieses Leitbild zu operationalisieren, benötigt man vier Arbeitsbereiche. 1. Eine aktive Fanarbeit in den Bereichen Prävention und Intervention, das heißt Bildungsangebote, beispielsweise eine Auseinandersetzung damit, wie sich der eigene Verein im Nationalsozialismus verhalten hat. 2. Netzwerkarbeit, eine vertrauliche Kooperation mit einem vor Ort bestehenden Bündnis gegen rechts, sowie Kontakt zu Kampfsportstudios. 3. Schulung aller Mitarbeiter im Umgang mit Rechtsextremisten, auch im Hinblick auf Symbolik und Kleidungsmarken. 4. Positionierung zu den Themen Vielfalt, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsextremismus, eventuell mit Motto-Shirts, Motto-Spieltagen oder Social-Media-Beiträgen.
Claus: Die kenne ich und die ist gut. Aber die Frage ist immer, wie hinterlegt ein Verein das in der Praxis mit einer gelebten Vereinskultur.
Claus: Borussia Dortmund. Ein Verein, der in den 2010er Jahren den Weg gemacht hat von einem passiven Umgang mit dem Thema zur Entwicklung vieler Maßnahmen. Zum Beispiel Fan-Tagungen zu Zivilcourage oder Workshops zum Thema Rassismus. Die Identifikation mit dem BVB hat daraufhin deutlich nachgelassen. Das war eine langfristige Entwicklung. Und die wird von Rechtsextremisten in ihren Foren entsprechend kritisch diskutiert.