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Tauberbischofsheim
IOC-Präsident Thomas Bach: Zerreißprobe zwischen Sport und Krieg
Der Lebenstraum von Thomas Bach erfüllt sich 2013 in Argentinien. Teil 3 unserer Serie widmet sich seinen zehn Jahren als IOC-Präsident zwischen Spielen, Krisen und Krieg.
Thomas Bach ist seit zehn Jahren IOC-Präsident. Damit ist der Ex-Fechter und Putin-Freund Herr der Olympischen Ringe und eines gigantischen Wirtschaftsbetriebs mit Milliarden-Umsätzen. 
Foto: Witters, dpa / GettyImages / Collage: Daniel Biscan | Thomas Bach ist seit zehn Jahren IOC-Präsident. Damit ist der Ex-Fechter und Putin-Freund Herr der Olympischen Ringe und eines gigantischen Wirtschaftsbetriebs mit Milliarden-Umsätzen. 
Achim Muth
 |  aktualisiert: 15.07.2024 15:11 Uhr

IOC-Präsident Thomas Bach (69) aus Tauberbischofsheim ist der mächtigste Mann im Weltsport. Vor zehn Jahren wurde er in Buenos Aires als erster Deutscher in dieses Amt gewählt. In einer dreiteiligen Serie porträtieren wir den Weg Bachs aus der Kleinstadt an der Tauber zum Fecht-Olympiasieger und an die Spitze der Olympischen Bewegung. Teil 3 und Schluss: Der Machtmensch.

Am Ufer des Rio de la Plata erfüllt sich am 10. September 2013 der Lebenstraum von Thomas Bach. Und manche mag es nicht überraschen, wer den frischgekürten IOC-Präsidenten nach der Wahl als erstes anruft: Russlands Präsident Wladimir Putin.

"Er hat mir gratuliert und eine gute Zusammenarbeit angekündigt", erzählt Bach dem Sportreporter Jürgen Höpfl, der für die Main-Post von der 125. IOC-Vollversammlung aus Buenos Aires berichtet und der den Funktionär seit Jahren journalistisch begleitet. Wie Bach stammt Höpfl, der 2015 verstorben ist, aus Tauberbischofsheim.

Höpfl beschreibt den nun mächtigsten Mann im Weltsport als "weit traditionsbehafteter und kleinbürgerlicher und konservativer, als seine Kritiker denken". Doch sollte diese Charakterisierung nicht auf eine falsche Fährte führen. Der Nachfolger des Belgiers Jacques Rogge ist ein Mann, der Ziele verfolgt. Thomas Bach selbst sagt damals: "IOC-Präsident wird man nicht, ohne es zu wollen." Der Plan geht auf.

Gerührt nimmt Thomas Bach den Applaus nach seiner Wahl zum IOC-Präsidenten im September 2013 in Buenos Aires entgegen.
Foto: Enrique Garcia Medina, dpa | Gerührt nimmt Thomas Bach den Applaus nach seiner Wahl zum IOC-Präsidenten im September 2013 in Buenos Aires entgegen.

"Bach ist ein Machtmensch durch und durch", sagt eine, die ihn ebenfalls gut kennt: Dagmar Freitag. Die 70-Jährige gehört von 1994 bis 2021 für die SPD dem Deutschen Bundestag an, von 2009 bis zu ihrem Ausscheiden ist sie dort Vorsitzende des Sportausschusses. Freitag ist tief verwurzelt in der Sportpolitik. Thomas Bach hat aus ihrer Sicht "einen ausgeprägten Sinn für Seilschaften und weiß, wie man Bünde schmiedet".

Thomas Bach ist der erste Deutsche IOC-Präsident, im höchsten Amt des Weltsports

Touché! Nun also ist der Fechter aus der tauberfränkischen Kleinstadt als erster Deutscher im höchsten Amt, das der Weltsport zu vergeben hat und das mit einer Aufwandsentschädigung von 225.000 Euro jährlich dotiert ist. Schon fünf Monate später wartet die erste Bewährungsprobe: die Olympischen Winterspiele im russischen Schwarzmeer-Badeort Sotschi.

Wenige Tage nach seiner Wahl zum IOC-Präsidenten in Argentinien wird Thomas Bach im Rathaus seiner Heimatstadt Tauberbischofsheim empfangen.
Foto: Christoph Weiß | Wenige Tage nach seiner Wahl zum IOC-Präsidenten in Argentinien wird Thomas Bach im Rathaus seiner Heimatstadt Tauberbischofsheim empfangen.

Eine Bewährungsprobe, das werden die Spiele tatsächlich. Aber anders als erwartet – und etwas später. Im Dezember 2014, ein dreiviertel Jahr nach Olympia, berichtet die ARD über systematisches Doping in Russland.

Weitere Recherchen folgen, ehe die "New York Times" im Frühjahr 2016 unter Berufung auf einen Kronzeugen enthüllt, dass bei Olympia in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten auf staatliche Anordnung vertauscht und die Fälle vertuscht worden sind. Thomas Bach spricht damals von "schockierenden Dimensionen".

Thomas Bach besucht die Paralympics in Rio nicht

Die Reaktionen gegenüber Russland wenige Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Rio indes fallen milde aus. Während das Internationale Paralympische Komitee alle russischen Athletinnen und Athleten von der Teilnahme ausschließt, verzichtet das IOC auf eine generelle Sperre.

Thomas Bach besucht – anders als seine Vorgänger – die Paralympics nicht. Eine Riposte des Ex-Fechters? Offiziell begründet er seine Abwesenheit mit der Beerdigung seines FDP-Parteifreundes Walter Scheel. In den Medien und von Funktionären wird dem 69-Jährigen indes ein beschämender Umgang mit dem Behindertensport vorgeworfen.

Thomas Bach und Russlands Präsident Wladimir Putin. Die beiden verbindet eine Freundschaft, Bach selbst hat sich einmal als 'Russenversteher' bezeichnet.
Foto: Yuri Kadobnov, dpa | Thomas Bach und Russlands Präsident Wladimir Putin. Die beiden verbindet eine Freundschaft, Bach selbst hat sich einmal als "Russenversteher" bezeichnet.

Im Doping-Skandal steht Thomas Bach in der Kritik

Im Frühsommer 2023 sitzt Clemens Prokop unweit des Regensburger Landgerichts in einem Café und bewertet den Doping-Skandal im Rückblick.

"Meine prägende Wahrnehmung von Bach ist, dass er keinen klaren sportpolitischen Leitfaden hat", sagt Prokop, von 2001 bis 2017 Präsident des Deutschen Leitathletik-Verbandes. "Als die Skandale um manipulierte Dopingkontrollen bei Olympia in Sotschi und das russische Staatsdoping bekannt wurden, hat er für mich vollkommen unverständlich argumentiert."

Prokop weiter: "Wenn man ein Land von der Olympia-Teilnahme ausschließen muss, weil es gegen die Prinzipien der Olympischen Charta verstoßen hat, dann wäre es Russland nach Sotschi gewesen. Mit der Zulassung russischer Athleten bei Olympia 2016 in Rio trotz erwiesenen Betrugs wurde der Olympische Geist mit Füßen getreten."

Während der Olympischen Spiele 2016 in Rio versucht sich IOC-Präsident Thomas Bach als Strandkicker.
Foto: Imago | Während der Olympischen Spiele 2016 in Rio versucht sich IOC-Präsident Thomas Bach als Strandkicker.

Das IOC sieht sich zunehmend mit Kritik konfrontiert: Sucht Olympia die Nähe zu Autokraten – wie bei den Winterspielen 2022 in Peking? "Das IOC geht bevorzugt dorthin, wo es die besten Sponsoringverträge abschließen kann und wo die Bevölkerung möglichst keinen Ärger macht", sagt Dagmar Freitag. "Olympische Spiele in Staaten wie Russland und China sind eine Win-Win-Situation: Das IOC hat seine Ruhe und der Präsident kann sich mit den mächtigsten Männern der Welt auf dem roten Teppich feiern lassen."

Autokraten betreiben laut Freitag "mit großem Ehrgeiz und leider auch Erfolg das, was als Sportswashing bezeichnet wird: Volle Stadien und begeisterte Menschen sorgen für schöne Fotos, die um die Welt gehen und so das öffentliche Bild dieser Länder und natürlich auch ihrer Staatschefs prägen".

'Bach zerstört die letzten Olympischen Werte': Dagmar Freitag, die frühere Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestags.
Foto: Sven Hoppe, dpa | "Bach zerstört die letzten Olympischen Werte": Dagmar Freitag, die frühere Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestags.

Thomas Bach, findet die ehemalige Bundespolitikerin Dagmar Freitag, agiere selbst wie ein Alleinherrscher: "Bach ist das IOC. Außer ihm spricht dort niemand. Und wer je öffentlich eine abweichende Meinung äußerte, wurde abgestraft", sagt Freitag. "Wo Thomas Bach ist, ist kein Platz für jemand anderen."

Wenige Tage nach Olympia fallen russische Bomben auf die Ukraine

Die Zeiten werden nicht ruhiger. Nicht für Bach. Und schon gar nicht für die Menschen in der Ukraine. Wenige Tage nach Ende der Olympischen Spiele in Peking lässt Wladimir Putin den Nachbarstaat überfallen und Bomben auf Kiew werfen. Eine Eskalation, die die Welt erschüttert – und auch das IOC vor eine Zerreißprobe stellt.

In einer Mitteilung kurz nach Kriegsbeginn empfiehlt die IOC-Exekutive, dass internationale Sportverbände die Teilnahme russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten an internationalen Wettbewerben nicht erlauben sollten.

Russlands Krieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter: Hier löschen Feuerwehrleute Ende August ein Feuer nach einem Raketenangriff nahe Kiew.
Foto: Ukrinform/dpa | Russlands Krieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter: Hier löschen Feuerwehrleute Ende August ein Feuer nach einem Raketenangriff nahe Kiew.

Ein Jahr später mit vielen Toten, Leid und Schmerz und erbitterten Kämpfen, öffnet Bach vor den Olympischen Spielen in Paris plötzlich Russland die Türe: Das IOC empfiehlt, russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler sollten unter neutraler Flagge wieder zugelassen werden.

Eine Anfrage dieser Redaktion an Thomas Bach zu den Gründen beantwortet sein Sprecher mit einem Verweis auf ein Ende Juli veröffentlichtes Frage-und-Antwort-Stück des IOC. Dort heißt es: Die Entscheidung nach Kriegsbeginn 2022 traf das IOC, "weil die Regierungen begannen, sich einzumischen und darüber zu entscheiden, wer an welchen Wettbewerb teilnehmen darf". Außerdem bestand aufgrund der "stark emotional aufgeladenen Situation" auch die Möglichkeit "von Sicherheitsrisiken für russische und belarussische Athleten" bei einer Teilnahme.  

Nun aber habe das IOC erkannt, dass die Teilnahme von neutralen Athleten aus Russland bei internationalen Wettbewerben bereits umgesetzt worden sei "und funktioniert". Zudem haben zwei Sonderberichterstatterinnen des Menschenrechtsrates der UN das IOC darauf hingewiesen, dass ein pauschales Verbot "diskriminierend wäre und eine eklatante Verletzung der Menschenrechte darstellen würde". Das IOC habe aus der internationalen Staatengemeinschaft "viel Unterstützung" für diesen Kurs erhalten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur IOC-Entscheidung: "Eine Zumutung"

An Anfrage der Main-Post sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Februar jedoch: Sie fände es "eine Zumutung für die Ukraine, wenn russische Sportler zu Olympia zugelassen werden".

Und auch für Clemens Prokop ist diese Kehrtwende nicht nachvollziehbar: "Ich frage mich: Was hat sich nach einem Jahr Krieg geändert in der moralischen und juristischen Bewertung? Das ist für mich bei der Intelligenz von Thomas Bach ein verblüffender Bruch der Logik." Der Leichtathletik-Weltverband habe die Verbannung indes aufrechterhalten. "Das geht also", sagt Prokop, wie Bach selbst Jurist.

Die ukrainische Fechterin Olga Charlan verweigerte bei der WM in Mailand ihrer russischen Kontrahentin den Handschlag – und wurde daraufhin zunächst disqualifziert.
Foto: Tibor Illyes, dpa | Die ukrainische Fechterin Olga Charlan verweigerte bei der WM in Mailand ihrer russischen Kontrahentin den Handschlag – und wurde daraufhin zunächst disqualifziert.

Dagmar Freitag findet, Bach habe "die Problematik erneut auf die Weltverbände verlagert". Denn funktioniert die Teilnahme neutraler Athletinnen und Athleten tatsächlich reibungslos? Anders als der Leichtathletik-Weltverband lässt etwa der Welt-Fechtverband russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler unter neutraler Flagge starten.

"Wohin das führt, haben wir bei der Fecht-WM gesehen", sagt Freitag. "Dort wurde eine siegreiche ukrainische Sportlerin zunächst disqualifiziert, weil sie ihrer russischen Gegnerin den Handschlag verweigerte. Erst weltweiter öffentlicher Protest führte zur Rücknahme der Disqualifikation." Solche Vorkommnisse seien "allein das Ergebnis der Politik von Thomas Bach und zudem ein menschliches Desaster".

In einem Worst-Case-Szenario, so Freitag, nehmen die ukrainischen Athletinnen und Athleten nicht an den Olympischen und Paralympischen teil und sogenannte "individuelle neutrale Russen" sahnen die Medaillen ab: "Perfider geht es nicht." Bach kritisiere diejenigen, deren Land tagtäglich zerbombt wird und in dem auch schon Athletinnen und Athleten ihr Leben verloren hätten: "Mit seinem Vorgehen zerstört er die letzten Olympischen Werte und Ideale."

Zehn Jahre IOC-Präsident: An den moralischen Herausforderungen gescheitert?

Seit zehn Jahren steht Thomas Bach an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees. Zeit für eine Bilanz. Sein ehemaliger Fechtkollege Matthias Behr sagt, dass Bach "den deutschen und internationalen Leistungssport – trotz aller Wenn und Aber – in die Zukunft geführt hat. Sein Vermächtnis für das IOC wird riesengroß sein".

Bachs Ruf in der Heimat in Tauberbischofsheim ist weitgehend unbeschadet. Einmal Bischemer, immer Bischemer. Das Rathaus plant bereits eine Feier zu Bachs 70. Geburtstag im Dezember. 

Kritischer fällt die Bewertung von Clemens Prokop aus: Bachs proklamierte Autonomie des Sports sei "eine Illusion". Sport und Politik könne man nicht trennen. "Sport wird von vielen Systemen wenn nicht als Ersatzkrieg, so doch als Profilierung verwendet. Sport ist eben nicht der individuelle Vergleich, sondern auch der Vergleich von politischen Systemen, sonst würde die Bundesregierung nicht mit Millionen den Hochleistungssport unterstützen."

Herr der Ringe: Nach zehn Jahren fällt die Bilanz von Thomas Bachs Amtszeit als IOC-Präsident durchaus gemischt aus.  
Foto: Jean-Christophe Bott, dpa | Herr der Ringe: Nach zehn Jahren fällt die Bilanz von Thomas Bachs Amtszeit als IOC-Präsident durchaus gemischt aus.  

Bachs Vermächtnis? Prokop wird nachdenklich: "Es ist schwierig, bereits vor dem Ende der Amtszeit ein Resümee zu ziehen." Er honoriert Bachs Reformen, die er im IOC angestoßen habe. Olympia wird nachhaltiger. Paris hat angekündigt, den CO²-Fußabdruck im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Sommerspielen zu halbieren. "Olympiastädte können Wettbewerbe auch außerhalb machen, wenn dort bereits eine Infrastruktur vorhanden ist. Das ist sinnvoll", sagt Prokop.

Er sagt aber auch: "Ich glaube, dass er der IOC-Präsident sein wird, der an den moralischen Herausforderungen des Sports gescheitert ist und den Sport hierdurch der Gefahr einer Spaltung aussetzt."

Hat Thomas Bach künftig mehr Zeit zum Skatspielen in Tauberbischofsheim?

So oder so. Thomas Bach dräut das Ende seiner Amtszeit. 2025 ist turnusgemäß nach zwölf Jahren Schluss. Er werde sich zurückziehen, dem Sport aber mit Leidenschaft verbunden bleiben, hat er gegenüber dieser Redaktion gesagt.

Vielleicht zieht es ihn zurück aus der Schweiz ins Taubertal? Dass er oft viel zu wenig Zeit für die Skatrunde mit Freunde habe, hat er beklagt: "Ich hoffe, dass sich das nach meiner Amtszeit beim IOC ändert."

Dagmar Freitag präsentiert noch eine Variante: "Ich wäre keinesfalls überrascht, wenn er sich von der IOC-Vollversammlung bitten lassen würde, noch vier Jahre dranzuhängen – und dafür die Statuten zu ändern."

Die beiden ersten Teile unserer dreiteiligen Serie über Thomas Bach: Teil 1 befasst sich mit der Fecht-Karriere von Bach für den FC Tauberbischofsheim; Teil 2 zeichnet nach, wie Thomas Bach an der Würzburger Universität seine Doktorarbeit ablegt und wie ihn Juan Antonio Samaranch im IOC fördert.

 
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