Die Winterspiele 2014 in Sotschi, die an diesem Freitag beginnen, kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das sollten und dürfen selbst die Herren der Ringe im Internationalen Olympischen Komitee, dem für Zweitmeinungen ansonsten wenig empfänglichen IOC, nicht bestreiten: Die olympische Idee steht mitsamt ihrer historischen Ideale mehr denn je zur Debatte. Das Volk hinterfragt generell den Sinn überbordender Veranstaltungen, die eine Stadt drei Wochenenden lang in einen teuren und überdimensionalen Ausnahmezustand versetzen, ehe sie in eine langwierige Nachdepression verfällt. Obendrein führt das leidige Doping- problem auch nicht gerade dazu, dass die Menschen dem Spitzensport und seinen Vertretern ohne Misstrauen huldigen.
In einer Hinsicht aber wäre und ist das IOC schlicht überfordert, wenn es schon der Rest der Welt nicht so ohne Weiteres schafft: Der Sport kann nicht jenes Unbehagen beseitigen, das einen beim Gedanken an die Politik des russischen Staatschefs Wladimir Putin befällt. Vor allem nicht unter dem neuen Ober-Olympier Thomas Bach – der hat die Trennung von Sport und Politik seit dem Olympia-Boykott von Moskau 1980 zum Credo erklärt.
Russland war schon seinerzeit ein olympischer Krisenherd. Aber auch andere Gastgeberstädte standen durch die Spiele im Zentrum einer verstärkten Widermeinung, ohne dass sich etwas verändert hätte: Albertville verschandelte für die Winterspiele 1992 die französischen Alpen, indem es eine seelenlose Retortenkulisse errichtete. Salt Lake City 2002 hatte ein gnadenloses Korruptionsproblem. Und Peking 2008, nun ja, scherte sich sowieso um nichts, aber auch gar nichts, was man von außen zart erhofft hatte. In Sotschi wird also nicht die erste olympische Veranstaltung stattfinden, bei der üble Naturzerstörungen, undurchsichtige Schiebereien und politische Großmannssucht vorherrschen. Spiele wie in Barcelona 1992, Lillehammer 1994, Sydney 2000 oder London 2012, die sämtlichen Bedenken trotzten, wo am Ende der Nutzwert und Imagegewinn den Aufwand gerechtfertigt haben, sind da eher eine Ausnahme.
Die Frage ist derweil, wie das IOC als Co-Gastgeber neben Putin mit dem Dilemma umgeht. Doch hier drängt sich der fast unangenehme Eindruck auf, dass die traditionell schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Strategen vom Genfer See, wo das Komitee in Lausanne logiert, auch unter Thomas Bach bisher keine Verbesserung erfahren hat. Es wirkt fast ein bisschen beleidigt, wenn sich der neue Boss nun hinstellt und Staatsoberhäupter tadelt, die auf ihren Besuch vor Ort verzichten. Schön zu erfahren war es, freilich arg spät dafür, dass die Winterspiele stattfinden, wo sie stattfinden – weil das IOC olympische Anschubhilfe leistet: Der Wintersportnation Russland waren nach dem Zerfall der Sowjetunion die Sportstätten verlustig gegangen. Teilweise wurden russische Landesmeisterschaften bis nach Berlin verlegt.
Ob der Sommerkurort Sotschi am Schwarzen Meer der geeignete Anschubstandort ist, darf jedenfalls verneint werden – er ist eine absurde Wahl und der Beweis, wie Putin das IOC überfahren hat. Wird von diesen Winterspielen, die als solche nie den Charme von Sommerspielen und deutlich weniger Freunde haben, irgendein brauchbarer Impuls für die olympische Idee ausgehen, die dergleichen bedarf? Das ist ohne Vorab-Skepsis fraglich.