Oh doch, es gab mal eine Zeit, in der sich ein Thomas Bach noch einigermaßen ungezwungen und locker sogar über ein leidiges Thema wie Doping äußern konnte – wobei locker zu sein schon seinerzeit nicht seine kennzeichnende Stärke war. „Womit dopen Sie sich persönlich?“, lautete die artige Frage für eines der damals in allerlei Postillen üblichen „Selbstporträts“ im Juli des Jahres 1991. Bach war gerade als einfaches deutsches Mitglied recht jung ins Internationale Olympische Komitee berufen worden, die unter ihrem Kürzel „IOC“ berühmt-berüchtigte Altherren-Funktionärsriege, und schaute den Fragesteller an, als wolle er ihm von hinterm Schreibtisch eine süffige Parade Riposte verpassen, eine Konterattacke nach feinster Fechtermanier. Dann aber besann er sich auf jenen freundlicheren, heiter-distanzierten Tonfall mit Taubertäler Klangfärbung, die nach wie vor bei ihm durchdringt, wenn die Bürde des Amtes abfällt und der Charakter der Unterhaltung ein privaterer wird.
Womit er sich also selbst dope? „Mit roten Burgunderweinen“, sagte der anno 1991 noch taufrisch auftretende 37-jährige Jung-Anwalt – und freute sich selbst ein bisschen über seine Überraschungsantwort, die ihm heute garantiert nur wieder irgendwer um die Ohren hauen dürfte. Nichts auf der Welt könnte den inzwischen bestens situierten, in den höchsten Gesellschaftskreisen agierenden, freilich auch sehr häufig kritisierten 59-Jährigen mehr dazu bewegen, dergleichen zu artikulieren. Sachlich, aber hörbar unwirsch würde er den Fragesteller um ein neues Thema bitten, ein nicht gar so verfängliches.
Es gab noch eine weitere Frage, die diesen Thomas Bach andauernd genervt hat, die ihn permanent verfolgt hat: Er bekam diese Frage gestellt, wann auch immer und wo auch immer er auftrat in all jenen 22 Jahren, seit er bei der 97. IOC-Vollversammlung in Birmingham zum Herrn der Ringe geworden und rasch in deren Führungszirkel aufgestiegen war und sich dort behauptet hatte, bis er endlich doch mal klar erklärte, dass er bei der 125. Vollversammlung in Buenos Aires am 10. September tatsächlich IOC-Präsident werden möchte. Bis dato hatte er beharrlich wiederholt, sich eine solche Frage eben nicht zu stellen. Und doch bestand in seinem Umfeld, unter Weggefährten und sportpolitischen Freunden, die existieren sollen, ebenso wie unter Gegnern und Gegenrednern, die ganz zweifellos existieren, nie ein Zweifel an Bachs konsequentem Streben nach dem höchsten Amt im Weltsport. Wenn neben dem „Da-will-ich-rein“-Rütteln eines gewissen Gerhard Schröder am Zaun des Kanzleramtes jemals ein germanischer Karrierewunsch existierte, der ähnlich ehrgeizig und fest und logisch über einen langen Zeitraum angepeilt wurde, dann war es der des Tauberbischofsheimer Fecht-Olympiasiegers von 1976. Weit mehr als insgeheim dachte der spätestens mit 30 daran, Widerspruch ist zwecklos, nicht bloß Sportfunktionär zu werden, sondern als solcher ein Mann von höchstmöglichem Einfluss. IOC-Präsident, was denn sonst. Papst der olympischen Bewegung. Selbst Joseph Ratzinger war sich seiner Sache vor dem Benedikt-Dasein nicht sicherer.
Entsprechend selten sind sich die Weggefährten eines Menschen einiger als bei Thomas Bach. „Er ist unheimlich fokussiert und weiß stets, wo er hin will“, sagt Ex-„Eurosport“-Reporter Jochen Färber, den der Präsidentschaftskandidat unter anderem als Pressesprecher bei der Münchener Winterspiele-Bewerbung, einer der lästigsten Pannen in seiner Laufbahn, installierte: „Und es ist phänomenal, wie er Leute zu motivieren versteht.“ Ob im UN-Hauptquartier oder in einer Kneipe, Bach spreche sofort die Sprache der jeweiligen Personen, stelle sich unheimlich rasch auf ständig wechselnde Umgebungen ein. Dass der Chef, äh, in seinen bevorzugt frei gehaltenen Reden zunehmend, äh, hat indes auch Färber bereits festgestellt und, äh, Pardon, beanstanden dürfen: „Aber die Ähs dienen irgendwie auch seiner Gedankenfindung im Redefluss.“
„Ich bewundere an ihm die hohe Professionalität bei allem, was er tut“, erklärt Bachs langjähriger Mitstreiter Matthias Behr, mit dem er einst 1976 in Montreal olympisches Florett-Mannschaftsgold gewann: „Wie kein Zweiter weiß er, nach Schritt eins kommt Schritt zwei und nicht Schritt fünf.“ Schon beim Fechter Bach habe die Taktik sein Handeln bestimmt und vorgegeben, weiß der heutige Leiter des Olympiastützpunkts, den sie im Team den „Langen“ riefen. „Zeige mir, wie du fichst, und ich sage dir, wie du bist“, sagt Behr: „Der Thomas war von der Größe her kleiner, aber gleichzeitig schneller und impulsiver. Er konnte warten und warten und die Gegner studieren. Aber sobald er die Chance zum Angriff sah, hatte er den Drang zu diesem Angriff.“ Ein Taktiker mit Vorliebe für schnelle Gegenattacken, lässt sich konstatieren.
„Er ist ein Perfektionist“, fasst Hans Holzer seine vier, fast fünf Jahrzehnte engen Kontakts mit diesem Taktiker zusammen, den er als Fechtschüler kennenlernte und später als Mercedes-Mann durch die Weltgeschichte begleitete und dann und wann auch mal chauffierte: Über die Niederlassung in Bachs Studiumsstadt Würzburg, wo er regelmäßig gerne im Restaurant „Backöfele“ weilt, wickelte das IOC etwa jahrelang das „Olympic Solidarity“-Programm ab, durch dessen Gelder Autos in die sportliche Entwicklungshilfe auf dem kompletten Kontinent flossen, eine der nachhaltigeren Initiativen der hohen Olympier. „Aber es gab Fahrten, da sind wir stundenlang schweigend dagesessen, oder der Thomas hat durchgehend nur telefoniert“, erzählt Holzer – und ist trotzdem einer der wenigen Gefährten, die dem eher verschlossenen Privatmenschen Bach näher stehen als der Rest der Welt. Holzer kennt die Geschichte, wie sein prominenter Kumpel am „Schiff“, dem Matthias-Grünewald-Gymnasium der Heimatstadt, seine spätere Gattin Claudia ansprach, er verrät sie aber nicht. Einerseits aus Respekt, andererseits aus der Jovialität des Kart-Kumpels: Denn einmal im Vierteljahr hält Bach seine reizende Skatrunde mit dem Hans, dem Karl-Frieder, Friedel und Jürgen aufrecht, meist in der Wohnung am Rande des Tauberbischofsheimer Altstadtkerns, die Bach nebst der Zweitadresse in der Nähe Herzogenaurachs, die er in den achtziger Jahren als umtriebiger und umstrittener „adidas“-Manager bezog, entgegen anderslautenden Gerüchten nach wie vor unterhält. Falls er IOC-Präsident werden sollte, käme Lausanne als dritter fester Wohnsitz hinzu, hat er angekündigt: Mit der Terminierung der Skatrunde, das steht fest, würde es dann schwieriger.
Apropos IOC-Präsident: Auch Juan Antonio Samaranch war schon zu Gast bei den Bachs daheim: der schon zu Lebzeiten greise Spanier auf dem IOC-Thron, der den Deutschen zu seinem persönlichen Liebling auserkoren und wie kein Zweiter gefördert hatte. Dass sich Samaranch während des Franco-Regimes nicht als Sympathieträger positioniert hatte und viele unglückliche Entwicklungen der olympischen Historie mit diesem Präsidenten verknüpft sind, all dies dient Bach unterdessen nicht nur zur Ehre – es wird ihm meist angelastet. Und auch das anfangs enge und dann nahezu abgebrochene Verhältnis zu Emil Beck, dem erklärten Ziehvater des früh zum Halbwaisen gewordenen Bach (Vater Andreas führte ein Bekleidungsgeschäft gegenüber der Sparkasse am heimischen Sonnenplatz), ist eines der von den Bach-Kritikern meist beanstandeten Kapitel in Bachs Vita. Denn wie über Samaranch lastet posthum ein Makel über Beck, dem beim Geld-Beschaffen kein grenzwertiger Trick zu krumm schien. Der vom Fechten besessene Begründer des Tauberbischofsheimer Fechtwunders, zu dessen zweitem Olympia-Goldgewinn Thomas Bach 1976 beigetragen hatte, er formte den „Dommas“ nach seinen Vorstellungen. Der schwamm sich irgendwann frei, suchte Abstand, entfernte sich von Beck. Der beweinte öffentlich, dass der Ziehsohn doch alles, auch den Einstieg in die Funktionärsebene, ihm allein verdanke. Als Bach dem großen Emil weiterhin die kalte Schulter zeigte, erklärte dieser ihn für „gefährlich“, doch stürzte Beck 1999 nicht über Bach, sondern über sich selbst. Als IOC-Vizepräsident Bach am 29. Dezember 2003 seinen 50. Geburtstag mit einer in Tauberbischofsheim nie davor und nie danach erlebten VIP-Menge feierte, darunter ein Franz Beckenbauer, ein Otto Schily und FDP-Parteifreund Hans-Dietrich Genscher, hatte er Beck zwar eingeladen, alles andere wäre des Affronts zu viel gewesen. Doch Beck war in die hinterste Ecke der Festhalle platziert, saß dort unbeachtet und deprimiert, ging früher. Erst als der gebrochene Medaillenschmied 2006 beerdigt wurde, fand Thomas Bach den Weg wirklich zum Überpapa zurück – und weinte während seiner Abschiedsrede vor dem Sarg in der St.-Martinskirche bitterlichst. Und lediglich die Anwesenden, die den Redner eben partout nicht leiden können, unterstellten ihm, dass auch diese Emotionen nicht von Herzen gekommen seien.
Eine Herzensangelegenheit, ja ein Grundmotiv seiner sportpolitischen Arbeit, ist in jedem Falle das, was Thomas Bach 1980 tatenlos mit ansehen musste – der Olympia-Boykott von Moskau nach der russischen Invasion in Afghanistan. Bach erklärte und erklärt die Nicht-Einmischung staatlich-politischer Denkmuster in den Sport zum Credo und obersten Ziel seiner Funktionärssicht, und manchmal ist es beinahe so, dass er sich damit selbst im Wege steht. Denn ein Teil der lauten Kritik, die sich in den letzten Wochen über ihn ergoss, zufällig oder nicht zufällig vor den Wahlen des IOC-Präsidenten, seinem Lebensziel, ein Teil dieser Kritik bezieht sich auf Bachs ebenso folgerichtige wie folgenschwere Weigerung, die Dopingseuche per staatlicher Gesetzgebung zu verfolgen. Undenkbar für den geistigen Immer-Noch-Athleten Bach, der die Eigenständigkeit des Sports seit Moskau 1980 beschwört – und darauf verzichten musste, das Gold der deutschen Florettmänner von 1976 in Montreal zu verteidigen. „Ein Außenstehender kann sich nur schwer vorstellen, was für ein No-Go dieser aufgezwungene Olympia-Boykott für ihn und uns alle war, in der Blüte unserer jungen Jahre“, weiß Gold-Teamgefährte Matthias Behr: „Das trieb ihn unheimlich an.“
Insofern bleibt Buenos Aires 1977 der Moment des größten sportlichen Erfolges für diesen Thomas Bach. Ausgerechnet in der Hauptstadt Argentiniens, wo der Ex-Fechter in diesen für ihn aufgrund der Stimmung ob der Dopingdiskussion harten Tagen sein Lebensziel erreichen will, hatte sich 1977 in einer schäbigen, umfunktionierten Viehmarkthalle eine der irrsten WM-Entscheidungen in der Fecht-Geschichte ereignet. Bach, Behr & Co. waren als aktuelle Olympiasieger angereist und hatten sich erneut dem ob der 1976er-Niederlage noch wütenden Dauerrivalen Italien zu stellen. „Zu einem Titel kann man als Außenseiter ja mal durchstolpern“, lächelt Behr in der seligen Erinnerung: „Und irgendwie war das in Montreal so ein Gefühl wie durchgestolpert, Glück gehabt!“ Solch einen Titel zu bestätigen, das macht wahre Meister aus. Doch in der Nacht vor dem WM-Finale in Buenos Aires gab es im Mannschaftshotel der Deutschen eine Bombendrohung gegen den dort zufällig ebenfalls eingebuchten Schmusebarden Barry White, alle mussten raus. Am nächsten Tag lag die Beck-Equipe schon 0:5 und 1:7 nach Gefechten in der im argentinischen Winter ungeheizten Halle zurück. „Wir froren erbärmlich, und überall stank es wie im Kuhstall“, erzählt Behr. Dann eröffnete Kollege Bach die sensationelle Aufholjagd, die 8:8 nach Gefechten, aber nach Treffern für die Deutschen endete. „Das Wahnsinnigste, was ich je erlebt habe!“, ist bei Behr wie bei Bach die Erinnerung lebendig.
Taktieren allein genügt nicht, ist seitdem die eine Erfahrung aus dem bislang schönsten Sieg des Thomas Bach. Dazu braucht’s auch eine gewaltige Portion Kampfgeist für den Triumph – ob, wie 1977 erlebt, in einer Viehmarkthalle. Oder, wie 2013 in derselben Stadt angestrebt, im Kongresszentrum des Hilton-Hotels. Ein Bach, soviel ist bei aller Distanz klar, bringt beide Talente mit.
Thomas Bach
Der Tauberbischofsheimer, geboren am 29. Dezember 1953 in Würzburg, war bereits von 2000 bis 2004 Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und ist dies seit 2006 wieder; zudem amtiert er seit 2006 als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Der nach wie vor mit einer eigenen Kanzlei in seiner Heimatstadt Tauberbischofsheim aktive Anwalt studierte in Würzburg und legte hier 1983 seine Doktorarbeit unter dem Titel „Der Einfluss von Prognosen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ vor. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der in kuwaitischen Händen befindlichen „Michael Weinig AG“, dem weltweit größten Hersteller von Maschinen und Systemen zur Holzverarbeitung, in seiner Heimatstadt. Von 1985 bis 1987 war der kinderlos verheiratete Bach außerdem Direktor für internationale Beziehungen bei „adidas“, von 2000 bis 2008 Berater der „Siemens AG“, was ihm wegen einer Vergütung von angeblich 400 000 Euro pro Jahr erhebliche Kritik einbrachte. Der einzig lebende Ehrenbürger von Tauberbischofsheim ist seit 2006 obendrein Präsident der „Arab-German Chamber of Commerce and Industry“. Rein sportlich betrachtet war er 1976 mit der Florett-Mannschaft in Montreal einer der ersten Olympiasieger aus der späteren Medaillenschmiede von Deutschlands „Fechtpapst“ Emil Beck. 1977 wurde er dann mit der Florett-Equipe Weltmeister in Buenos Aires, wo er am 10. September gegen fünf Mitbewerber um das Amt des IOC-Präsidenten in Nachfolge des Belgiers Jacques Rogge antritt.
die Überschrift dieses Hoheliedes auf Thomas Bach müsste lauten:
Thomas Bach - der Machtmensch
Kritischer Journalismus sieht für mich demnach wie folgt aus:
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2013/0829/ioc.php5