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Giebelstadt
Zeitzeugin über die Bombardierung des Flugplatzes Giebelstadt vor 80 Jahren: "Alles, bloß nicht wieder Krieg!"
Giebelstadt war wegen seines Flugplatzes im Zweiten Weltkrieg immer wieder Ziel schwerer Bombenangriffe. Eine 93-jährige Giebelstädterin hat den Angriff vom 22. März 1945 miterlebt.
Ihre Erinnerungen an die Bombardierung Giebelstadts sind eindringlich: Die 93-jährige Charlotte Steglich hat die Explosion der Bomben damals aus unmittelbarer Nähe miterlebt.
Foto: Thomas Obermeier | Ihre Erinnerungen an die Bombardierung Giebelstadts sind eindringlich: Die 93-jährige Charlotte Steglich hat die Explosion der Bomben damals aus unmittelbarer Nähe miterlebt.
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 27.03.2025 02:39 Uhr

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 22. März 1945, wurde Giebelstadt von einem schweren Bombenangriff erschüttert: 2383 Bomben wurden über Giebelstadt und dem Fliegerhorst abgeworfen, zwei Soldaten und neun Zivilisten kamen dabei ums Leben. Die Giebelstädterin Charlotte Steglich war damals 13 Jahre alt und hat die Bombardierung miterlebt. Beim Gespräch in ihrer Wohnung erzählt die 93-Jährige von ihren Erinnerungen.

Charlotte Steglich kam als Kind mit ihrer Familie von Karlburg (Lkr. Main-Spessart) nach Giebelstadt – ihr Vater hatte 1935 Arbeit auf dem Militärflugplatz gefunden. Dass Giebelstadt aufgrund des Flugplatzes Ziel eines Bombenangriffs werden könnte, war den Einwohnern bewusst: "Wir haben immer damit gerechnet", sagt Steglich. Die Familie wohnte in der Westsiedlung, in unmittelbarer Nähe zum Flugplatz. Auf diesen gab es in den letzten zwei Kriegsjahren vier große Luftangriffe: am 10. September und am 3. Oktober 1944, am 25. Februar und am 22. März 1945.

Schreckliche Szenen nach Bombardierung Würzburgs

Dem Angriff am 22. März ging am 16. März die Bombardierung Würzburgs voraus. Charlotte Steglich erinnert sich, wie sie und andere Giebelstädter das Geschehen am Horizont beobachteten. "Als die ersten Bomben niedergingen, haben wir Kinder wie bei einem Feuerwerk über den hellen Schein und die Flammen gestaunt – so etwas hatten wir noch nie gesehen." Erst an den Reaktionen der Erwachsenen begriffen sie, dass gerade etwas Schreckliches passierte. "Sie haben gerufen, 'jetzt machen sie unser Würzburg kaputt!'", erinnert sich Steglich. "Dann haben alle geweint. Das war ganz fürchterlich."

Am nächsten Tag fuhren die 13-Jährige und ihre Mutter mit dem Fahrrad in die Stadt, um nach zwei Tanten, die dort wohnten, zu suchen. Es erwarteten sie schreckliche Szenen: "Ich war außer mir, dass unser schönes Würzburg so zerstört war", sagt Steglich. Auf der Suche nach den Tanten kamen sie auch in die Hofstraße. "Dort waren Leichen aneinandergereiht, die ganze Straße hinunter, in zwei Reihen, mit den Köpfen zueinander", so Steglich. "Dieses Bild werde ich nie vergessen."

Auf dem Weg nach Hause nahmen Tiefflieger das Mädchen und ihre Mutter ins Visier: "Wir sind gerade noch vom Rad gesprungen und haben uns in den Straßengraben geschmissen."

Klassenkamerad verliert beim Angriff fast ganze Familie

Knapp eine Woche später, am 22. März, kommt es zum Angriff auf den Giebelstädter Flugplatz. "Mitten am Tag gingen die Sirenen an und wir mussten in den Keller", berichtet Steglich. Ihr drei Jahre älterer Bruder Bruno ist beim Angriff nicht da, und so sind es die 13-jährige Charlotte, ihr siebenjähriger Bruder Josef und ihre Mutter, die sich im mit Stützen gesicherten Keller ihres Hauses auf den Boden kauern. "Wir haben die Flugzeuge gehört, ein starkes Brummen. Plötzlich kam der erste Einschlag. Es krachte, dann ging es Schlag auf Schlag und mehrere Bomben kamen runter."

Die Stützen halten die Kellerdecke, doch als die Familie sich wieder ins Freie wagt, wird das Ausmaß der Zerstörung klar: "In unserem Haus konnten wir nicht mehr leben", so Steglich. Der Angriff hat sie traumatisiert: "Ich habe noch Wochen danach wie am Spieß geschrien, wenn ich ein Flugzeug gehört habe."

So sah Giebelstadt nach dem Angriff am 22. März 1945 aus der Luft aus: Die Zerstörung war groß.
Foto: Dr. Carls Luftbilddatenbank | So sah Giebelstadt nach dem Angriff am 22. März 1945 aus der Luft aus: Die Zerstörung war groß.

Andere hatten in den drei ausgewiesenen Luftschutzkellern des Ortes Zuflucht gesucht. Doch für acht Giebelstädter in der Mittleren Kirchgasse 4 und einen italienischen Kriegsgefangenen in der Mergentheimer Straße 46 endete der Angriff tödlich. Unter den Toten befand sich auch die Familie eines Schulkameraden von Steglich: "Die Mutter, die Oma und ein Säugling, sie alle starben."

"Bei der Bombardierung des Fliegerhorstes Giebelstadt flog ein amerikanischer Pilot schräg über Giebelstadt und warf dabei seine Bomben ab. (…) Ob er sie verlor, technische Probleme hatte oder es Absicht war, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden", heißt es in Robert Popps Buch "Giebelstadt und sein Flugplatz – Der Fliegerhorst 1928 bis 1945".

Sandalen aus Flugzeugreifen

Am 1. April 1945, als die ersten amerikanischen Panzer in den Ort rollten, soll Giebelstadts damaliger Bürgermeister Otto Scheer die angeordnete Verteidigung verhindert haben, um den Ort zu retten. Laut einem Zeitzeugenbericht von Bruno Fuß, dem Bruder Charlotte Steglichs, vergruben Fuß und ein Freund auf Anweisung Scheers die zur Verteidigung bestimmten Waffen in einem Bombentrichter. Nachdem sich keine Gegenwehr zeigte, zogen die Amerikaner ohne Waffengewalt in Giebelstadt ein (Quelle: Buch Robert Popp).

In der Folgezeit kamen Charlotte Steglich und ihre Familie in ständig wechselnden Unterkünften unter. Erst Jahre später konnten sie eine eigene Wohnung in Giebelstadt beziehen. "Es war eine furchtbare Zeit", sagt Steglich, "wir hatten nichts". In der Not wurde man erfinderisch: Aus dem Gummi der Reifen von verunglückten Flugzeugen etwa fertigten die Giebelstädter mit Kordeln Sandalen für ihre Kinder an.

Beim Bombenangriff auf Giebelstadt am 22. März 1945 wurde auch die Start- und Landebahn des Flugplatzes stark zerstört.
Foto: Privatsammlung Karl-Heinz Decker | Beim Bombenangriff auf Giebelstadt am 22. März 1945 wurde auch die Start- und Landebahn des Flugplatzes stark zerstört.

Auch in der Nachkriegszeit lagen Leben und Tod nah beieinander: Ein Kind aus Giebelstadt fand beim Spielen im Straßengraben eine Handgranate. Sie explodierte und tötete das Kind. Vier weitere Kinder fanden ebenfalls Blindgänger – zwei Brüder starben dabei. Charlotte Steglich wiederum zog sich beim Kartoffelkäfersammeln eine Blutvergiftung zu. Als ihre Mutter dies bemerkte, war es schon fast zu spät. Da es im Ort keinen Arzt gab, wandte sie sich an den Pfarrer – der einen amerikanischen Arzt vom Flugplatz alarmierte. In letzter Sekunde erhielt Steglich von ihm eine der ersten in Deutschland verfügbaren Penicillin-Spritzen und überlebte.

Der Krieg hatte Steglichs Schullaufbahn unterbrochen: Nach einem Vierteljahr auf dem Gymnasium in Würzburg nahm ihr Vater sie aus der Schule. Zu gefährlich erschien ihm die Vorstellung, dass Würzburg bombardiert werden könnte, während sein Kind dort im Unterricht war. 

Berufsstart in zweiter Lebenshälfte

Mit 14 Jahren ging Steglich in die Lehrerinnen-Bildungsanstalt nach Aschaffenburg, die sie nach drei Jahren vorzeitig beendete. Mit 19 heiratete sie ihren Mann Johannes Steglich und bekam mit ihm zwei Kinder. "Ich wollte nie ausschließlich Hausfrau sein", erklärt Steglich. Und so besuchte sie mit Ende 30 die Handelsschule, legte eine Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer ab, arbeitete danach im Arbeitsamt und später bei der Caritas.

Die Botschaft, die die 93-Jährige mit ihren Erinnerungen vermitteln will, ist ebenso eindringlich wie einfach: "Alles, bloß nicht wieder Krieg!"

Am Montag, 24. März, von 17 bis 18 Uhr, findet in der Bücherei Giebelstadt ein Gespräch mit Zeitzeugen, darunter Charlotte Steglich, statt. Vom 6. bis 13. April ist im Familienzentrum "Zacherle" in Giebelstadt die Ausstellung "Kriegsende in Giebelstadt 1945" von Robert Popp zu sehen. 

 
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  • Erich Spiegel
    Wer nur für 5 Cent Verstand hat muus Krieg ablehnen. Leider herrscht viel kindliche Naivität. Die se drückt sich aus in dem Satz "Frieden schaffen ohnen Waffen". Wie die Geschichte zeigt gibt es imer wieder Diktatoren, die die Schwäche von anderen ausnutzen. Hitler, Stalin jetzt Putin. Hätte die Ukraine noch ihre Atomwaffen wäre sie nicht von Putin angegriffen worden. Leider muss auch die Nato weider aufrüsten damit sie Staaten wie China und Russland abschrecken können. China rüstet massiv auf, auch mit Atomwaffen. Sie haben das Wissen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu. Der Angriff auf Taiwan ist schon beschlossene Sache. Es geht nur um das wann.
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  • Johannes Fasel
    „ Nie wieder Krieg! “ –

    Soweit so gut. - Der Krieg hat aber nicht begonnen, als 1945 Würzburg zerstört und der Militärflughafen Giebelstadt bombardiert wurde.
    Er hat 1933 (und auch schon davor) begonnen, mit Unterstützern von Größenwahn, Rassismus und Niedertracht.
    Und auch die „schweigende Mehrheit“ musste den Preis für ihr Schweigen bezahlen.

    "Nie wieder Krieg!" heißt deshalb auch: Sich hüten vor Nationalismus, Größenwahn, Rassismus, Niedertracht und himmelschreiender Ungerechtigkeit.
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  • Norbert Meyer
    Hat der Schulden (für Krieg) "Merz" das auch gelesen ??
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  • Johannes Fasel
    Nein! Nicht "für Krieg". Für Verteidigung.
    Denn: Nationalismus, Größenwahn, Rassismus, Niedertracht und himmelschreiende Ungerechtigkeit sitzen aktuell im Kreml.
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  • Rosemarie Baumann-Zwilling
    Kompliment, Frau Steglich, dass Sie sich noch so gut erinnern können. Und mit 93 noch so gut aussehen: ich nehme Sie mir als Vorbild!
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  • Edgar König
    Unseren aktuellen Generationen fehlt wohl leider die Fantasie, wie schrecklich und brutal Krieg sein kann.
    Von den Medien würde ich mehr solche unter die Haut gehenden Berichte von Zeitzeugen wünschen, anstatt zum tausendsten Male Adolf Hitler, Churchhill und Stalin zu analysieren.
    gez. R.König
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  • Johannes Fasel
    Unbewiesene Unterstellung
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  • Johannes Metzger
    Damit niemand (auch nicht Putin, oder ein durchgedrehter Trump) auf die Idee kommt uns, in welcher Form auch immer, anzugreifen, müssen wir so stark werden, dass ein Angriff unkalkulierbar wird. Das wird viel Geld kosten. Aber ich sehe keine Alternative.
    Außer Acht dürfen wir dabei die Diplomatie aber nicht. geschickt eingesetzt kann sie ein Kriegsrisiko deutlich reduzieren.
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  • Reiner Kortmann
    Ja, alles - aber nie wieder Krieg. Das kenne ich aus den Erzählungen meiner Eltern, sie wären jetzt genauso alt wie Frau Steglich. Meine Eltern und die Tanten und Onkel haben uns immer wieder aus dieser Zeit erzählt, mein Vater wurde als Jugendlicher noch eingezogen. Als er mit über 70 Zuhause im Sterben lag, da hat er mir Dinge aus dieser Zeit erzählt über die er sein ganzes Leben lang geschwiegen hatte. Erst da - als erwachsene Frau - habe ich begriffen wie traumatisierend die Geschehnisse für die Generation meiner Eltern wirklich war. Es kann nicht genug Zeitzeugenberichte dazu geben - hoffentlich werden sie auch von vielen Menschen gelesen. NIE WIEDER KRIEG

    Susanne Kortmann
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