
Mit ihrem Eintritt in die Partei Bündnis 90/Die Grünen hatte Maria Herbst vor rund einem Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Denn die Würzburgerin war exakt an ihrem 100. Geburtstag am 29. Februar 2024 Mitglied der Partei geworden, weil sie ein Zeichen gegen den aufkeimenden Rechtsextremismus setzen wollte. Im Februar dieses Jahres ist sie kurz vor ihrem 101. Geburtstag gestorben.
Wie eine Mahnung an die Nachwelt wirkt ein Dokument, das sich in ihrem Nachlass fand. Maria Herbst hatte darin beschrieben, wie sie als 21-Jährige den Bombenangriff der britischen Luftstreitkräfte auf Würzburg vom 16. März 1945 erlebte, der sich in diesem Jahr zum 80. Mal jährt. Die Redaktion veröffentlicht die Aufzeichnungen von Maria Herbst hier in Auszügen:
Der Luftschutzkeller bot keinen genügenden Schutz
"In den ersten Wochen das Jahres 1945 wurde (...) auch Würzburg in kleinere Tagesangriffe einbezogen. Sie beschränkten sich auf den Bahnhof und die nähere Umgebung. Bei einem dieser Angriffe wurde der Stadtteil Grombühl, in dem wir wohnten, stark mit einbezogen; es gab die ersten Toten, darunter auch Bekannte und Schülerinnen, die wir kannten. Sie kamen alle in ihren Luftschutzkellern um. Seit diesem Zeitpunkt war auch der Luftschutzkeller für uns kein genügender Schutz mehr und wir suchten ihn stets mit Angstgefühlen auf.
Am 16. März 1945 spielte sich unser Familienleben wie folgt ab: (...) Vater hatte beruflich als Steuerprüfer auswärts in Randersacker zu tun und wollte dort einmal eine Nacht ohne Alarm verbringen. Am Morgen des 16. März kam ein befreundeter Landwirt mit seinem Pferdegespann nach Würzburg, lud Mobiliar (Schlafzimmer) von uns auf – es kam aber nur zu einem Teil davon – und da wieder Alarm gegeben wurde, verließ er schleunigst wieder die Stadt und Mutti fuhr auch mit ihm mit. Sein Hof lag circa 15 Kilometer von Würzburg entfernt, das Dorf hieß Hilpertshausen.
Es waren also an diesem Tage nur noch Bärbel (Hinweis der Redaktion: eine Schwester) und ich zu Hause. Als dann wieder Alarm kam, es war gegen 20.30 Uhr am Abend, nahmen wir unsere Fahrräder und die wichtigste Tasche mit unseren Unterlagen und fuhren zum Stadtende, denn wir wohnten ja schon in einem Außenbezirk, der in Grombühl hinter den Universitätskliniken lag. Wir kamen mit den Rädern gerade noch dort vorbei und befanden uns zwischen diesen und dem Ort Versbach, als plötzlich Flieger zu hören waren und es grünlich-hell wurde und in der Höhe "Christbäume" (Hinweis der Redaktion: Zielmarkierungen für den Luftangriff) schwebten.
Jetzt wussten wir, diesmal kommt Würzburg an die Reihe. Wir konnten unsere Räder gerade noch in den Straßengraben bringen und uns auf das freie Feld legen, ineinander verschlungen, jeder zum Schutz des anderen oder gemeinsam zusammen. Dann kamen sie, die feindlichen Flieger in Wellen an, zuerst fielen die Bomben, dazwischen die Phosphor-Brandbomben und danach die Luftminen. Wir lagen inmitten eines solchen Abwurfs der Brandbomben und diese um uns herum – nur zwei Meter entfernt die am nächsten. Wären wir getroffen worden, der Phosphor hätte sich in uns hineingefressen und unsere Körper verbrannt.

Dann kamen mit dumpfem Ton wieder die Luftminen, die alles zerrissen. Auch da hatten wir unseren Schutzengel, denn eine solche ging in unmittelbarer Nähe hinter der Frauenklinik nieder, war aber ein Blindgänger, sonst hätte sie uns die Lungen zerrissen. Und so kamen sie Welle um Welle, bis sie alle ihre Bomben abgeworfen hatten. Es war dabei so hell, dass wir die Flugzeuge sehen konnten. Uns wurde später berichtet, unsere Mutter lag während des ganzen Angriffs in H. auf den Knien und betete für uns – und uns wurde gesagt, man hätte noch nie jemand so inbrünstig beten sehen.
Noch Tage später loderten Feuer im zerstörten Würzburg
Als die Bombardierung zu Ende war, konnten wir nicht mehr in die Stadt zurück, denn es brannte alles und durch das Feuer entwickelte sich ein Feuersturm, der gefährlich war. Wir nahmen deshalb unsere heil gebliebenen Fahrräder und fuhren hinaus nach Hilpertshausen. Der Feuerschein der brennenden Stadt begleitete uns bis dahin und unsere verzweifelte Mutter konnte endlich aufatmen. Am folgenden Tag traf dann auch unser Vater in Hilpertshausen ein und wir waren wieder glücklich vereint – aber ohne Hab und Gut.
Erst nach weiteren zwei Tagen wagten wir uns in unser Stadtviertel hinein und überzeugten uns davon, dass wir alles verloren hatten. Die Ruinen qualmten, auch Feuer loderten noch und es war entsetzlich, auch verbrannte Tote lagen da. Erst Wochen später fanden wir in unserem ausgebrannten Keller einen Porzellanteller mit Brandspuren; er hängt heute zur Erinnerung in meinem Wohnzimmer. (...) Ich selbst hatte noch jahrelang immer wieder dieselben Alpträume aufgrund dieses Erlebnisses; denn damals gab es keine psychologische Betreuung, wie sie heute bei den geringsten Anlässen bereits geschieht."