Alle Details über den Untergang Würzburgs am Abend des 16. März 1945 sind gründlich erforscht: Die Zahl der britischen Flugzeuge und das Gewicht der Bomben und neuerdings auch die tatsächliche Zahl der Toten (etwa 3600). Unzählige Augenzeugenberichte von Bürgerinnen und Bürgern, die jene verhängnisvollen 17 Minuten und die Zeit danach erlebten, wurden veröffentlicht. Nur eines fehlte bisher: die Beschreibung durch einen der beteiligten englischen Bomberpiloten. Doch es gibt diesen Bericht.
Peter Johnson hat ihn schon 1995 veröffentlicht. Sein Buch "The Withered Garland. Reflections and Doubts of a Bomber" ("Der vertrocknete Siegeskranz. Überlegungen und Zweifel eines Bomberpiloten") blieb allerdings in Würzburg unbekannt, obwohl es ein sehr persönliches Licht von der "anderen Seite" auf jene traumatischen Ereignisse wirft. So erwog Johnson am 16. März 1945 ernsthaft, den Befehl zum Angriff auf Würzburg zu verweigern, weil er dessen Berechtigung nicht einsah.
Warum ausgerechnet Würzburg?
Die meisten deutschen und viele britische Historiker sind sich inzwischen einig, dass die späten Bombardierungen von Innenstädten, wie sie Dresden im Februar 1945 und Würzburg im März 1945 trafen, so kurz vor dem unvermeidlichen Sieg der Alliierten nicht mehr gerechtfertigt waren. Auch Peter Johnson war dieser Meinung, als der 36-jährige Geschwaderkommandant der Bombergruppe 5 der Royal Air Force (RAF) am Morgen des 16. März 1945 erfuhr, welches Ziel er und seine Männer am Abend anfliegen sollten: Würzburg. Würzburg, fragte er sich? Was ist an dieser Stadt vernichtenswert?
Die Bombardierung von deutschen Wohngebieten durch die RAF ("moral bombing") wurde selbst in Großbritannien gegen Kriegsende von manchen kritisiert. Am Anfang hatte es große Zustimmung zum Bombenabwurf auf deutsche Städte gegeben, weil die Luftwaffe 1940 zahlreiche englische Kommunen, darunter Coventry und London, schwer beschädigt und viele Menschen getötet hatte. Später, als der Krieg fast gewonnen war, distanzierte sich auch Premierminister Winston Churchill von dieser Strategie, die er lange befürwortet hatte, und forderte ihre Beendigung, da die Sieger sonst ein total zerstörtes Land übernehmen würden.
Was die Briten nicht wussten: Das "moral bombing" brachte nicht die angestrebte Demoralisierung der deutschen Bevölkerung, sondern im Gegenteil ein stärkeres Zusammenstehen. Die Strategen der RAF arbeiteten allerdings weiter die Listen von möglichen Zielen ab, und am 16. März 1945 war Würzburg als eine der letzten noch weitgehend intakten deutschen Städte an der Reihe.
Johnson war überzeugt, dass Deutschland besiegt werden muss
Peter Johnson beschreibt in seinem Buch, wie er am Morgen jedes Tages erwachte und den "Geruch von Sieg" in der Nase hatte. Doch die Zweifel kamen bald. Bei der Einsatzbesprechung erfuhr er das Ziel des nächtlichen Einsatzes. "Würzburg", fragte er, "was ist in Würzburg los?" "Nicht viel", erfuhr er. "Keine großen Fabriken. Immerhin ein Eisenbahnknotenpunkt."
Johnson ist überzeugt davon, dass Deutschland angesichts der Verbrechen, die es begangen hat und immer noch begeht, besiegt werden muss, und er weiß, dass bei Luftangriffen die militärisch wichtigen Ziele oft nur ungenau zu treffen sind, so dass auch Wohnhäuser zu Schaden kommen – und die Menschen, die hier leben. Doch "moral bombing" ist etwas anderes; hier geht es hauptsächlich darum, Wohngebiete auszuradieren. Je länger der Krieg dauert, desto mehr lehnt er diese Strategie ab.
Vor dem Start der Flugzeuge am frühen Abend des 16. März 1945 legt sich Peter Johnson kurz hin. Seine Überlegungen dieser Minuten hat er in der Autobiographie beschrieben: "Ich hatte es immer geschafft mir zu vergewissern, dass ich in einem so schrecklichen Krieg, in dem es um die Zukunft der Welt ging, nicht derjenige sein konnte, der entschied – und selbst nur in meinen Gedanken –, wie der Krieg geführt werden sollte, was angegriffen werden sollte und wann und wie."
Doch an diesem Abend würde es gegen das Zentrum einer Stadt ohne bedeutende Industrie gehen. Die Teilnahme an einem solchen Angriff widerstrebt ihm und er malt sich die Folgen der Bombardierung aus: "Es war wahrscheinlich, dass die von den Feuern ausgehende Hitze einen Sturm auslösen würde, der die Flammen in jede Ecke der Stadt treiben würde. Es würde viele Opfer geben." Die in den Luftschutzkellern saßen, würden nach dem Angriff vielleicht herauskommen, vielleicht auch nicht.
Der 36-jährige Bomberpilot hat "die morbide Vision eines halb zusammengestürzten Kellers, dessen Ausgänge beinahe blockiert sind, überfüllt mit Männern, Frauen und Kindern, die verzweifelt versuchen hinauszukommen. Draußen wartet eine riesige Feuersbrunst auf sie, außerdem Bomben mir Spätzündern, die eine Rettung noch unwahrscheinlicher machen." Genauso wird es sein.
Der Pilot war nahe daran, den Befehl zu verweigern
Johnson überlegt, dass der Angriff auf Dresden drei Wochen zuvor eine gewisse Berechtigung hatte, weil er den russischen Truppen den Weg nach Berlin erleichterte. Aber Würzburg? "Eine kleine Stadt, deren militärische Bedeutung für den Feind unerheblich ist." Johnson redet sich ein, dass auch hochrangige Nazis sterben würden, dass es ohnehin kaum unschuldige Deutsche gibt, aber er kann den Tod von Frauen und Kindern nicht verdrängen.
Der Pilot ist nahe daran, den Befehl zu verweigern und seinem Geschwader den Startbefehl nicht zu erteilen. Er weiß aber, dass dann ein anderer seine Stelle einnehmen wird. Später, so ahnt er, wartet der Prozess vor einem Kriegsgericht auf ihn, möglicherweise das Todesurteil. Seine Frau und die beiden Kinder würden keine Rente erhalten.
Peter Johnson führt den Befehl aus. Erst markiert er den zu treffenden Bereich, die Würzburger Altstadt, mit Leuchtbomben, dann werden aus seiner Maschinen schwere Bomben abgeworfen. Johnson sieht, wie die ausbrechenden Feuer "die Kontrolle in Würzburg übernehmen".
Ein paar Wochen später, als der Krieg zu Ende ist, fliegt er mit seiner Lancaster über zerstörte deutsche Städte, um im Auftrag seiner Vorgesetzten die Wirkung der Bombardements zu überprüfen. Würzburg lässt er ganz bewusst aus. "War das Feigheit?", fragt er sich in seinem Buch.
Trotz sorgfältiger Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber der Fotos ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.
Das Buch von Peter Johnson "The Withered Garland: Doubts and Reflections of a Bomber" ist im Verlag New European Publications erschienen und im Handel erhältlich.
Aber dieses, von Arthur Harris angezettelte, "Moral Bombing" war definitiv auch ein Kriegsverbrechen, das nie geahndet wurde...
In Nürnberg wurde nur verhältnismässig wenige Prominenz des "Dritten Reichs" vor Gericht gestellt, die meisten Nazimörder kamen glimpflich oder gänzlich ungeschoren davon, sogar mit eingeklagtem Pensionsanspruch in den 50-iger Jahren, meiner Ansicht nach eine Schande für die junge Bundesrepublik. Vielleicht sollten wir erst mal da unser Augenmerk drauf richten, bevor wir mit dem Finger auf andere zeigen.
Natürlich haben Sie Recht, Bomben auf zivile Ziele sind ein Verbrechen, zumindest nach unseren heutigen Maßstäben, aber damit angefangen hat ja wohl die deutsche Luftwaffe in Spanien, um später Coventry und London mit Bomben einzudecken.
Und: ist nicht jeder Angriffskrieg ein Verbrechen, nicht jeder ein Verbrecher, der ihn beginnt?
Aus Sicht der Alliierten sind die Angriffe für mich schon verständlich - jedes Mittel, die unnachgiebigen Gegner (im Prinzip wussten alle, dass der Krieg verloren ist) zu schwächen, konnte doch nur Recht sein.
Doch das, was Russland macht ist etwas anderes.
Niemand hatte Russland angegriffen.
Die Alliierten wehrten sich dagegen gegen einen Aggressor Nazi Deutschland, der ganz Europa mit einem Krieg überzogen hatte.
Trotzdem ist Ihre Aussage falsch, die Bombardierung Würzburg mit dem Verhalten Putins gleichzusetzen.
Nazi-Deutschland hatte lange vorher mit der Bombardierung auch ziviler Ziele in England angefangen, Deutschland hatte lange vorher Städte in Polen, Weißrussland, Russland und der Ukraine verwüstet. Ganze Dörfer in den besetzten Ländern wurden hingemetzelt. Haben Sie schon mal von Oradur oder Lidice gehört? Wenn nicht, sollten Sie schleunigst mal nachlesen, was SS Truppen dort angerichtet haben.
Diese Länder wehrten sich gegen einen unerbittlichen Aggressor und kamen, da Deutschland trotz absehbarer Niederlage, nicht zu Verhandlungen bereit war, eben mit Ihren Soldaten und Verbündeten nach Deutschland um die Nazis zur Kapitulation zu zwingen.
Für mich sind die Sieger allerdings vor allem Befreier - und die Nazis (damals und auch die heutigen) die Bösen.