Vor knapp eineinhalb Jahren hatte eine Kommission aus Expertinnen und Experten ihren Bericht über Würzburger Straßennamenspaten vorgelegt, denen eine Verstrickung ins System des Nationalsozialismus vorgeworfen wird (wir berichteten). An diesem Donnerstag wird der Stadtrat darüber entscheiden, welche Straßen in Würzburg umbenannt werden sollen. Im Gespräch sagt die Würzburger Historikerin Rotraud Ries, warum sich die Stadtgesellschaft dem Thema Straßennamen stellen muss und warum Umbenennungen sinnvoll sein können.
Rotraud Ries: Zunächst mal: Es ist albern, verschiedene Themen, die gerade diskutiert werden, gegeneinander abzuwägen, als sei eines wichtiger also das andere. Wer will das denn entscheiden? Zum anderen sind die Straßennamen in unserem Alltag und in unserer täglichen Wahrnehmung präsent. Wir sind mit diesem Bestand an Straßennamen konfrontiert, deshalb muss sich eine Gesellschaft dem stellen. Sie muss sich überlegen: Was machen diese Straßennamen mit uns, was bedeuten sie für unsere Identität?
Ries: Wir können uns natürlich nie vorstellen, wie wir uns in dieser Situation verhalten hätten. Aber: Jeder Mensch hat immer Handlungsoptionen. Auch in der damaligen Zeit gab es einen gewissen Entscheidungsspielraum: Mache ich mir die NS-Ideologie zu eigen und verfolge gar meine Nachbarn oder halte ich mich im Hintergrund und helfe vielleicht sogar Menschen, ohne dass ich mich selbst gefährde? Diesen Handlungsspielraum würde ich auch im Nachhinein im Sinne der Menschlichkeit als Maßstab anlegen.
Ries: Ich glaube nicht, dass damit die Debatte beendet wird. Straßennamen sind nicht das geeignete Medium, um sich kritisch mit der Geschichte der Stadt auseinanderzusetzen. Selbst wenn man zusätzliche Erläuterungen anbringt, reicht das nicht. Bei den Leuten, die zu Lasten anderer Menschen gehandelt haben, muss man sich wirklich überlegen: Wollen wir diese Leute ins Schaufenster der Stadt stellen? Indem ihre Namen auf Straßenschildern stehen, die natürlich eine Hervorhebung bedeuten? Denn unabhängig davon, ob man einen Straßennamen als Ehrung betrachtet oder nicht: Eine Hervorhebung ist das allemal. Will eine Stadt wirklich mit solchen Leuten werben? Allerdings braucht es für Umbenennungen einheitliche Kriterien, die dann auch eingehalten werden.
Ries: Vor einem Bildersturm sollte man sich hüten. Natürlich sind die Entscheidungen oft Gratwanderungen. Aber man muss sich dennoch darüber verständigen, welchen Namen man heute unkritisch als Straßennamen, als Adresse oder Straßenbahnhaltestelle haben will. Dabei sollte man das Augenmerk stark auf die tatsächlichen Handlungen der jeweiligen Personen richten, um nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Ries: Personen vom Kaliber eines Julius Echter müssten mit Sicherheit kontextualisiert werden. Echter hatte ja nun besonders stark sehr verschiedene Seiten. Ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass man Verfehlungen und Verdienste gegeneinander aufrechnen kann, was bei den Personen aus der NS-Zeit jetzt gerne gemacht wird. Ein Beispiel dafür ist Hermann Zilcher mit seiner Bedeutung für das Mozartfest. Das Einzige, was zählen würde, um eine Verfehlung zu vermindern, ist ein ehrliches Bedauern oder eine Distanzierung davon. Wenn sich die Menschen entsprechend geäußert haben, dann wiegt so etwas Verfehlungen unter Umständen auf. Bei Leuten wie Julius Echter ist es aber so, dass sie viel stärker als im 20. Jahrhundert den Werten und Konflikten ihrer Zeit verhaftet gewesen sind. Von denen kann man nicht erwarten, dass sie sich im aufgeklärten Sinne kritisch mit ihren eigenen Handlungen auseinandergesetzt haben. Da mit heutigen Maßstäben heranzugehen, finde ich schwierig. Vielleicht sollte man tatsächlich eine Grenze mit der Zeit der Aufklärung ziehen. Aber das ist ein Thema, das in der Stadtgesellschaft diskutiert werden müsste und bei dem man sich die Fragen stellen muss: Wie weit will man zurückgehen? Ab wann arbeitet man vielleicht nur noch mit Kontextualisierungen?
Ries: Meines Erachtens muss der Meinungsbildungsprozess viel breiter aufgestellt werden. Das Problem liegt auch in der schweigenden Mehrheit, die sich in das Verfahren bisher nicht einbringt. Dazu kommt, dass Würzburg eine recht traditionsbewusste Stadt ist, was sich auch darin äußert, dass etwa nur zehn Prozent der Straßen die Namen von Frauen tragen – was ich sehr krass finde. Auch was Oberbürgermeister Schuchardt gesagt hat, nämlich dass die Straßennamen auch ein Spiegel der Stadtgeschichte seien, ist letztlich nur eine Fortschreibung des männerzentrierten Geschichtsbildes, das wir hier haben. Die besten Plätze für Straßennamen in Würzburg sind belegt, die wenigen Schilder mit Frauennamen sind alle weit draußen. Gut finde ich Schuchardts Vorschlag, alle Straßennamen mit Erläuterungen zu versehen. Für besonders wichtig halte ich es, dass ein künftiges Gremium die gesellschaftliche Realität widerspiegelt und geschlechtergerecht ist. Und weil es hier auch um Erinnerungskultur geht, müssen fachlich kompetente Mitglieder einbezogen werden. Ohne fachliche Unterfütterung sind solide Entscheidungen nicht möglich.
Eher bedauerlich, wie wenig Einsicht es gibt.
Auf diesen fundierten Beitrag hätte man wirklich einen etwas nachdenklicheren Kommentar erwarten dürfen. Rotraus Ries hat die Problematik der Strassenbenennungen differenziert und fair dargestellt. Es geht einfach auch darum, wen wir mit einem Strassennamen EHREN wollen, und da sollten wirklich ein paar in Würzburg prominente Personen aufgrund ihrer Schattenseiten besser in den Hintergrund treten.
Ich für meinen Teil würde jedenfall lieber den kleinen Aufwand meiner Adressänderung mit Mitteilung an meine Bank und Versicherungen sowie die Erneuerung von Briefpapier und Visitenkarten auf mich nehmen, anstatt eine Adresse zu hinterlegen, die einen zweifelhaften Charakter hat.
Über das Verhältnis der Verteilung von Männern und Frauen im Bild der Strassennamen hat man(n) sich anscheinend bislang wenig Gedanken gemnacht, vielen Dank für diesen Hinweis, passenderweise zum Weltfrauentag...
Was für eine Diskussion.....