Es ist der 7. April 1945. Ein Samstag. Gegen Mittag läuft der Polizeidiener durch Aub. In den Straßen schwingt er die Ortsschelle und verkündet, dass um 13 Uhr auf dem Marktplatz ein wegen Hochverrat Verurteilter aufgehängt werde. August Schedel ist damals ein Bub, acht Jahre alt. Die Stimme des Amtswartes, den Klang der Schelle - er erinnert sich noch heute daran.
Die Eltern lassen August und seine Schwester nicht zur Hinrichtung an den Marktplatz. Die beiden Kinder finden aber trotzdem einen Weg, das furchtbare Geschehen zu beobachten. Sie stehen hinter einem Fenster mit Blick zum Marktplatz und können durch die Ritzen in den Fensterläden alles sehen. Wie ein Soldat den Stuhl wegzieht und ein Mann am Galgen baumelt.
Wichtiges Dokument von der Universität Amsterdam
Es ist Alfred Eck, der am Galgen hängt. Ein junger Kerl aus Baldersheim, gerade mal 34 Jahre alt. "Viele wussten damals nicht, wer da zum Tode verurteilt wurde", erzählt August Schedel, der Senior Chef der Konditorei am Marktplatz. "Vielleicht wussten es ein paar Eingeweihte, aber die meisten hatten keine Ahnung."
Vier Jahre später, im November 1949, wird vor der Großen Strafkammer beim Landgericht Würzburg der Hauptmann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, der als Standortkommandant in Aub das Todesurteil über Alfred Eck ausgesprochen hat. Das Protokoll der Gerichtsverhandlung findet sich heute in der Sammlung der nationalsozialistschen Tötungsverbrechen der Universität Amsterdam und gilt als die objektivste Beschreibung der damaligen Vorgänge. "Ohne dieses Dokument wären wir in der Geschichtswerkstatt nicht so weit gekommen, wie wir heute sind", sagt Frank Stößel.
Schulamtsdirektor nährt Vorbehalte
Aub - und Alfred Eck, das ist eine besondere Geschichte. Um den jungen Mann, der 1945 auf Fronturlaub war und gemeinsam mit Bürgermeister Franz Engert und Josef Neeser auf die amerikanischen Truppen zuging, mit ihnen über die kampflose Übergabe Baldersheims verhandelte, den feindlichen Soldaten den Weg durch die Minensperren verriet, danach alleine zu den deutschen Truppen ging, die Baldersheim verteidigen sollten und sie überzeugte, aufzugeben, gibt es nicht nur an den Stammtischen viele Vorbehalte.
Als es Mitte der 80er Jahre darum ging, die Auber Schule nach Alfred Eck zu benennen, werden diese deutlich. Statt aufzuklären, nährte der verantwortliche Schulamtsdirektor die Zweifel. Als die selbe Diskussion 30 Jahre später wieder im Auber Stadtrat entbrandet, hält genau derselbe Schulrat weiter an seinen Vorbehalten fest. "Ein deutscher Soldat verrät seine Kameraden nicht", wiederholte der mittlerweile 85-Jährige im Jahr 2015 in einem Gespräch mit dieser Redaktion seine Meinung. Zu dieser Zeit waren bereits alle Deserteure der Wehrmacht rehabilitiert.
Dieses Bild von Alfred Eck prägt sich in vielen Köpfen ein. Sogar sein Grab wird geschändet. So weit geht die Feindseligkeit. Alfred Eck ist für viele ein rotes Tuch. Seine menschliche Tugend, mit der er als junger Kerl mit Mut und Verstand unsinniges Blutvergießen in Baldersheim verhindert hat, überzeugt die Zweifler nicht. Stattdessen überwiegen Neid, Eifersucht und Missgunst. Alfred Eck wird zum Politikum. Ihn zu ehren, würde einem Verrat am Vaterland gleichkommen, meinen die Ewiggestrigen. Und all jene Soldaten verunglimpfen, die ihr Leben im Krieg gelassen haben. Doch Alfred Eck hat niemanden verraten. Selbst unter Schlägen nannte er die beiden Baldersheimer nicht, die mit ihm bei den Amerikanern waren – auch das steht im Gerichtsprotokoll.
Frank Stößel aus Zell mischt sich schließlich in die Diskussion ein. Er schlägt vor, schrittweise aufzuklären. Bürgermeister Robert Melber nimmt diese Idee auf und in Aub gründet sich ein Geschichtsarbeitskreis, der Zeitzeugen hört, Dokumente auswertet und schließlich eine Ausstellung organisiert. Stößel moderiert die Diskussionen und ist überzeugt, dass sich das Verhältnis zu Alfred Eck durch die Auseinandersetzung mit seinem Leben verändert hat. "In diesem Kreis gibt es niemanden mehr, der nicht anerkennt, was Alfred Eck für Baldersheim getan hat", sagt Stößel. Ob sich diese Einstellung auch in der Bevölkerung durchgesetzt hat, Frank Stößel wagt es nicht zu beurteilen. "Deswegen wäre eine Umfrage jetzt wichtig."
Am Marktplatz soll eine Gedenktafel an Alfred Eck erinnern
"Durch die Arbeit des Arbeitskreises können wir belegen, dass es nicht so war, wie viele fälschlicherweise erzählen", ist Bürgermeister Melber überzeugt. "Das ist viel wert. Denn jetzt haben wir ein Bewusstsein geschaffen. Ein Bewusstsein, um Alfred Eck zu ehren." Melber wollte diesen langwierigen Prozess, weil er aufklären will. "Man muss geduldig und beharrlich sein", sagt er. Das habe er gelernt. Jetzt seien die Vorurteile verschwunden, meint er.
Gerne hätte er an diesem 7. April, dem 75. Todestag von Alfred Eck, einen Gedenkstein am Marktplatz gesetzt. Aber die momentanen Ausgangsbeschränkungen verhindern dies. Melber bringt jetzt dafür den 8. Mai ins Gespräch. Zusammen mit den Kirchen möchte er an diesem Tag dem Kriegsende gedenken - und Alfred Eck. Und später soll auch in Baldersheim im Rahmen der Dorferneuerung den Helden von 1945 eine letzte Ehre zuteil werden.
Drei Tage, über den Weißen Sonntag hinweg, hängt Alfred Eck am Galgen in Aub. Zur Abschreckung. Kinder laufen vorbei. Auch August Schedel blickt zu ihm hoch. "Dieses Bild kann ich nicht vergessen, niemals", sagt der 82-Jährige. Dabei stockt ihm die Stimme.
Es hat erschreckend lange gedauert bis Alfred Eck eine Würdigung zuteil wurde.
Das liegt sicher auch daran, daß es genügend Kräfte in der Region gab und immer noch gibt, die kein Interesse hatten und haben, daß die Naziverbrechen immer wieder ans Tageslicht kommen.
Ein mutiger und aufrechter Mensch hat ebenfalls Millionen geborener Feinde: - alle Feiglinge und Kriecher.