Das Thema birgt Zündstoff und hat das Zeug zur großen Debatte - und genauso könnte es auch kommen. Über vier Jahre lang hat sich eine elfköpfige Fachkommission mit der Frage beschäftigt, welche Würzburger Straßen und Plätze Namen von Menschen tragen, deren Rolle in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur eine problematische war. Konkret ging es um Personen, "deren aktive Lebensphase in die NS-Zeit fällt und von denen anzunehmen ist, dass sie sich in dieser Zeit diskreditierende Handlungen zuschulden kommen ließen", so hieß es seinerzeit in der Aufgabenstellung der Stadtrates an die Kommission.
Viereinhalb Jahre und 17 Kommissionstagungen später liegt jetzt ein Abschlussbericht vor - der nun Folgen für bis zu neun Straßennamen haben könnte.
Wann und warum wurde die Straßennamenkommission geschaffen?
Den Beschluss zur Einsetzung einer "Würzburger Straßennamenkommission" fasste der Stadtrat am 15. Oktober 2015. Vorausgegangen waren zwei in der Öffentlichkeit teils stark diskutierte Umbenennungen. So hatte der Stadtrat im Juli 2015 beschlossen, eine 1985 nach dem früheren Würzburger Oberbürgermeister Helmuth Zimmerer (1912-1984) benannte Straße im Stadtteil Lengfeld umzubenennen, nachdem durch die Berichterstattung dieser Redaktion weitere Details zu seiner Verstrickung in das NS-Regime bekannt geworden waren. Bereits 2003 hatte es eine große Debatte um den Namenspatron der damaligen Carl-Diem-Halle (heute s.Oliver Arena) gegeben, anschließend wurde die Halle umbenannt. Der Sportfunktionär Diem (1882-1962), 1936 Chef-Organisator der Olympischen Spiele von Berlin, hatte unter anderem noch im März 1945 Hitlerjungen zum "finalen Opfergang für den Führer" aufgerufen.
Wer gehört der Kommission an?
Der Kommission gehören derzeit neben dem Kulturreferenten Achim Könneke (Kommissionsleitung), Stadtarchivleiter Axel Metz und Stadtheimatpfleger Hans Steidle jeweils vier Vertreter aus der Wissenschaft und vier weitere aus dem Stadtrat an. Für die Wissenschaft sind Hannah Hien (Staatsarchiv), Peter Hoeres (Historiker, Universität Würzburg), Bettina Keß (Historikerin) und Niels Weise (Historiker, Institut für Zeitgeschichte München/Berlin) in der Kommission, für den Stadtrat Willi Dürrnagel (WL), Jürgen Weber (WL) sowie die seit Mai ehemaligen Stadtratsmitglieder Benita Stolz (Grüne) und Heinrich Jüstel (SPD).
Wie ist die Kommission vorgegangen?
Bevor die Kommission ihre Arbeit aufnahm, hatte die Stadtverwaltung eine Liste derjenigen Würzburger Straßen, Plätze und Wege erstellt, deren Namenspaten vor 1928 geboren wurden und die zwischen 1933 und 1945 gelebt haben. Dabei ergab sich eine Liste von 120 Straßen. Bei 30 Namensgebern gab es laut Kommissionsbericht keinen großen Diskussionsbedarf – sie waren Gegner und/oder Opfer des NS-Regimes.
Für die restlichen 90 Personen entwickelte die Kommission ein spezielles Raster, nach dem dann biographische Informationen beschafft wurden. Kriterien waren unter anderem die politische Betätigung vor, während und nach der NS-Zeit, die Mitgliedschaft in NS-Organisationen und "besondere Verfehlungen". Ebenso untersucht wurden aber auch besondere Verdienste, die Verleihung von Orden und Auszeichnungen sowie Stellungnahmen der jeweiligen Person zum eigenen Wirken von 1933 bis 1945.
Keinen Grund für eine Umbenennung sah die Kommission im reinen Mitläufertum. "Ein solches sieht sie bei jenen Personen als gegeben an, die das NS-Regime durch ihr Handeln – innerhalb oder außerhalb der Partei – gestützt haben, ohne in besonderer Weise aktiv in Erscheinung zu treten oder an Kriegsverbrechen, wie beispielsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein", heißt es im Abschlussbericht. Eine "erhebliche Belastung" sahen die Experten dagegen in einer Beteiligung am Repressionsapparat der Nazis oder in Zuträgerdiensten. Bei neun der 90 verbliebenen Namenspaten sah die Kommission eine Umbenennung oder eine „Kontextualisierung“ für erforderlich.
Was bedeutet eine "Kontextualisierung?
Damit ist ein Zusatzhinweis am Straßenschild gemeint. Umfangreiche Erklärungen vor Ort soll es aber nicht geben. Die Ergänzungsschilder sollen „einen knappen, einheitlichen Hinweis darauf enthalten, dass Kontextualisierungsinformationen zu dem Straßennamen vorhanden sind“. Die eigentlichen Informationen sollen dann über einen QR-Code von einer Website abrufbar sein.
„Dadurch soll zum einen der Prozess der Auseinandersetzung mit den Straßennamen transparent werden; zum anderen aber kann so auch im Falle von Umbenennungen deutlich werden, dass ein früherer Namenspate eine vielschichtige Persönlichkeit war, die neben den Verfehlungen, die zur Umbenennung führten, auch Verdienste hatte“, heißt es im Bericht.
Welche Straßennamen stehen jetzt zur Diskussion?
Handlungsbedarf sieht die Kommission – teils einstimmig, teils mehrheitlich – bei den folgenden neun Namensgebern.
Eine Umbenennung empfiehlt das Expertengremium im Falle folgender Namenspaten: Heiner Dikreiter (1893-1966; Maler und Kunstlehrer, Gründungsdirektor der Städtischen Galerie), Nikolaus Fey (1881-1956; Schriftsteller und Mundartdichter), Carl Schadewitz (1887-1945; Komponist, Dirigent und Musikpädagoge) und Hermann Zilcher (1881-1948; Musiker, Komponist und Begründer des Mozartfestes).
Im Fall des Zoologen und Nobelpreisträgers Karl Ritter von Frisch (1886-1982) empfiehlt die Kommission eine Umbenennung oder eine Kontextualisierung.
Eine Kontextualisierung sollte laut Kommission bei den Namenspaten Armin Knab (1881-1951; Komponist), Peter Schneider (1882-1953; Mitbegründer des Frankenbundes) und Richard Strauss (1864-1949; Komponist) erfolgen.
Im Fall von Michael Kardinal Faulhaber (1869-1952) sieht die Kommission weiteren Aufklärungsbedarf und empfiehlt vor einer Entscheidung über eine Umbenennung oder Kontextualisierung eine öffentliche städtische Versammlung, an der Wissenschaftler und Experten in Sachen Faulhaber mitwirken sollen.
Sind die Empfehlungen der Kommission verbindlich?
Die Empfehlungen sind nicht verbindlich. Sie dienen dem Stadtrat als Grundlage für weitere Beratungen und Entscheidungen.
Wie wird die Würzburger Bevölkerung in die Diskussion eingebunden?
Der Kulturausschuss beschäftigte sich mit dem Bericht in seiner Sitzung am 23. November. Dort beschloss der Ausschuss auf Antrag von Willi Dürrnagel einstimmig, die Empfehlungen der Kommission vor einer endgültigen Befassung im Stadtrat mit den Bürgern öffentlich zu diskutieren.
Hat sich die Kommission auch mit künftigen Straßennamen beschäftigt?
Die Kommission rät dem Stadtrat, künftig vor der Benennung von Straßen nach Personen, die die NS-Zeit im Erwachsenenalter erlebt haben, grundsätzlich deren Biographie besonders intensiv zu betrachten. Insbesondere soll dabei der Aspekt des Mitläufertums untersucht und "stärker negativ gewichtet" werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Im Gesamtstadtrat steht der Bericht am 10. Dezember auf der Tagesordnung. Dann dürfte wohl unter anderem über die vom Kulturausschuss beschlossene breitere Bürgerbeteiligung entschieden werden. Wie Kulturreferent Achim Könneke gegenüber dieser Redaktion sagte, könne er sich dazu digitale Formate vorstellen, sollten Präsenzveranstaltungen noch länger nicht möglich sein. Zudem soll der Abschlussbericht der Kommission auf der Website der Stadt veröffentlicht werden, ferner sind Informationsblätter für die Anwohner betroffener Straßen geplant. Könneke rechnet mit einem Zeitraum von anderthalb Jahren, bis feststeht, wie mit den neun problematischen Straßennamen verfahren wird.
Mitarbeit: Patrick Wötzel
Sie fragen: "... Mich würde vielmehr interessieren, wieviel von uns Gutmenschen in ehemals jüdischen Immobilien leben?! ..." Das können Sie problemlos selbst heraussuchen, macht halt Arbeit, die man gerne andern überlässt.
Sie können aber sicher sein, dass das nach 1945 sehr genau geprüft wurde. Und da mussten die Arisierer den - zu Recht - zu niedrigen Preis nachbezahlen. Im Volksmund nennt sich das: "... Wir mussten 2 x bezahlen. ..." Und daraus ersieht man auch, dass die Arisierer, besser deren Nachkommen, das nicht im Ansatz verstanden haben.
Eine Kontextualisierung ist in Ordnung. Aber hört endlich mit dieser ewigen "politischen Korrektheit auf". Als ob wir keine wichtigeren Probleme haben. Vorschlag für die Zukunft: bitte nur noch Blümchen- und Wiesennamen verwenden - so findet sich das navi sogar in jeder Stadt zurecht.
Ich hoffe, der Stadtrat bedenkt auch, dass dies eine gute Gelegenheit ist, Frauen bei Straßennamen endlich adäquat zu berücksichtigen.
Lasst die Namen wie sie sind und setzt Tafeln dazu was die Verfehlungen waren.
Lasst sie als Mahnungen für uns heute, damit wir wissen wie leicht man Scharlatanen und Verbrechern nachlaufen kann!
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Zilcher
Aufgrund einer langjährigen Kontroverse mit dem Gauleiter von Mainfranken Otto Hellmuth, der ihm noch 1937 den Mainfränkischen Kulturpreis verliehen hatte, wurde Zilcher 1943 die Leitung des Mozartfestes sowie der Direktorenposten der Musikschule für Jugend und Volk in Würzburg entzogen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Fey
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann für ihn sowie auch für andere Dichterkollegen eine zunehmende Vereinnahmung durch die NS-Kulturpolitik, die Heimat- und Mundartdichtung als Ausdruck der Blut-und-Boden-Ideologie aufwertete und die entsprechenden Autoren für propagandistische Zwecke zu instrumentalisieren suchte. Obwohl Feys Lyrik von den typischen Blut-und-Boden-Vokabeln frei blieb, konnte er sich einer Berufung als Reichsschrifttumsbeauftragter für Unterfranken 1933 als äußere Konzession nicht enthalten. In zwei Vorworten zum Liederbuch Mei Frank’n 1938 und dem Gedichtband Heemet, dei Harz 1941 verfiel er in den NS-Jargon. (...) Trotz dieser Nähe zur staatlich gelenkten Kulturpolitik gelang es den Nationalsozialisten nicht, Fey zum Kirchenaustritt zu bewegen und den religiös geprägten Teil seiner Dichtung zu unterdrücken.
Michael Faulhaber:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_von_Faulhaber
Zitat: Zum Nationalsozialismus hielt er ebenfalls Distanz; er bezeichnete ihn im November 1930 als eine „Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen“. In der am 24. Januar 1926 in Rom gegründeten Priestervereinigung „Amici Israel“ hatte Faulhaber eine führende Rolle inne. Hauptziel war die christlich-jüdische Versöhnung. Der Verein bat Papst Pius XI. am 2. Januar 1928 darum, die schroff formulierte Karfreitagsfürbitte für die Juden (Oremus et pro perfidis Iudaeis – „Lasst uns auch beten für die treulosen Juden“) ändern zu lassen. Faulhaber selbst hatte schon 1927 seinen Priestern beim Predigtkurs Programm und Gebetszettel der „Amici Israel“ mitgegeben und geboten: „Man vermeide in der christlichen Predigt alles, was antisemitischen Klang hat!“
Ich weiß, ich bin emotional.... und viele werden mich dafür verurteilen, steinigen.... ABER lasst es so, wie es ist... Im Hier und Jetzt gibt es doch sooo viiiiele andere Angelegenheiten, die wirklich präsanter sind, als ein "popeliger" Straßennamen.
"Nix für Ungut"
Dann gebe ich zu bedenken, dass manches 'über Jahrzehnte Gewachsenes' letztlich überflüssig wie ein Kropf ist. Wenn es nicht gar die Luft zum Atmen raubt - da hilf auch das schönste Kropfband nicht weiter. Und Straßennamen sind manchmal einerseits 'popelig' und andererseits von großer Symbolkraft - so wie Gesslers Hut.
@"lasst es so, wie es ist...": Ich vermute, wir sind beide alt genug, um zu wissen, dass nichts so bleibt, wie es ist. Einerseits erschreckend - andererseits die einzige Chance und die einzige Hoffnung...
Wurschdigkeit und Vergessen ist das Gift gegen unseren Rechtsstaat.
Erfreuen sie sich auf unsere Vorzüge in unserer Republik. Denken Sie nach, wertschätzen Sie, dass Sie nicht in Syrien aufwachsen mussten.
Die selbe Diskussion haben wir in Schweinfurt auch mit der Umbenennung des Willy Sachs Stations. Was für eine Heuchelei. Dabei sind wir nicht mal fähig vor jedem Haus mit ehemals deportierten Schweinfurtern, oder Würzburgern einen einfachen Stolpersteine zur Erinnerung anzubringen.
Man sucht wie in fernen Kulturen vor uns, immer einige herauszusuchen die dann das Opfer geben müssen, damit sich die Mehrheit in der Unschuld suhlen kann.
Mich würde vielmehr interessieren, wieviel von uns Gutmenschen in ehemals jüdischen Immobilien leben?!
Ehrliche Geschichtsaufarbeitung kann manchmal verdammt weh tun!