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Würzburg
Prozess um Messerattacke vor Stift Haug: Ehemaliger Richter erklärt, wie man herausfindet, welche Zeugen lügen
Peter Schnitter war 33 Jahre lang als Richter tätig. Er erzählt, wie man herausfindet, wer vor Gericht die Wahrheit sagt und wer vielleicht doch lügt.
Der ehemalige Richter Peter Schnitter verfolgt den Würzburger Prozess rund um die Messerattacke vor Stift Haug in den Medien. Er erklärt, welche Herausforderungen der Richter in diesem Fall hat.
Foto: Patty Varasano | Der ehemalige Richter Peter Schnitter verfolgt den Würzburger Prozess rund um die Messerattacke vor Stift Haug in den Medien. Er erklärt, welche Herausforderungen der Richter in diesem Fall hat.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 12.07.2024 02:42 Uhr

Welcher Zeuge lügt und welcher Zeuge sagt die Wahrheit? Das herauszufinden ist vor Gericht das wichtigste Mittel, um ein gerechtes Urteil fällen zu können. Doch das ist manchmal gar nicht so leicht. Zum Beispiel, wenn - wie im Fall um die Messerattacke vor Stift Haug in Würzburg - die Zeuginnen und Zeugen unterschiedliche Versionen des Tathergangs erzählen.

Peter Schnitter war 33 Jahre lang unter anderem Richter am Landgericht Würzburg. Seit 24 Jahren ist der 87-Jährige im Ruhestand und verfolgt nun den Fall in den Medien. Im Interview erklärt er, wie man als Richter herausfindet, welche Zeugen die Wahrheit sagen und wie man mit der Verantwortung des Richterspruches umgeht.

Frage: Herr Schnitter, Sie waren lange Zeit als Richter tätig. Welche Richterämter haben Sie in Ihrer Berufszeit übernommen?

Peter Schnitter: Ich habe erst acht Jahre als Zivilrichter am Amtsgericht in Würzburg gearbeitet und anschließend nochmal acht Jahre als Strafrichter am Amtsgericht Kitzingen. Das war eine recht fade Sache, denn dort werden überwiegend Verkehrssachen verhandelt. 1986 wurde ich dann ans Landgericht in Würzburg an die große Strafkammer berufen. Dort war ich dann einer von drei Richtern im Schwurgericht, bis ich im Jahr 2000 in den Ruhestand gegangen bin.

Gibt es einen Fall den Sie verhandelt haben und der Ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben ist?

Peter Schnitter: Der Fall von einem Juwelier aus Goldbach bei Aschaffenburg war ein großer Fall. Der Mann war wohl sehr jähzornig und als seine Frau eines Abends vor dem Kamin sagte, dass sie die Trennung möchte, hat er sie mit dem Holzscheit erschlagen. Natürlich hat er versucht, das raffiniert zu vertuschen. Er ist mit seinem Auto zur Raststätte gefahren, hat das Rücklicht zerschlagen und die Polizei gerufen. Er hat behauptet, seine Frau sei entführt worden. Allerdings hatte er seine Geschäftsschlüssel auf dem Armaturenbrett vergessen, die ihn am Ende überführt haben.

Solche großen Fälle werden auch immer von der Öffentlichkeit verfolgt. Manchmal gibt es dann Kritik an beispielsweise milden Richtersprüchen. Wie sind Sie mit so etwas umgangen und hat sie so etwas beeinflusst?

Peter Schnitter: Eigentlich habe ich mir da immer wenig Gedanken drum gemacht. Für uns Richter sind die festgestellten Tatumstände und das Maß der Schuld maßgeblich. Da gibt es im Strafrecht bestimmte Vorgaben und daran müssen wir uns mit dem Urteil orientieren. Damals als ich Richter war, hatte die Öffentlichkeit noch gar kein so großes Interesse an Gerichtsprozessen. Das hat sich mittlerweile natürlich stark geändert.

Ganz aktuell ist beispielsweise der Fall um die Messerattacke vor Stift Haug, über den auch diese Reaktion ausführlich berichtet.

Peter Schnitter: Ja, das verfolge ich gerade auch und lese die Berichterstattung dazu regelmäßig.

Ganz zentral in dem Prozess ist, dass die verschiedenen Zeugen ganz unterschiedliche Versionen des Tathergangs schildern. Wie findet man als Richter heraus, wer die Wahrheit sagt und was wirklich passiert ist?

Peter Schnitter: Zuerst einmal ermittelt ja die Polizei. Wenn sie ihre Arbeit abgeschlossen haben, geben sie den Fall mit allen Ergebnissen weiter an die Staatsanwaltschaft. Auch dort werden wieder Ermittlungen vorgenommen. Wenn die Ermittlungen gut sind, hat man als Richter dann schon ein sehr klares Bild von dem, was passiert ist. Anhand dessen kann man schon herausfinden, welche Teile einer Geschichte stimmen können und wo es Widersprüche gibt. Aber um Genaueres sagen zu können, kenne ich den Fall nicht genau genug. Aber es ist ja ganz offensichtlich so, dass ein Teil der Zeugen eine Notwehrsituation beschreiben wollen und andere wieder nicht. Da ist jetzt die Frage, welchem Zeugen glaube ich.

Und wie genau findet man heraus, welcher Zeuge oder welche Zeugin glaubwürdig ist und wer nicht?

Peter Schnitter: Die Zeugenaussagen sind die wichtigste Grundlage. Als Richter muss man dann die richtigen Nachfragen stellen. Durch eine geschickte Fragetaktik kann man häufig viele Erkenntnisse gewinnen. Es ist keinesfalls so, dass man nur die Aussage der Leute anhört und das war's. Es muss immer nachgefragt werden, denn ein normaler Mensch kommt zu einer umfassenden Aussage immer erst dann, wenn er auch gefragt wird. Ein Merkmal, worauf man als Richter beispielsweise achtet, ist, wie viel die Person von selbst erzählt. Dass jemand alles und jedes Detail von allein erzählt, ohne dass Nachfragen gestellt werden, das ist schon eher ungewöhnlich, würde ich sagen.

Abgesehen von der geschickten Fragetaktik, die man im Jurastudium lernt. Gibt es noch andere Erkennungsmerkmale, auf die man bei Befragungen achtet?

Peter Schnitter: Ja, klar. Das beginnt schon bei der Beurteilung der äußeren Erscheinung. Entscheidend ist auch, wie eine Person ihre Aussage macht. Daran entscheidet sich häufig, ob ein Zeuge als glaubwürdig gilt. Auch bei der Mimik und Gestik gibt es viele einzelne Dinge, auf die man achten muss. Als Richter merkt man zum Beispiel, wenn eine Person nervös ist.

Im Fall von Stift Haug ist auch davon auszugehen, dass die Zeuginnen und Zeugen sich untereinander abgesprochen haben. Wie geht man als Richter mit so einer Situation um?

Peter Schnitter: Wenn sich Zeugen abgesprochen haben, dann kann man als Richter nichts machen. Es sei denn, man kann es aufdecken. Heutzutage ist das ja sehr gut denkbar, da die Art und Weise, wie Zeugen miteinander kommunizieren, häufig digital stattfindet und dann auch nachvollzogen werden kann. Zum Beispiel bei Textnachrichten. Früher konnte man sich nur persönlich absprechen und dann bleibt nur die Aussage der beteiligten Personen. Daher ist das heute schon leichter geworden, so etwas nachzuweisen.

Wenn man als Richter in einem solchen Fall ein Urteil fällen muss, lastet auch sehr viel Verantwortung auf einem. Das Strafmaß wirkt sich auf den restlichen Lebensweg des jungen Mannes aus. Wie geht man mit dieser Verantwortung um?

Peter Schnitter: Sicher, das ist schon richtig. Gerichte verhandeln aber immer nur dann, wenn eine Tat vorausgegangen ist. Das ist dann der Vorteil bei einem Kollegialgericht, bei dem mehrere Richter gemeinsam das Urteil fällen. Da spricht man natürlich in den Beratungen ganz intensiv mit den anderen beiden Richtern und den Schöffen über das Urteil. In dem Fall lastet der Druck auch nicht nur auf einer Person. Deshalb sind bei großen Verfahren auch immer drei Richter dabei.

Haben Sie schon einmal einen Urteilsspruch bereut, weil sie im Nachgang noch Informationen bekommen haben, die den Fall haben anders aussehen lassen?

Peter Schnitter: Sie meinen, wenn das Verfahren abgeschlossen, das Urteil gefällt ist und sich dann noch Quellen auftun, die das Urteil als falsch erscheinen lassen? Das kommt grundsätzlich schon vor. Aber wenn das Urteil rechtskräftig ist, dann ist es durch und das ist auch gut so. Es gibt nur ganz wenige Fälle unter ganz strengen Bedingungen, wo das Verfahren dann nochmal aufgerollt werden kann. Mir ist in meiner Amtszeit aber weder das eine, noch das andere passiert.

 
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  • Christina Glück
    W. Heyne Verlag, "Recht und Gerechtigkeit", ab Blatt 221: "Miriams Sicht: Aussagepsychologie"
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  • Norbert Meyer
    Und was sagt Peter Schnitter zur Aussage von Olaf Scholz im Fall Warburg ?
    Bei so einer "angeblichen" Vergesslichkeit ist man doch "arbeitsunfählich"
    u. man sollte mit J. Bidden in der gleichen geschlossenen Anstalt wohnen
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  • Dietmar Eberth
    Ein Richter wird sicherlich keine Beurteilung eines Falles machen von denen er keine Einsicht in die Fallunterlagen hat.
    Zwangseinweisung in eine Psychatrie wird kein Richter bei "etwas Vergesslichkeit" machen. Und es besteht auch keine Erhebliche Selbs- oder Fremdgefärdung.
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  • Bernd Kleinschmidt
    Was bitte muss man sich unter dem Begriff "arbeitsunfählich" vorstellen...?
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  • Michael Albert
    Wahrscheinlich das gleiche wie bei "Bidden"...
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  • Alfred Breunig
    Zitat aus dem Interview:

    "Haben Sie schon einmal einen Urteilsspruch bereut, weil sie im Nachgang noch Informationen bekommen haben, die den Fall haben anders aussehen lassen?
    Peter Schnitter: Sie meinen, wenn das Verfahren abgeschlossen, das Urteil gefällt ist und sich dann noch Quellen auftun, die das Urteil als falsch erscheinen lassen? Das kommt grundsätzlich schon vor. Aber wenn das Urteil rechtskräftig ist, dann ist es durch und das ist auch gut so. ..................."

    Über diese Aussage bin ich erschrocken, denn was hilft das den in solchen Fällen zu unrecht verurteilten Angeklagten?
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  • Dietmar Eberth
    Das hört sich nach Recht vor Gerechtigkeit an.
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  • Bernd Kleinschmidt
    @Alfred Breunig: Ich verstehe das so, dass es hier um Angeklagte geht, die "zu gut weggekommen" sind und wo man dann nicht "nachtarocken" kann. Jemand der zu Unrecht verurteilt wurde hat ja wohl die Möglichkeit, das Verfahren neu aufrollen zu lassen
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  • Alfred Breunig
    Möglich. Danke.
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  • Ingrid Reichelt-Schölch
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Michael Zink
    Das sehe ich auch so. Wenn neue entlastende Beweise auftauchen, ist meines Wissens ein neuer Prozess möglich.
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