
Über seinem Schreibtisch in der Kanzlei hängen selbstgemalte Kinderbilder. Hanjo Schrepfer ist Familienmensch durch und durch. Und er lächelt viel, lacht laut. Dabei ist sein Arbeitsalltag alles andere als zum Lachen. Der 49-jährige Rechtsanwalt aus Würzburg verteidigt Menschen, die getötet, vergewaltigt, brutale Verbrechen begangen haben.
Hanjo Schrepfer hat den Messerangreifer, der 2021 am Würzburger Barbarossaplatz drei Frauen getötet hat, vertreten. Aktuell verteidigt er mit dem Würzburger Fachanwalt für Strafrecht Roj Khalaf den Jugendlichen, der im September 2023 in Lohr (Lkr. Main-Spessart) seinen Mitschüler erschossen haben soll.
Was treibt den Anwalt an? Im Interview lässt Hanjo Schrepfer hinter die Fassade des Verteidigers blicken.
Hanjo Schrepfer: Die Geschichte hinter dem Menschen. Denn hinter jeder einzelnen Tat steckt auch ein persönliches Schicksal. Ich als Verteidiger habe das Privileg, wenn ich Vertrauen zum Mandanten aufbaue, seine Geschichte zu erfahren. In über 20 Berufsjahren habe ich es nie erlebt, dass ein Straftäter nicht irgendeinen Grund hatte, eine Straftat zu begehen. Eine völlig grundlose Straftat kenne ich nicht. Deshalb ist mein Job auch so interessant, weil ich an Informationen komme, an die Ermittlungsbehörden in der Regel nicht kommen. Die Aufgabe eines Strafverteidigers ist, die Geschichte zu präsentieren und eine Erklärung für die Tat zu geben.
Schrepfer: Ja, einige. Mein erster großer, medienwirksamer Fall war 2006. Ein Mann wurde wegen siebenfachen versuchten Mordes angeklagt, weil er als HIV-positiver Mensch versucht hat, mit mehreren Frauen ungeschützt sexuell zu verkehren, ohne sie vorher über seine Infektion in Kenntnis gesetzt zu haben. Zwei Frauen haben sich nachweislich bei ihm angesteckt. Das Verfahren wurde medial extrem breitgetreten und es war das erste Verfahren für mich als Strafverteidiger, bei dem ich heftige Anfeindungen und Morddrohungen bekommen habe.
Schrepfer: Weil ich das zu Gehör gebracht habe, was keiner hören wollte. Heraus kam nämlich, dass einige der sieben Frauen irgendwann erfahren hatten, dass der Mann HIV-positiv ist und drei Frauen weiterhin ungeschützt mit ihm verkehrt haben. Bei ihnen musste erst einmal geklärt werden, ob die Ansteckung bei den ersten Sexualkontakten erfolgte oder möglicherweise bei den zehn anderen Kontakten, die nach ihrem Wissen erfolgt sind. Für diese Fälle konnte der Mann gar nicht verurteilt werden. Das ist rechtlich hoch spannend, weil zwischen Freispruch und versuchtem Mord alles denkbar ist.
Schrepfer: Letztendlich wurde er wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Ein weiterer Fall ist mir vor allem wegen der psychischen Belastung besonders in Erinnerung geblieben: der Gemündener Babymord, bei dem der Stiefvater ein sieben Monate altes Baby erstickt hat. Gerade wenn man als Strafverteidiger selber Kinder hat, sind solche Fälle nicht immer leicht. Als ich noch keine Kinder hatte, konnte ich emotionsloser agieren.

Schrepfer: Das war in juristischer Hinsicht der leichteste Fall. Der war so glasklar. Das war keine Verteidigung, die strafrechtlich interessant war. Aber in emotionaler Hinsicht war der Fall eine der größten Herausforderungen für mich. Es ging darum, dieser abscheulichen Tat ein Ende, eine Entscheidung zuzuführen. Und da ist ein Verteidiger ein notwendiges Instrument. Schwierig war das aufgrund des Empathie-Empfindens für die Geschädigten oder für das Kind, das jetzt keine Mama mehr hat, weil sich diese schützend über das Kind geworfen hat. Doch meine Aufgabe bestand nie darin, einem psychisch kranken Menschen zur Freiheit zu verhelfen. Es ging darum, ihn aus der Untersuchungshaft in die Klinik zu bekommen. Denn da hat er hingehört.
Schrepfer: Hier merke ich einen großen Unterschied zwischen mir als junger Anwalt und als Anwalt jetzt. Als junger Anwalt ohne Familie war ich locker, cool und professionell. Ich habe mich von abscheulichen Anfeindungen in keinster Weise beeinträchtigt gefühlt. 2021 habe ich diese als viel belastender in psychischer Hinsicht empfunden. Nicht wegen der Angst um mich, auch wenn in erster Linie mir gedroht wurde. Es gab jedoch auch Drohungen meiner Familie gegenüber. Das war die größte Angst, die mich umgetrieben hat. Ich habe so oft zu Hause angerufen, weil ich mir Sorgen gemacht habe. Das war extrem belastend.
Schrepfer: Ich versuche sie so gut es geht beiseite zu schieben, das ist mein Job. In dem Moment, in dem ich aus der Kanzlei gehe, sind die Fälle – im Idealfall – in der Kanzlei geblieben. Als junger Anwalt ist mir das jedoch besser gelungen. Heutzutage nehme ich viel mehr mit nach Hause. Als junger Anwalt dachte ich, je älter und erfahrener man wird, umso lockerer und professioneller geht man mit Dingen um. Aber jetzt erfahre ich eher Gegenteiliges. Je älter man wird, umso empathischer wird man.
Schrepfer: Verteidigung von Jugendlichen ist noch komplexer, gerade bei gravierenden Straftaten. Zum einen gibt es im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht eine komplizierte Rechtslage. Und zum anderen gibt es bei jungen Straftätern häufig komplizierte psychologische Gründe, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben. Vor dem Verteidiger liegt also noch mehr Aufklärungsarbeit. Pauschal kann man das natürlich nicht sagen, aber gerade das Lohrer Verfahren zeigt wieder, welch komplexe Struktur hinter dem Ganzen steckt.
Schrepfer: Ja, die gibt es. Wenn ein überzeugter Nationalsozialist Straftaten begeht, ist bei mir die Grenze erreicht. Als Strafverteidiger können wir uns nicht herausnehmen, einen Unterschied zu machen zwischen moralisch besseren und schlechteren Menschen, das ist nicht der Auftrag eines Strafverteidigers. Doch jeder von uns hat eine politische Grenze. Und meine rote Linie liegt bei Rechtsradikalen.
Schrepfer: Diese Frage ist gut, denn sie stellt ein ganz entscheidendes Problem eines Verteidigers dar. Alles, was der Verteidiger erklärt und macht, muss der Wahrheit entsprechen. Wenn mein Mandant zugibt, die Tat begangen zu haben, dann wäre es rechtlich falsch und strafbar, auf Freispruch zu verteidigen. Deshalb will ich wirklich wissen, was passiert ist. Einer meiner Fälle bringt das ganz gut auf den Punkt . . .
Schrepfer: In Nürnberg gab es eine Raubüberfallserie. Der Verdächtige, mein Mandant, den ich schon länger kannte, sagte mir, dass er die Tat nicht begangen habe. Die Beweislage war dünn, weshalb wir auf Freispruch plädiert haben, was dann auch so kam. Nach der Verhandlung habe ich noch Haftentschädigung geltend gemacht, der Mann saß ja lange in Untersuchungshaft. Anschließend bedankte er sich bei mir mit den Worten, dass er ja gar nicht mit dem Freispruch gerechnet habe, da er die Tat begangen habe. Dann ist mir die Kinnlade runtergeklappt. Ich hatte den Eindruck, es ist ein gerechtes Urteil ergangen.
Nicht nur mir sehr auffälliges Verhalten
"Deutschland belegt im weltweiten Verlgeich im Rechtsstaatlichkeitsindex 2023 Platz 5 von 142 und befindet sich damit im grünen, oberen Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich Deutschland damit um einen Platz verbessert"
https://www.brak.de/newsroom/newsletter/nachrichten-aus-berlin/nachrichten-aus-berlin-2023/ausgabe-23-2023-v-15112023/rule-of-law-index-2023-deutschland-im-ranking-gestiegen