"Die Welt wird nach Würzburg blicken", sagt ein erfahrener Richter. "Da droht ein Spektakel – wir wissen nur noch nicht, auf welcher Bühne." Voraussichtlich am 22. April soll der Prozess gegen den Würzburger Messerstecher beginnen. Der angeklagte Abderrahman J. hat am 25. Juni 2021 in der Würzburger Innenstadt mit einem Messer Passanten angegriffen: drei Frauen starben, neun Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Nun liegt eine Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft München vor, über die dauerhafte Unterbringung des mutmaßlich schuldunfähigen 32-jährigen Täters in einer Klinik muss die Erste Kammer des Würzburger Landgerichts entscheiden. Aber wo kann die Verhandlung stattfinden?
In Würzburg gibt es wohl keinen Gerichtssaal der – zumal unter Corona-Bedingungen – für Prozesse dieses Zuschnitts groß genug ist. Selbst in den größten Sitzungssaal 017 des Justizzentrums in der Ottostraße durften zuletzt maximal 25 Menschen. Doch im Prozess gegen den Messerstecher sind es schon ohne Zuschauer und Medien mehr Prozessbeteiligte: Gericht, Staatsanwalt, Verteidigung, Beschuldigter, Gutachter und die Nebenkläger mit Anwälten, dazu die Polizei. Außerdem gibt es Überlegung, den Angehörigen der Getöteten und den überlebenden Opfern einen separaten Raum anzubieten, indem sie – getrennt vom Beschuldigten und geschützt vor der Öffentlichkeit – den Prozess verfolgen können.
"Für die Hauptverhandlung gibt es derzeit noch keine konkrete Planung hinsichtlich des Orts", erklärte Michael Schaller, Sprecher des Landgerichts, auf Nachfrage dieser Redaktion. Aber welche Räume kämen überhaupt in Frage? Diese fünf Möglichkeiten gibt es rund um Würzburg:
1. Gut Wöllried
Die Festhalle im Gut Wöllried bei Rottendorf (Lkr. Würzburg) war schon Schauplatz von mehreren großen Prozessen mit vielen Beteiligten, die sich über Wochen hinzogen. Ein Serien-Vergewaltiger wurde hier verurteilt und fünf Geldfälscher aus dem Clan-Milieu. Hier gäbe es genug Platz, geeignete Nebenräume für Beratungen und die diskrete Unterbringung von Opfern und Angehörigen. Außerdem gibt es einen großen Parkplatz und Gastronomie. Die Justiz kennt sich hier bereits aus.
"Wir mussten bei der Anfrage leider bedauernd absagen", sagte Sebastian Bayerl vom Gut Wöllried allerdings am Mittwoch. "Bei uns ist über den gewünschten Zeitraum schon alles ausgebucht."
2. Vogel Convention Center (VCC)
Auch das Vogel Convention Center (VCC) hat schon Gerichtserfahrung. Es war Schauplatz des sogenannten Eisenheim-Prozesses mit vielen Beteiligten, bietet variable Platzmöglichkeiten und Parkplätze. Bei der Suche nach einem geeigneten Ort "werden Kriterien wie Größe, zeitliche Verfügbarkeit und die Möglichkeit, Hygiene-Bedingungen einhalten zu können, eine Rolle spielen", betont Landgerichtssprecher Schaller. Dazu kommt: Ein ungestörter Ablauf muss von der Polizei schützbar sein. Denn an Drohungen gegen den 32-jährige Angeklagte und seinen Verteidiger Hanjo Schrepfer fehlte es bislang nicht.
Beim VCC heißt es auf Nachfrage dieser Redaktion: "Bisher hat sich bei uns niemand gerührt."
3. Congress-Centrum
Im Congress-Centrum Würzburg (CCW) hat schon der Würzburger Stadtrat getagt. Hier gibt es viel Platz: neun variabel kombinierbare Tagungs- und Seminarräume auf drei Ebenen, als Herzstück der Franconia-Saal, der bis zu 1635 Personen fasst. Das würde auch dem beträchtlichen Medien-Interesse Rechnung tragen, mit dem Landgerichts-Präsident Johannes Ebert rechnet.
Aber auch das CCW teilt mit: "Wir hatten dazu noch keine Anfrage von Seiten der Justiz."
4. Pfarrgemeindezentrum Heiligkreuz
Im Pfarrgemeindezentrum von Heilig Kreuz in der Würzburger Zellerau finden alle möglichen Veranstaltungen statt. Auch das Amtsgericht war hier schon zu Gast. 2021 klärte es in einem Prozess die Frage: Darf man in Würzburg ungestraft Hanftee verkaufen? In der großen Halle mit Bühne finden laut Pächter 250 Personen Platz.
Auch von Seiten des Pfarrzentrums Heilig Kreuz heißt es: "Bisher hatten wir keine Anfrage."
5. Das Gießener Modell
Die hessischen Landgerichte Gießen und Limburg fanden für ihre Platznot eine eigene Lösung: eine insgesamt 800 Quadratmeter große Halle in Leichtbauweise auf der grünen Wiese – bedarfsgerecht, gut abzusichern. Das Projekt findet bundesweit Beachtung. Sie bietet einen 400 Quadratmeter großen Verhandlungssaal, der Platz für neun Angeklagte und 18 Verteidiger hat. Jeder Sitz ist mit einer Plexiglasscheibe abgeschirmt. Videokameras, Mikrofone und Bildschirme gehören ebenso zur Ausstattung wie Heizung und Klimaanlage. Überdies gibt es 28 Zuschauerplätze und sechs Container, die als Präsenzzellen dienen, und einen hohen Zaun zur Sicherheit.
Die Halle wurde bereits für rund ein halbes Dutzend Strafverfahren genutzt, teilt das hessische Justizministerium mit. Bei dem "Interims-Gerichtssaal" seien keine Fundamente oder Tiefbauarbeiten fur Strom und Wasser notwendig, sagt die Baufirma und verspricht: "14 Tage Bauzeit nach Klärung aller technischen Details." An der Talavera in Würzburg, unweit der Polizei, böte sich so etwas an.
Die Suche nach passenden Prozess-Orten ist ein bayernweites Problem
Auch über andere alternative Gerichtsorte wird unter Prozess-Beteiligten spekuliert: Die Weiße Mühle in Estenfeld und die Mainfrankensäle in Veitshöchheim, Tagungsräume in Behörden, diverse Turnhallen von Aub bis Zell oder gut abschirmbare Kasernen-Räume.
Offensichtlich ist das Problem, in der Corona-Zeit ausreichend große Räume für Prozesse zu finden, bayernweit ein Thema. Eine Anfrage beim Justizministerium in München ergab, dass zwischen März 2020 und April 2021 "an 167 Nutzungstagen Gerichtsverhandlungen in 25 Objekten außerhalb von Räumlichkeiten der Justiz durchgeführt" wurden. Die Kosten für die "überwiegend angemieteten" Objekte wurden "nicht zentral erfasst", erklärt ein Ministeriumssprecher.