Seit der Würzburger Anwalt Hanjo Schrepfer zum Pflichtverteidiger des Messerstechers bestellt wurde, bekommt der 46-jährige Jurist eine Flut an E-Mails. Oft triefen die Inhalte vor Hass. "Die Bestie" gehöre "an den nächsten Baum" ist fast noch harmlos. Dazu hagelt es Beschimpfungen gegen Schrepfer. "Wie kann man einen solchen Menschen vertreten", fragt in hilfloser Wut selbst eine seiner Angestellten, die es – anders als Außenstehende – besser wissen müsste.
"Man fühlt die eigene Ohnmacht"
Ein 24-jähriger Somalier hat in Würzburg drei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt und neben physischen Wunden auch viele seelische gerissen. Nun läuft der Apparat des Rechtsstaates an – und Verteidiger Schrepfer ist ein kleines, nicht unwichtiges Rädchen in dieser Maschinerie. Ungeduldig stehen manche Bürger nun der mühsamen Suche nach Gerechtigkeit gegenüber. "Man fühlt die eigene Ohnmacht, will schnelle Lösungen, um rasch den Glauben an die heile Welt wiederzufinden", beschreibt es ein erfahrener Ermittler.
Schrepfer kennt das nach 17 Jahren als Strafverteidiger: Wenn Volkes Seele nach einem solchen Verbrechen kocht, ist der Anwalt oft der Prellbock. In einer E-Mail steht, er solle sofort das Mandat aufgeben, "sonst werden Sie und Ihre Familie schon sehen, was sie davon haben". Dass man angefeindet wird, akzeptiert der Anwalt. Aber nicht, dass jetzt seine Familie hineingezogen wird: "Da ist Schluss."
"Ich tue nur meine Pflicht"
Er will nicht öffentlich über Schutzmaßnahmen reden. "Aber den Ärzten, die in der Klinik die Schusswunde meines Mandanten versorgt haben, macht doch auch keiner einen Vorwurf", sagt er. "Ich tue genauso nur meine Pflicht."
Die Briefe aber zeigen ihm: "Es herrscht immer noch große Unkenntnis darüber, welche Funktion ein Strafverteidiger hat." Er sieht es als seine Aufgabe an, einen Beschuldigten zu schützen, der einem mächtigen Apparat gegenübersteht – aber solange als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld bewiesen ist.
"Was der Anwalt privat denkt, ist seine Privatsache"
Die Taten seiner Mandanten polarisieren, das ist ihm nicht neu. Bei allem Engagement wahrt er Distanz zu dem, was ein Mandant getan hat. Denn er kennt auch die Kehrseite der Medaille, das Leid der Opfer, die er als Anwalt der Nebenkläger oft genug gegen Straftäter zu vertreten hat.
Morddrohungen erhielt er bereits 2006, als er einen aidskranken Kenianer verteidigte, der bei ungeschütztem Sex mehrere Frauen mit HIV angesteckt hatte. Auch als Vater zweier kleiner Kinder kam ihm keinen Moment in den Sinn, die Verteidigung eines Drogensüchtigen abzulehnen, der das acht Monate alte Baby seiner Freundin getötet hatte. "Auch der hat Anspruch auf einen Verteidiger", sagt er. "Was ich privat über Tat und Täter denke, ist meine Privatsache."
Rund 164 000 Anwälte sind in Deutschland zugelassen, rund 3500 dürfen sich Fachanwälte für Strafrecht nennen. Viele sind – wie Hanjo Schrepfer – Reisende der Rechtsprechung quer durch Deutschland, heute in Würzburg, morgen in Nürnberg, zwei Tage später vor Gericht am Bodensee. Die Strafrechtler stehen besonders im Licht der Öffentlichkeit, aber nur selten scheiden sich die Geister so heftig wie jetzt im Fall des Messerstechers und seines Anwalts.
Vernehmung nicht möglich
Am Abend der Messerattacke hatte Schrepfer auf ein freies Wochenende mit Frau und Kindern gehofft, als der Anruf kam. Rund sechsmal im Jahr hat seine Kanzlei diesen jeweils einwöchigen Bereitschaftsdienst. So stand sein Name auch am 25. Juni ganz oben auf jener Liste der Verteidiger, die gerufen werden, um einem Festgenommenen beizustehen – egal zu welcher Uhrzeit.
Während sich die Nachrichtensendungen füllten mit Meldungen über einen messerschwingenden Mann in Würzburg, lotste ihn die Polizei zu einem Krankenhaus außerhalb von Würzburg. Dort lag unter Bewachung der 24-Jährige, den die Polizei mit einem Schuss in den Oberschenkel stoppen konnte. Der Täter murmelte wirres Zeug. Was Schrepfer von ihm wollte, realisiert er zunächst gar nicht. Vergeblich versuchten Ermittler, dem Somalier verständliche Sätze zu entlocken. "Eine Vernehmung war nicht möglich", sagt Schrepfer.
Tags darauf musste ein Richter prüfen, was die Ermittler an Beweisen haben. Er nahm den Somalier formell in Untersuchungshaft. Auch an Schrepfer war nicht spurlos vorüber gegangen, was Ermittler in der Vernehmung geschildert hatten. Dennoch versuchte er, in Interviews der sich vor allem in Sozialen Medien steigernden Empörung entgegenzuwirken: "Ich vertrete keine Bestie, sondern einen Menschen – der unter Verdacht steht, furchtbare Verbrechen begangen zu haben."
Kollegen ergreifen öffentlich Partei
Nun wird er mit Starverteidigern in einem Atemzug genannt, mit Mollath-Befreier Gerhard Strate aus Hamburg oder Hanns Feigen, der Uli Hoeneß verteidigte. Die Kehrseite? Die Kanzlei wird überschwemmt mit Drohbriefen und -anrufen. Dazu kommt der Neid derer, die auch gerne im Scheinwerferlicht stünden.
Doch rasch ergreift ein halbes Dutzend Kollegen für ihn öffentlich Partei. Chan-jo Jun, der seit einem Rechtsstreit mit Facebook selbst überregional bekannt ist, schreibt in einem vielbeachteten Beitrag auf Twitter: "Verdient der Täter das? Falsche Frage. Der Rechtsstaat braucht das." Schrepfer sei "kein Bossi-Typ", sagt ein früherer Mandant. "Kein Krawallo-Anwalt, der mit schäbigen Tricks selbst den Teufel aus der Hölle rauspauken wollte", sagt ein Staatsanwalt.
Verteidigung mit wenig Spielraum
Die Justiz hat Schrepfer Akteneinsicht gegeben: Die Spuren zu einem angeblichen islamistischen Anschlag schmelzen dahin wie Butter in der Sonne. "Da ist eher psychisch was aus dem Ruder gelaufen", sagt der Verteidiger. Er hat dennoch wenig Spielraum: "Diese Taten wurden unstreitig von meinem Mandanten begangen. Ich gehe davon aus, dass der Nachweis geführt ist."
Doch was hat den 24-jährigen Flüchtling zu dem Gewaltausbruch gebracht? "Da habe ich großes Interesse an der Aufklärung", sagt Hanjo Schrepfer – auch wenn das noch mehr böse Briefe bedeutet.
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2014/04/21/geloeschte-kommentare-sind-keine-zensur-was-ist-meinungsfreiheit/
Wann werden Sie verstehen, dass ein gelöschter oder nicht veröffentlichter Kommentar auf einer Website keine Zensur ist?
Übrigens hat unser Innenminister knapp eine Stunde nach der Tat schon auf psychische Probleme des Täters hingewiesen und somit die Richtung bestimmt.
Dass es in diesem Fall zufällig die Kanzlei Schrepfer war, ist vielleicht Glück für den Angeklagten, aber resultierte ausschließlich aus der Bereitschaftsliste.
Ich denke mir angesichts der vielen bösartigen Kommentare hier auch schon die ganze Zeit: Liebe Leute, was habt ihr am Rechtsstaat nicht begriffen?
Jeder Angeklagte (JEDER!) hat Anspruch auf eine bestmögliche Verteidigung, Punkt. Das ist der Job eines Rechtsanwaltes. Dass er diesen so pflichtgemäß wie möglich ausführt, ist seine Aufgabe.
Was er persönlich von seinem Mandanten und seiner Tat denkt, ist völlig belanglos und DARF keine Rolle spielen.
Herrn Schrepfer deshalb persönlich anzugreifen oder ihn gar zu bedrohen, ist echtes Stammtischniveau und im zweiten Falle selbst eine Straftat.
Yep, ich stimme Ihnen zu.
Nur muss sich der Hr. Strafverteidiger nicht noch werbewirksam in der Zeitung präsentieren. Er soll seine Arbeit machen und gut ist, auf inhaltliche Wertungen zum laufenden Fall zudem verzichten. Dann hätte er sicher auch ein ruhigeres Umfeld.
Wo sind denn die Verteidiger und Kanzleien der Opfer? Treten die denn auch noch hier in der MP an?