Das Thema ist ein Dauerbrenner: Fachkräftemangel lähmt die deutsche Wirtschaft in steigendem Maß. Allein im Handwerk fehlen bundesweit 250.000 qualifiziert Beschäftigte, wie es am Mittwoch bei der Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse in München hieß.
Über alle Branchen hinweg betrachtet sieht es nicht besser aus: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt schätzte vor wenigen Monaten, dass 2022 ungefähr 11.000 Fachkräfte in Mainfranken fehlen werden. Im Jahr 2030 werden es demnach wohl 52.000 sein. Fast jede sechste Stelle wäre damit nicht besetzt.
Neben dem Handwerk ist auch in der Pflege, in der Logistikbranche und in der Gastronomie das Wehklagen besonders laut. Doch woran liegt es im Kern, dass es offenbar zu viel Arbeit für zu wenige Menschen gibt? Und wie lässt sich das lösen?
Stefan Beil hat Antworten. Der 51-Jährige leitet seit 2017 die Agentur für Arbeit in Würzburg. Ihm zufolge wird sich der Fachkräftemangel in der Region weiter zuspitzen. Auswege sieht er unter anderem mithilfe der Digitalisierung und der Zuwanderung.
Stefan Beil: Das hängt damit zusammen, dass wir in der letzten Dekade einen enorm erfreulichen Wirtschaftsaufschwung hatten. Das heißt, dass der Beschäftigungsaufbau in den vergangenen zehn Jahren bei 13,7 Prozent lag. Es gibt also deutlich mehr Arbeit als vor zehn Jahren, während die Bevölkerungszahl nur marginal gewachsen ist.
Beil: Es ist ja erfreulich, dass genügend Arbeit vorhanden ist. Wir haben da schon ganz andere Zeiten erlebt. Es geht jetzt darum, inwieweit die vorhandenen Arbeitskräfte die entsprechende Arbeit erledigen können. Es ist auch festzustellen, dass sich die Altersschichtung in der Gesellschaft verändert hat. Der demografische Wandel schlägt schon jetzt deutlich zu. Es scheiden mehr Ältere aus dem Erwerbsleben aus als Junge nachrücken.
Beil: Die Situation wird sich weiter verschärfen, und zwar nicht nur, was die Fachkräfte, sondern was die Arbeitskräfte insgesamt angeht. Die Schere geht weiter auf. Wir werden in fünf bis zehn Jahren den Zenit der Abgänge der geburtenstarken Jahrgänge haben. Der Jahrgang 1964 zum Beispiel wird um das Jahr 2030 in den Ruhestand gehen. Wir werden dann also das Maximum der Renteneintritte haben. So viele Jugendliche sind in der Region gar nicht mehr vorhanden, um das in vollem Umfang abdecken zu können.
Beil: Ja. Wir begrüßen Digitalisierung und Automatisierung uneingeschränkt. In den 1970er und -80er Jahren gab es Debatten, dass Roboter massenweise Arbeitsplätze vernichten könnten. Im Nachhinein ist festzustellen, dass trotz der zunehmenden Automatisierung mehr Arbeitsplätze entstanden sind als durch die Automatisierung weggefallen sind. Es ist damit zu rechnen, dass trotz der fortschreitenden Digitalisierung die Anzahl der Arbeitsplätze nur marginal zurückgeht, während das Arbeitskräftepotenzial – also die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte – deutlich stärker sinken wird. Das heißt also: Die Digitalisierung hat einen entlastenden Effekt, kann aber den Rückgang des Arbeitskräftepotenzials nicht kompensieren.
Beil: Definitiv. Mittlerweile haben sich die Vorzeichen verändert: Früher haben die Jugendlichen um die Unternehmen geworben. Jetzt werben die Unternehmen um die Jugendlichen. Die duale Ausbildung ist der beste Weg, selbst für Fachkräfte-Nachwuchs zu sorgen.
Beil: Was man sicherlich feststellen kann, ist, dass aufgrund der Erziehung durch unsere Vorgängergenerationen ein deutlicher Drang zum Studium vorhanden ist. Nach dem Motto: Mein Sohn oder meine Tochter soll es besser haben. Ich möchte gar nicht gegen das Studium reden. Aber es muss uns gelingen, im gesamtgesellschaftlichen und im gesamtwirtschaftlichen Interesse die Gleichwertigkeit beider Wege darzustellen. Mit einer dualen Berufsausbildung beschreitet man einen Weg, der gleichwertig ist zu einem Studium.
Beil: Ich würde ein Studium machen. Aber nicht, weil ich der Ansicht bin, dass ein Studium etwas Höherwertiges ist. Es hängt vielmehr mit meinen mangelnden handwerklichen Talenten zusammen.
Beil: Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun. Denn die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind genau dann, wenn andere frei haben.
Beil: Stimmt. Aber die Corona-Pandemie hat für in der Gastronomie Beschäftigte eine Situation herbeigeführt, in der sie während einer Auszeit oder während Kurzarbeit sich vor Augen führen konnten, ob das der Job ist, den sie noch machen möchten. Oder ob es nicht doch andere Möglichkeiten gibt. Es ist nicht so, dass daraufhin ein Massenexodus in der Gastronomie stattgefunden hat. Aber gerade die vielen geringfügig Beschäftigten haben eine Festanstellung in anderen Bereichen gefunden. Zum anderen wurden frei werdende Stellen zum Beispiel durch altersbedingte Abgänge während der Pandemie natürlich nicht mehr nachbesetzt. Wenn man das zusammennimmt mit der Tatsache, dass zum Beispiel im Einzelhandel, in der Logistik und im Gesundheitswesen genügend Festanstellungen mit für die Beschäftigten attraktiveren Arbeitszeiten möglich sind, dann kann man erklären, dass der eine oder andere den Weg zurück in die Gastronomie nicht mehr gefunden hat.
Beil: Ich möchte nicht sagen, dass sie zu unattraktiv ist. Aber es muss eine bewusste Entscheidung sein, sich der Situation in der Gastronomie zu stellen. Man muss dort seine Liebe für das Metier und die eigene Berufung finden. Wenn ich den Job nur mache, um einen Broterwerb zu haben, dann ist nachvollziehbar, dass der eine oder andere schaut, wo es attraktivere Rahmenbedingungen gibt.
Beil: Man merkt es. Aber nicht in jenem Maße, wie wir uns das wünschen würden. Wir werden Zuwanderung brauchen, wenn wir unsere Arbeitsstellen und damit mittelbar unseren Lebensstandard halten, sichern und ausbauen wollen.
Beil: In der öffentlichen Diskussion werden die Themen Asyl, Flucht, Erwerbsmigration und Zuwanderung immer durcheinander geworfen. Hier und jetzt soll es mal nur um den gezielten Zuzug der Erwerbsmigration gehen. Die Bundesagentur für Arbeit geht in internationale Absprachen mit Ländern, aus denen potenzielle Arbeitskräfte kommen könnten. Es geht nicht darum, in diesen Ländern erforderliches Fachkräftepotenzial abzuwerben. Das Ziel ist vielmehr, einen fairen Austausch zu machen. Wichtig dabei ist, dass es allein mit der Integration in den Arbeitsmarkt nicht getan ist. Denn wir werben Arbeitskräfte an, aber es kommen Menschen. Sie müssen gesamtgesellschaftlich integriert werden.