Bei einer kurzfristig anberaumten Ministerpräsidentenkonferenz mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bald-Kanzler Olaf Scholz (SPD) wurden an diesem Dienstag bundeseinheitliche Verschärfungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie beraten. Bereits am Donnerstag sollen dann bei einem weiteren Treffen Beschlüsse gefasst werden. Im Gespräch sind eine allgemeine Impfpflicht, eine 2G-Regelung für den Einzelhandel, die Schließung von Bars und Clubs, Zuschauerlimits bei Großveranstaltungen und Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte.
War die Politik in den vergangenen Monaten zu leichtsinnig und zu wenig vorausschauend? Und was muss jetzt getan werden, um die vierte Welle zu brechen? Darüber haben Landräte und Landrätinnen sowie Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in Unterfranken klare Vorstellungen. Diese Redaktion hat zehn von ihnen zu den größten Fehlern befragt. Was die Politikerinnen und Politiker jetzt fordern.
1. Fehler: Schließung der örtlichen Impfzentren
Dass man vom Freistaat Bayern genötigt wurde, die Impfzentren bis Ende September herunterzufahren, obwohl die Boosterimpfungen anstanden, sorgt in Rathäusern und Landratsämtern der Region für Kopfschütteln. Aus Sicht der Verantwortlichen in Unterfrankens Kommunen war dies der gravierendste Fehler. Eigentlich hätten da die Kopfrechenkünste eines Erstklässlers ausgereicht, schimpft der Gerbrunner Bürgermeister Stefan Wolfshörndl (SPD): "Prio-Gruppe eins war im März dran – und dann plus sechs Monate." Nun müssten die Impfzentren in einem Kraftakt wieder aufgebaut werden, "für die Neueinrichtung geht viel Zeit verloren", klagt der Haßfurter Bürgermeister Günther Werner (Wählergemeinschaft Haßfurt), derzeit – neben dem Schweinfurter OB Sebastian Remelé (CSU) – Bezirksvorsitzender des Bayerischen Städtetags. Glücklich, wer sein Impfzentrum nicht abgebaut, sondern lediglich in den Stand-By-Modus befördert hat. Oder, wie in Kitzingen, umgewandelt hat zum Testzentrum. "Deshalb konnten wir in den vergangenen Wochen auch relativ schnell auf die gestiegene Impfnachfrage reagieren", sagt die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof (Freie Wähler).
2. Fehler: Impfkampagne wurde verschleppt
Seit dem Spätsommer trat die Impfkampagne auf der Stelle. Doch aus der Politik kam wenig Initiative, um sie gerade mit Blick auf das Boostern zu forcieren und noch mehr Ungeimpfte zu erreichen. "Weder wurde rechtzeitig die Drittimpfkampagne begonnen, noch gibt es überhaupt eine überzeugende Kommunikation zur Impfkampagne", bemängelt der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf (Grüne). Aus Sicht von Schweinfurts OB Remelé ist die ganze Impfstrategie von Bundes- und Landespolitik nicht aufgegangen. An Mahnungen aus der Wissenschaft hätte es nicht gefehlt, sie seien von der Politik aber weitgehend ignoriert worden. "Wir haben uns einen sehr lockeren Sommer genehmigt, das war fatal", blickt Birgit Erb (CSU) zurück. Die Oberelsbacher (Lkr. Rhön-Grabfeld) Bürgermeisterin und Bezirksvorsitzende des Bayerischen Gemeindetages macht dafür auch die Bundestagswahl verantwortlich.
3. Fehler: Kneifen vor der Bundestagswahl
Die Parteien befanden sich im August und September im Wahlkampfmodus, die Pandemie war nachrangig - und vor allem wollte man das Wahlvolk nicht mit neuen Corona-Drohungen für den Herbst verprellen. Die Hälfte der befragten unterfränkischen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker hält die Wahl für einen wesentlichen Faktor der vierten Welle. Von einer "Hü-Hott-Politik mit Lockerungen und dem Abbau von Impfkapazitäten" spricht Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU). Geht es nach dem Rhöner Landrat Thomas Habermann (CSU), hätte spätestens im Spätsommer eine Impfpflicht beschlossen werden müssen. Stattdessen: zusätzliche Lockerungen der Corona-Maßnahmen, "gegen den Rat der Sachverständigen", kritisiert der Bezirksvorsitzende des Landkreistages.
Wie aber kommt das Land nun schnell aus der vierten Welle heraus? Die Lage ist dramatisch, Handeln dringend geboten. Darüber ist man sich in den Rathäusern und Landratsämtern Unterfrankens einig. Aber was genau erwarten die Verantwortlichen jetzt von der Bundes- und Landespolitik?
1. Forderung: Impfkampagne mit Volldampf und genügend Impfstoff
Dass man die Impfzentren hochfährt, es nun aber wieder an Impfstoff mangelt – das ist nicht nur für Landrätin Bischof "absolut unverständlich und ärgerlich". Unisono fordern die befragten Bürgermeister und Landräte eine forcierte Impfkampagne. "Zuallererst muss die Impfstoffversorgung funktionieren", mahnt der Würzburger Landrat Thomas Eberth (CSU). Die Menschen bräuchten vor den Weihnachtstagen Hoffnung und Klarheit. Für ihn wie für andere gehört die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht mittlerweile zum Arsenal im Kampf gegen das Coronavirus. Zuletzt hatten sich sämtliche unterfränkische Landräte dafür ausgesprochen. "Impfen, wo es überhaupt nur geht", wünscht sich Bürgermeister Wolfshörndl. Und zwar in Impfzentren, aber auch in Arztpraxen, Apotheken und durch mobile Teams. Auch vorgezogene und verlängerte Weihnachtsferien kann sich der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt in Bayern (AWO) vorstellen.
2. Forderung: Reduzierung der Kontakte
Impfen hilft, kann aber die laufende vierte Welle nicht sofort brechen. Deshalb sprechen sich die Kommunalpolitikerinnen und -politiker für eine Einschränkung der Kontakte aus, vor allem in Innenräumen. Im Auge haben sie in erster Linie größere Ansammlungen und Veranstaltungen. Dass teilweise noch vor Tausenden Zuschauern und vollen Rängen Fußball gespielt wird, "das geht gar nicht", findet Bürgermeisterin Birgit Erb. Und wo ein Infektionsfall auftritt, solle die Quarantäne wieder breiter gefasst werden – "und nicht nur für den Infizierten gelten". Der letzte Lockdown habe gezeigt, dass Kontaktbeschränkungen wesentlich zur Reduzierung der Inzidenz beigetragen haben, bestärkt Bürgermeisterkollege Günther Werner. Er befürchtet ansonsten ein "Kollabieren unseres Gesundheitssystems". Wichtig, so die einhellige Meinung: Klarheit in den Regeln, außerdem sollten sie bundesweit einheitlich gelten.
3. Forderung: Konsequente Anwendung der bestehenden Regeln
Vermutlich wäre schon eine Verbesserung der Lage zu erreichen, wenn die gültigen Corona-Regeln wie 3G, 2G oder 2G-plus konsequent angewendet und kontrolliert würden. Das glaubt zumindest die Mehrheit der Befragten und fordert eine Umsetzung "ohne Ausnahmen" wie etwa für Kirchen. Je verwirrender die Regeln, desto mehr schwinde die Akzeptanz in der Bevölkerung.