Normalerweise würden sich in diesen Tagen große Menschentrauben an den Glühweinständen auf dem Würzburger Markt versammeln, stattdessen stehen die Menschen Schlange an der Impfstelle an den Rathaus-Arkaden. Auch diese Symbolik ist es, die zeigt, wie sehr die vierte Welle der Corona-Pandemie auch die Stadt Würzburg im Griff hat. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut für Würzburg eine Sieben-Tage-Inzidenz von 435,6. Eine Woche zuvor hatte der Wert noch 301,7 betragen.
Wie schätzt Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) die Lage ein? Ein Gespräch über befürchtete Entwicklungen, verpasste Chancen und mögliche Auswege.
Christian Schuchardt: Ich gehe davon aus, dass wir in Richtung 1000 gehen, wenn die Menschen nicht ihre Kontakte einschränken. Mich beunruhigt die Entwicklung sehr. Zwar gibt es das System der Krankenhaus-Ampel, aber auch durch die hohe Dunkelziffer der Infektionen müssen wir von einem weiteren Anstieg ausgehen. Deshalb müssen soziale Kontakte auf das Notwendigste reduziert werden. Nur wenn wir die Vorsichtsmaßnehmen wieder hochfahren – wie im vergangenen Jahr – haben wir überhaupt noch die Chance, an dem Wert von 1000 vorbeizukommen. Ich persönlich gehe aber davon aus, dass wir eine Inzidenz von 1000 erreichen werden.
Schuchardt: Ich fand es im Sommer dieses Jahres schwierig, dass für alle die Corona-Maßnahmen gelockert wurden. Damals hatten wir die Kapazitäten in den Impfzelten, haben aber Lockerungen gleichermaßen für alle ermöglicht, anstatt Anreize für Ungeimpfte zu schaffen, sich impfen zu lassen. Eigentlich hätte es nur für die doppelt Geimpften Erleichterungen geben dürfen, dann wäre auch die Motivation zum Impfen höher gewesen. Dass es damals diese schnelle Umkehr zur Normalität gab, hing meiner Meinung nach auch mit der Bundestagswahl zusammen. Dabei hätte man mit Blick in andere Länder, wie Israel, wissen können, dass Booster-Impfungen nötig sein werden und dass eine vierte Welle kommen kann, wenn man nicht gegensteuert. Dass die Kommunikation damals nicht klarer war, finde ich schon sehr schwierig, passte aber wohl nicht in die Stimmung im Land.
Schuchardt: Ich habe die Schließung nicht nachvollziehen können und verstehe nicht, dass man die Zentren mit dem Personal nicht im Stand-by-Modus erhalten hat. Jetzt braucht es wieder Zeit und Anstrengungen, das Impfangebot hochzufahren. Aber ich denke, wir kriegen das hin: Zum 22. November hatten wir täglich 435 Impfungen. Am Nikolaustag wollen wir die Kapazität in den Impfzentren auf mindestens 960 und im neuen Jahr, zum 3. Januar, auf 1950 hochfahren. Das hängt natürlich auch davon ab, ob uns ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht. Über die aktuelle Kürzung von Impfstoffen kann ich nur mein Unverständnis äußern. Außer dem Impfzentrum, das gerade von der Kürnachtalhalle in den ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Lengfeld umzieht und dort am Montag öffnet, planen wir Impfangebote in den Stadtteilen. Es geht jetzt besonders um die noch nicht Geimpften. Für diese Zielgruppe muss das Angebot besonders leicht zugänglich gemacht werden. Deshalb werden seit dieser Woche auch am Grafeneckart nur noch Erst- und Zweitimpfungen gemacht. Wir haben momentan in Würzburg eine Impfquote von 72,7 Prozent bei der Zweitimpfung, in Bayern liegt sie bei 65,5 und bundesweit bei 67,6. Mein klarer Appell an die Menschen lautet: Lassen Sie sich impfen, sonst werden wir der Lage nicht Herr.
Schuchardt: Wir sehen, dass unsere Kapazitäten bereits jetzt durch Hinzuverlegungen, vor allem aus Südbayern, in Anspruch genommen werden. Wir müssen uns die Frage stellen: Wenn wir mal bei einer Inzidenz von 1000 stehen, müssen dann auch Patienten von Würzburg aus in andere Krankenhäuser verlegt werden? Gerade vor diesem Hintergrund ist es eben so sehr wichtig, die Ausbreitung der Infektionen zu stoppen.
Schuchardt: Es ist klar, dass jetzt vor allem Solidarität gefordert ist.
Schuchardt: Zum Beispiel die Solidarität von Menschen, die einen sicheren Arbeitsplatz haben, zu den Menschen, denen als Selbstständige die Einnahmen wegfallen. Und wir werden diese Krise eben nur überwinden durch impfen und persönliche Kontaktbeschränkungen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen viele Freiheiten behalten können und der Staat nicht massiv durch Lockdowns eingreifen muss.
Schuchardt: Zum Beispiel beim Thema der Gebühren für Außengastronomie oder Marktstände. Daneben werden wir uns auch wieder mit Corona-Hilfen für selbstständige Kulturschaffende befassen müssen.
Schuchardt: Ich sehe durchaus einen Unterschied zum letzten Jahr.
Schuchardt: Das schon, aber wir haben eben jetzt die Möglichkeit, uns durch Impfen zu schützen und dadurch die Gefahr für jeden einzelnen zu reduzieren. Das ist ein gravierender Unterschied im Vergleich zum vergangenen Winter.
Schuchardt: Für diejenigen, die mit vulnerablen Personengruppen zu tun haben, halte ich eine Impfpflicht für zwingend nötig. Was die Allgemeinheit betrifft, muss die Diskussion jetzt geführt werden. Wenn ich die Situation betrachte, überwiegen meiner Meinung nach die Argumente einer allgemeinen Impfpflicht zumindest für Menschen über 40 oder 60. Aber das ist keine Schwarz-Weiß-Frage. Man muss die Argumente abwägen. Allerdings hätte diese Debatte bereits im Sommer geführt werden müssen – Bundestagswahlkampf hin oder her.
Schuchardt: Ich glaube, man hätte vieles bereits im Sommer klarer sagen können, wenn man auf die Experten gehört hätte. Das hätte ich mir persönlich gewünscht. Allerdings geht es in der Politik im Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition eben auch um Profilierung und politisches Kalkül. Bei solch existenziellen Fragen wie der Pandemiebekämpfung muss sich die Politik aber davon frei machen. Stattdessen empfiehlt es sich, zum Beispiel auf die Länder zu schauen, die in der Bekämpfung der Pandemie schon weiter sind. Wir müssen doch das Rad nicht immer neu erfinden. Und wir müssen unbequeme Wahrheiten klar und deutlich auszusprechen.
Hat er Anfang August gegen die Schließung protestiert? Wenn ich mich richtig erinnere, wurde damals argumentiert, dass die Impfzentren ja ach so teuer wären. 220 Mitarbeiter im Stand-by-Modus zu halten? Das hätte niemand verstanden. Mitarbeiter bezahlen fürs Nichtstun. Rückblickend weiß man natürlich, dass man ab Oktober ernsthaft mit den Drittimpfungen hätte anfangen müssen. Mit Auffrischungsimpfungen wurde schon im Juni begonnen, aber nur vereinzelt. Das Wort Auffrischungsimpfungen gibt es nicht erst seit Oktober.
Das einzig Positive am Artikel ist, dass es vom OB nach Monaten mal wieder ein Lebenszeichen gibt….