Geschlossene Kitas, kaum Sandkasten-Treffen, Schule zuhause. Die Corona-Isolation der vergangenen Monate hat nicht nur die Kontakte unter Kindern drastisch reduziert – sondern auch die Ansteckungen. Im Winter etwa blieb die übliche Erkältungs- und Grippewelle aus. Ein Grund zum Aufatmen für Eltern? Oder kann das auch negative Folgen haben? Für kleine Kinder bedeute der Austausch mit Viren eine Art "immunologisches Training" und das sei in der frühen Kindheit wichtig, sagt Prof. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik an der Uniklinik Würzburg. In einem Fachbeitrag regt er deshalb gemeinsam mit einem Kollegen einen wissenschaftlichen Diskurs zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Entwicklung des kindlichen Immunsystems an. Ein Gespräch über harmlose und gefährliche Viren, Wintererreger im Sommer und die Macht des Mikrobioms.
Prof. Christoph Härtel: Es gibt bei Kinderärzten tatsächlich die Sorge, dass die Immunantwort von Kindern kaum trainiert wird, wenn sie sich nicht mit Viren und Bakterien, die einfach zu unserem Leben gehören, auseinandersetzen muss. Durch die Isolation und die eingeschränkten Möglichkeiten, mit anderen Kindern zu spielen, könnte das während der Pandemie der Fall gewesen sein. Denn das vielfältige Training des Immunsystems stärkt die eigene Infektabwehr und bietet auch einen Schutz gegen Autoimmunerkrankungen und Allergien. Allerdings sind das bisher nur Hypothesen.
Härtel: Im Moment sind es nur Zahlenwerte, die andere Infektionserkrankungen betreffen. Blickt man zum Beispiel auf das RS-Virus, das bei Säuglingen schwere Erkrankungen hervorrufen kann, wissen wir aus Australien, England oder auch den USA, dass dort die RS-Virus-Welle im Winter nahezu komplett ausgefallen ist. Dafür ist sie dann im Sommer mit deutlich erhöhter Fallzahl gekommen.
Härtel: Normalerweise werden Kinder schon im frühen Säuglingsalter mit relativ banalen Bakterien und Viren konfrontiert, die Haut und Schleimhäute besiedeln. Dieses ‚friedliche Zusammenleben‘ gehört zur natürlichen Entwicklung des kindlichen Immunsystems und wird unter anderem durch Stillen, ausgewogene Ernährung, Bewegung und Spielen in der Gruppe nachhaltig gefördert. Bleibt das aus, besteht die Möglichkeit, dass gefährlichere Erreger auf ein ‚naives Immunsystem‘ treffen und mehr symptomatische Erkrankungen hervorrufen. Schon jetzt in der Sommersaison sehen wir in einzelnen Kliniken mehr Infekte mit Erregern, die eigentlich klassische Wintererreger sind. Noch leitet man daraus keine Konsequenzen ab, aber man muss es beobachten.
Härtel: Ja, möglicherweise. Die verschärften Hygienebedingungen in der Pandemie – auch für Kinder – haben dazu geführt, dass die letzte Grippesaison ausgefallen ist. Laut Modellrechnungen könnte es sein, dass die nächste Grippewelle dadurch stärker wird.
Härtel: Es ist wichtig, dass wir neben dem Infektionsschutz die vielfältigen Aspekte des gesunden Aufwachsens von Kindern berücksichtigen. Dazu braucht es gerade in einer Pandemie einen intensiven Austausch zwischen Politik und Wissenschaft, der aktuellste Erkenntnisse einschließt. Schutzmasken können die Übertragung von virushaltigen Tröpfchen bei Coronaviren oder Influenza reduzieren, für andere Viren wie beispielsweise Schnupfenviren gilt dies nicht. Zahlreiche Untersuchungen in Kindergärten und Schulen, auch die Würzburger "Wü-KiTa-CoV"-Studie, haben gezeigt, dass Kinder gerade nicht zu den Treibern der Corona-Pandemie gehören.
Härtel: Es ist aus kinderärztlicher Sicht unabdingbar, dass alle Kitas und Schulen, aber auch Sportplätze, Schwimmbäder und Vereine verlässlich und unter Einhaltung der Hygienebedingungen geöffnet bleiben. Dazu brauchen Beschäftigte im Bildungswesen Vertrauen, Sicherheit und Wertschätzung. Jetzt können die Vorbereitungen für das kommende Schuljahr getroffen werden, zum Beispiel für offene Klassenzimmer und Luftfilter. Eine Maske für Grundschüler ist dann vielleicht nur noch in Ausnahmesituationen erforderlich.
Härtel: Kinder, die im Lockdown geboren wurden oder ihre frühe Kindheit mit weniger Sozialkontakten im Lockdown erlebt haben, wird man sich aus kinderärztlicher Sicht gut anschauen müssen. Wir beobachten in der westlichen Welt bereits seit einigen Jahrzehnten eine Reduktion von Infektionserkrankungen – und zugleich eine erhöhte Rate an Autoimmunerkrankungen, Allergien aber auch Übergewicht schon im Kindesalter. Möglicherweise spielt das Mikrobiom eine wichtige Rolle. Das ist die Zusammensetzung der Keime, mit denen man in der frühen Kindheit besiedelt ist. Ein stabiles, schützendes Mikrobiom ist vielseitig und wird inspiriert durch den intensiven Austausch mit der Umwelt.
Das wird sich jetzt deutlich ändern, weil Kinder und der ungeimpfte Rest der zu impfenden Bevölkerung ab sofort ein prima Versuchsfeld für das Virus sind. Der geimpfte Teil der Bevölkerung hat relativ gute Karten.
Warum schreibe ich das: es bleibt ein praktisches Problem, dass die Kinder mit dem Virus durchseucht werden, weil keine Impfung verfügbar ist. Ja, bei Kindern wird es nur wenige schwer treffen, aber wer mag schon der Einzelfall sein, der sein Kind im besten Fall dann im Krankenhaus besuchen muss. Ich nicht.
Und wie gesagt: Corona ist leider nur ein Aspekt, wenn auch momentan sehr im Vordergrund.
Insofern: danke für den Link. 🙂