Am heutigen Donnerstag gehen rund 1,65 Millionen Schülerinnen und Schüler in Bayern in die Sommerferien. Hinter ihnen liegt ein schwieriges Schuljahr mit Distanzunterricht, Maskenpflicht und technischen Problemen. Ab September soll wieder Normalität in die Klassenzimmer zurückkehren – doch die Corona-Infektionen drohen gerade in den jüngeren Altersgruppen erneut zu steigen. Wie gut sind Bayerns Schulen auf die Herausforderung "Corona" im neue Schuljahr vorbereitet? Welche Regeln drohen den Schülerinnen und Schülern? Was funktioniert besser, als im vergangenen Jahr? Und wo gibt es immer noch Probleme? Die sieben wichtigsten Fragen:
1. Droht schon im Herbst eine erneute Maskenpflicht in allen Klassenzimmer?
Im Frühsommer hatte die Söder-Regierung wochenlang über die Maskenpflicht an Schulen gestritten: Während die Freien Wähler auf Masken weitgehend verzichten wollten, blieb Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vorsichtig. Sein Argument: Schule ist eine Pflichtveranstaltung, deshalb sind Schutzmaßnahmen hier besonders geboten.
Am Ende gab es einen Kompromiss: In Grundschulen fielen die Masken unter einer regionalen Inzidenz von 50, in allen anderen Schularten unter Inzidenz 25. Ein Verzicht auf Masken im Unterricht sei aber nur bei sehr niedriger Inzidenz möglich, bekräftigte Söder.
Nun die erneute Kehrtwende: Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) kündigte an, dass es – wie bereits im vergangenen Jahr – in den ersten Wochen nach den Sommerferien unabhängig von der Inzidenz wieder eine Maskenpflicht für alle Schülerinnen und Schüler geben wird. Dadurch sollen Infektionen durch Reiserückkehrer vermieden werden.
Im Klartext: Die Maskenpflicht in den Klassenzimmern wird die Schülerinnen und Schüler wohl auch im kommenden Schuljahr noch lange begleiten: "Wir werden den Schutz der Maske nicht leichtfertig aufgeben", sagte Söder.
2. Was wird aus den Corona-Pflichttests?
Die anfangs heftig umstrittenen Corona-Pflichttests in den Schulen seien zuletzt ohne größere Probleme abgelaufen und böten hohe Sicherheit für Schüler und Lehrer, findet Piazolo: "Im nächsten Schuljahr ist deshalb geplant, mit dem Testen weiter fortzufahren."
Allerdings soll die Teststrategie "an verbesserte Testmöglichkeiten angepasst" werden: So wird an Grundschulen verstärkt auf sogenannte PCR-Pool-Tests gesetzt. Dabei wird zunächst die gesamte Gruppe gemeinsam getestet. Nur im Positiv-Fall erfolgt eine individuelle Testung. Pool-Tests seien effizient, sicher und für die Kinder leichter anzuwenden, wirbt Piazolo.
Damit müssen Schülerinnen und Schüler rechnen: Auch im Herbst wird es zunächst bei den Pflicht-Selbsttests im Klassenzimmer zwei Mal pro Woche bleiben. Bei hoher Inzidenz könnte die Anzahl aber auch noch erhöht werden, heißt es von der Staatsregierung.
3. Wie viele Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler werden im Herbst geimpft sein?
Der Anteil der geimpften Lehrkräfte in Bayern ist aufgrund des Datenschutzes nicht festzustellen. Sowohl das Kultusministerium als auch die Lehrerverbände sprechen jedoch schon jetzt von einer überdurchschnittlich hohen Quote. Eine mögliche Impfpflicht für Lehrerinnen und Lehrer scheint damit aktuell vom Tisch.
Stärker in den Fokus rückte zuletzt die Impfung der Schülerinnen und Schüler: "Wir müssen im Herbst auch den Schutzfaktor für Jüngere erhöhen", forderte etwa Ministerpräsident Söder. Die fehlende Impfempfehlung in Deutschland trotz europäischer Zulassung von Impfstoffen für Jugendliche ab zwölf Jahren ist ihm dabei ein Dorn im Auge: "Je später wir impfen, desto größer ist die Unsicherheit für die Schüler", warnte er. Die Impfung möglichst vieler Kinder und Jugendlicher noch in den Sommerferien erhöhe die Chance auf regulären Unterricht auch bei höheren Infektionszahlen. Zuletzt forderte Söder gar ein bundesweites „Schüler-Impfprogramm“.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat dagegen bisher keine generelle Impfempfehlung für Schülerinnen und Schüler gegeben – unter anderem mit der Begründung, dass schwere Covid-19-Erkrankungen in dieser Altersgruppe selten seien.
Aktuelle Impfquote: Zuletzt stieg der Anteil der Geimpften unter 18 Jahren in Bayerntrotzdem deutlich auf mehr als 18 Prozent.
4. Scheitern Corona-Luftfilter für alle Klassenzimmer am Streit ums Geld?
"Wir wollen in jedem Klassenzimmer bis September einen Luftfilter", hatte Ministerpräsident Markus Söder Ende Juni versprochen. Doch die Umsetzung könnte schon am Streit ums Geld scheitern: Denn die Kommunen, die für die Finanzierung der Ausstattung der Schulgebäude zuständig sind, fühlen sich von der Söder-Regierung in der Lüfter-Frage überrumpelt.
Fünfzig Prozent der Anschaffungskosten will der Freistaat übernehmen – bis zu 190 Millionen Euro sollen dafür zur Verfügung stehen. "Zu wenig", heißt es bei den Kommunalverbänden: Wenn der Freistaat Luftfilter in jedem der rund 60 000 Klassenzimmer wolle, dann müsse er sie auch komplett bezahlen. Manche Städte und Landkreise bemühen sich trotzdem um die Anschaffung der Luftfilter. Viele halten sich aber zurück – weshalb Söders Versprechen wohl ein Wunschtraum bleiben dürfte.
Bereits vergangenen Herbst hatte der Freistaat Luftfilter für schlecht belüftete Klassenräume gefördert. Mit rund 37 Millionen Euro Fördersumme wurden gut 14 000 Klassenzimmer ausgestattet. Der Bund fördert zudem fest eingebaute Belüftungsanlagen mit Filtertechnik.
Ärger in den Schulen: Bei den direkt Betroffenen stößt der Finanzierungszoff auf wenig Verständnis. "Der Appell heißt: Einigt euch", sagt etwa Michael Schwägerl vom Philologenverband (bpv). Jörg Nellen von der Gewerkschaft GEW beklagt eine "Verzagtheit staatlicher Entscheidungsträger". Wolle man die Schulen auch bei hohen Infektionszahlen wirklich offenhalten, dann müsse doch gelten: "Jede Maßnahme hilft."
5. Digitale Schule: Wird die Technik im Herbst endlich problemfrei funktionieren?
Mit der digitalen Ausstattung der Schulen ist zumindest das Kultusministerium zufrieden: Das Ziel, bis 2023 rund 50 000 "digitale Klassenzimmer" einzurichten, sei schon jetzt erreicht, heißt es dort. Bis Ende 2020 seien zudem allein 107,8 Millionen Euro in die Beschaffung von Lehrer-Laptops und Schüler-Leihgeräten geflossen. Die Zahl schuleigener Tablets und Notebooks für Schülerinnen und Schüler sei damit von unter 50 000 Geräten in 2019 auf nun über 232 000 Geräte angestiegen. Den rund 120 000 Lehrkräften in Bayern könnten zudem bis Ende 2021 mindestens 92 800 "Lehrerdienstgeräte" zur Verfügung gestellt werden.
Es sei "in der Tat eine Menge passiert in der Digitalisierung der Schulen", findet auch Lehrerverbands-Chef Schwägerl. Doch sei längst nicht alles Gold was glänzt: Viele Geräte für Lehrkräfte seien bis zum Schulstart im September längst noch nicht verfügbar. Das größte Problem seien aber Wartung und Pflege: "Die Vielzahl der neuen Geräte hat verschärft, was in den Schulen vorher schon ein Problem war", warnt Schwägerl.
Für einen funktionierenden Distanzunterricht entscheidend ist zudem die Frage der Software: Monatelang hatten Schülerinnen und Schüler mit Zugangsproblemen zur Schulplattform "mebis" gekämpft – ein Problem, das inzwischen gelöst scheint. Allerdings läuft Ende Juli die Lizenz des Freistaats zur Nutzung der Gruppenarbeits-Software "Microsoft Teams" aus. Als Ersatz soll ab Herbst die Videokonferenz-Plattform "Visavid" zum Einsatz kommen. Schulen könnten laut Ministerium aber auch in Eigenregie "alternative digitale Kommunikationswerkzeuge einsetzen, sofern die rechtlichen Anforderungen erfüllt sind".
Genau hier gibt es beim gut funktionierenden Programm "Teams" aber Probleme: Der bayerische Datenschutzbeauftragte bemängelt etwa die Speicherung von Schülerdaten auf ausländischen Servern. Die Verantwortung vom Freistaat auf die Schulen abzuwälzen, sei deshalb wenig hilfreich, findet Lehrervertreter Michael Schwägerl. Zudem sei "Visavid" nur eine Video-Plattform – und damit für Distanzunterricht deutlich weniger geeignet als "Teams".
Die Befürchtung der Lehrkräfte: "Wir starten im Herbst mit einer gewissen Unsicherheit, weil wir nicht wissen, wie gut die neuen Tools im Ernstfall funktionieren", warnt GEW-Mann Jörg Nellen.
6. Lockdown-Defizite bei Schülerinnen und Schülern: Helfen Brückenkurse und Sommerschule?
Bereits im Mai hatte Minister Piazolo das Förderprogramm "Gemeinsam Brücken bauen" vorgestellt, um Lerndefizite bei Schülerinnen und Schülern durch den monatelangen Distanzunterricht auszugleichen. Im Kern besteht das Programm aus zwei Bauteilen: Erstens einer "Sommerschule" in der ersten und letzten Woche der Sommerferien. Dort sollen etwa Schülerinnen und Schüler, die nur auf Probe vorrücken oder die "durch familiäre und individuelle Umstände Orientierung verloren haben" durch intensive Wiederholung des Lernstoffs in den Kernfächern fürs nächste Schuljahr fit gemacht werden.
Das Schulministerium wirbt für die Durchführung der "Sommerschule" sogar um vhs-Dozenten oder Lehramtsstudentinnen und -studenten. Als Voraussetzung reichen "pädagogisches Geschick", "kommunikatives Talent" sowie möglichst Erfahrungen in der Jugendarbeit.
Der zweite Baustein: Ab September sollen zusätzliche "Brückenkurse" und mehr individuelle Förderung auch im Pflichtunterricht stattfinden. Die Schulen bekommen dafür vom Freistaat Extrageld auch für zusätzliches Personal.
Der Bedarf für zusätzliche Betreuung scheint hoch: So ergab eine Umfrage des Philologenverbandes unter rund 2000 Gymnasiallehrern, dass bis zu zehn Prozent der Gymnasiasten "psychosoziale Unterstützung" benötigen. "Die Kinder ziehen sich zurück, haben Schulangst, manche haben auch eine sehr kurze Lunte", berichtet Verbandschef Schwägerl. Nur ein Viertel der befragten Lehrkräfte hält zudem die bislang vom Freistaat angebotene Zusatzförderung für ausreichend.
Hauptproblem beim Extra-Unterricht: "Geld ist da, der Ansatz des Programms ist gut. Aber es fehlt am Personal", warnt Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Schon jetzt gebe es große Lücken in der Versorgung, etwa an Mittelschulen: "Und die Profis zur individuellen Förderung fehlen überall", warnt sie.
7. Bleiben die Schulen ab September auch bei hoher Inzidenz offen?
"Im neuen Schuljahr ist Präsenzunterricht nicht nur das Ziel. Wir wollen das mit allen Mitteln", beteuert Minister Piazolo. Präsenzunterricht auch bei hoher Corona-Inzidenz sei mit einer effektiven Strategie aus Impfen, Testen und konsequenten Hygiene-Regeln absolut möglich, glaubt Piazolo: "Ich behaupte sogar, dass es kaum einen sichereren Ort gibt, als die Schulen, wo viele Leute zusammenkommen."
Dass bei sehr hohen Infektionszahlen der Unterricht an den Schulen aber auch ohne formalen Lockdown in die Knie gehen kann, zeigte jüngst das Beispiel England: Dort waren kurz vor den Sommerferien Mitte Juli die Schulen zwar komplett offen. Doch wegen eigener Infektion oder als Kontaktperson waren mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler in Selbstisolation zu Hause. An den weiterführenden Schulen fehlte fast jeder fünfte im Unterricht.
Was sagt der Schulminister? "Bayerns Schulen sind für den Unterrichtsstart im Herbst gut vorbereitet", beteuert Michael Piazolo. Aber auch er räumt ein, dass es einen konkreten Plan für das nächste Schuljahr in Bayern nicht gibt – und unter Corona-Bedingungen gar nicht geben kann: "Denn auch wir wissen nicht, was noch kommt."