Die Politik hat in der Corona-Krise Kinder und Jugendliche nahezu ausschließlich in ihrer Rolle als "Schüler“ gesehen. Als Menschen mit Bedürfnissen haben politische Entscheidungsträger die Minderjährigen kaum wahrgenommen. Zu diesem Schluss kommt die Studie des Forschungsverbunds "Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“der Universitäten Hildesheim, Frankfurt und Bielefeld. Wenn Jugendliche außerhalb der Schülerrolle wahrgenommen worden seien, dann höchstens als "Regelbrecher“, heißt es darin weiter. Entsprechend alleingelassen haben sich den Forschern zufolge viele Kinder und Jugendliche während des Lockdowns gefühlt, entsprechend stark haben sie unter der Isolation gelitten.
Studie: Perspektiven junger Menschen ignoriert
Junge Menschen seien –neben Senioren –durch die Pandemie besonders beeinträchtigt; ihre Spielräume seien enorm eingeschränkt worden, heißt es in der Studie, für die 5000 Jugendliche befragt wurden. "Hinzu kommt der Eindruck, dass bei Entscheidungen über Maßnahmen und Strategien in den letzten Wochen und Monaten und bei der Abwägung vielfältiger Interessen die Perspektive von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht eingenommen wird, geschweige denn, dass junge Menschen angehört werden und aktiv mitgestalten könne", schreiben die Forscher.
Schülerin: "Wenn man so viel allein ist, denkt man zuviel nach."
Welche Folgen die soziale Isolation gerade für Kinder und Jugendliche haben kann, hat die Leiterin der Würzburger Erziehungsberatungsstelle des Sozialdiensts Katholischer Frauen, Dr. Verena Delle Donne, in den letzten Monaten beobachtet. "Wir sind ja soziale Tiere; wir brauchen den direkten Kontakt zu anderen", sagt die Diplompsychologin. Fehle der Kontakt, reagierten viele Kinder mit "Gereiztheit, Aggression einerseits oder Rückzug und Verstummen" andererseits. "Wenn man so viel allein ist, denkt man zu viel nach; und wenn negative Gedanken kommen, kommt man aus ihnen nicht raus, weil von außen nichts kommt. Und dann ist alles Scheiße", sagt auf die Frage nach ihren Corona-Erfahrungen eine 16-jährige Schülerin gegenüber der Redaktion.
Isolation: Mädchen chatten und basteln, Jungs tendieren zu Ballerspielen
Isoliert in ihrem Zimmer hat diese Schülerin einen großen Teil ihrer in den letzten Monaten stark gewachsenen Freizeit mit Chatten am Laptop und Basteln am Wohnzimmertisch verbracht, was nach Aussage von Delle Donne für viele Mädchen typisch war. "Jungs neigen eher zu Ballerspielen". In vielen Beratungsgesprächen, die sie in letzter Zeit geführt habe, sei der exzessive Medienkonsum der Jugendlichen thematisiert worden, so Delle Donne. Geschichten von Kindern, die seit Wochen mangels regulärem Schulbesuch bis mittags im Bett blieben und tagsüber am Computer klebten, seien kein Einzelfall. Auch Bewegungsarmut bei Jugendlichen, bedingt zu Zeiten des Lockdowns auch durch Sport- und Kontaktverbote, biete Anlass zur Sorge.
Garten und Geschwister wirken sich auf Zufriedenheit aus
Delle Donne nennt zwei Komponenten, die entscheidend dafür waren und sind, wie stark Minderjährige unter dem Lockdown gelitten haben respektive wie gut sie damit klar kamen: "Ob die Kinder einen Garten oder wenigstens eine Terrasse zum Spielen zur Verfügung hatten oder nicht, macht einen großen Unterschied“, sagt Delle Donne.
Der zweite Faktor, der entscheidend ist und war fürs Zufriedenheitsgefühl der Kids unter Corona-Bedingungen, ist die Zahl der Kinder in einer Familie. "Einzelkinder leiden am meisten“, sagt Delle Donne. Ihre Analyse deckt sich mit Aussagen der Studie "Kindsein in Zeiten von Corona" des Deutschen Jugendinstituts. Laut dieser Studie sagt ein Drittel der Eltern von Einzelkindern, dass ihr Kind sich in der Pandemie "einsam“ gefühlt habe; bei Eltern mit mehreren Kindern sagen dies nur ein Viertel der Befragten. Laut Studie schätzen Mütter die Situation durchweg ernster ein als Väter.
Erziehungsberaterin rät zu Bildung von familienübergreifenden Spielgruppen bei zweiter Welle
Aus ihren Erfahrungen mit gestressten, hilfesuchenden Familien leitet die Leiterin der Würzburger Erziehungsberatung etliche Ratschläge ab für den Fall, dass es wegen einer zweiten Corona-Welle zu neuerlichen Kontaktbeschränkungen kommt. "Ich würde mir sehr wünschen, dass man eine eventuelle neue Verordnung so fasst, dass man Eltern gerade mit kleinen Kindern Kontakte zu ausgewählten Familien mit Kids im gleichen Alter erlaubt und die Bildung von festen Spielgruppen möglich ist“, sagt sie. Gerade Einzelkinder bräuchten andere Kinder.
Lehrer und Schüler: Direkter, individueller Kontakt zu den Kindern ist wichtig
Auch hält Denne Donne die in Bayern praktizierte Schließung von Kindergärten für falsch. "Wenn es zu einem neuerliche Lockdown kommt, sollte man darauf achten, dass die Erzieher zu jedem Kind individuell den direkten Kontakt halten“, sagt die Psychologin. Einen Videochat oder ein Telefonat pro Woche hält sie für unabdingbar. "Erstens, weil auch kleine Kinder das brauchen und genießen; zweitens um frühzeitig Hinweise zu bekommen wegen einer eventuellen Fördernotwendigkeit etwa bei der Sprachentwicklung oder bei Verhaltensauffälligkeiten“, sagt sie.
Auch bei Schulkindern hält es Delle Donne für richtig, dass sie "mindestens einmal wöchentlich“ direkten Kontakt zu ihrem Lehrer haben. "Optimal ist der direkte Kontakt; wir wollen uns sehen und begegnen. Wenn das aber unmöglich ist, dann halt per Videokonferenz oder am Telefon.“ Die Psychologin betont, dass es wichtig sei, Kinder individuell anzusprechen, sie nicht nur als Teil einer Gruppe zu sehen. "Kinder brauchen tatsächlich den Lehrerkontakt. Mal, um sich an der Autoritätsperson zu reiben; mal um gelobt zu werden. Viele Kinder lernen tatsächlich auch um des Lobs des Lehrers willen“, sagt sie.
Viele Lehrer hätten diese direkten Kontakte zu ihren Schülern während des Lockdowns mit viel Engagement ja auch gehalten, betont die Psychologin. Doch in ihren Beratungsgesprächen hat sie auch von Kindern gehört, die sich aus dem Online-Unterricht ausklinken und die dann niemand vermisst. "Sollte es nochmals zu einem Lockdown kommen, brauchen wir auch in der Schule eine Verbindlichkeit des Kontakts."
Ich will dem nicht vorgreifen, aber wenn Thüringen trotz umfangreicher Lockerungen keine erhöhten Neuinfektionen vorweisen kann, dann sollten wir auch in Bayern unsere Kinder wieder uneingeschränkt in Schulen und Kitas lassen!
Ach so, und umgekehrt wäre es jetzt an der Zeit mal die Thüringer an der bayerischen Grenze zu befragen, was sie von den immer noch sehr restriktiven Maßnahmen in Bayern halten...