Untergrenzen sollten den Fachkräftemangel in Krankenhäusern lindern. Sie legen fest, wie viele Pfleger pro Patient mindestens nötig sind. Nun aber steht Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für seine Vorgaben bundesweit in der Kritik. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft mussten bereits 37 Prozent aller Kliniken Betten auf Intensivstationen schließen - weil sie sonst die Vorgaben nicht hätten einhalten können. Zeitweise seien ganze Stationen von der Notfallversorgung bei den Rettungsdiensten abgemeldet worden. Ist auch die Intensivmedizin in Unterfranken bedroht?
Im ganzen Freistaat gebe es "immer wieder Kliniken, die sich temporär abmelden und Betten schließen müssen", sagt Eduard Fuchshuber, Sprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Beispielsweise wenn sich mehrere Pflegekräfte krank melden oder während Grippewellen die Patientenzahlen enorm ansteigen. Die Personaluntergrenzen hätten diese Situation "zugespitzt": Könnten die Mindestvorgaben nicht eingehalten werden, dürften Kliniken keine Patienten mehr aufnehmen – sonst drohen Sanktionen.
"Im Notfall kann das natürlich zu Problemen führen", sagt Fuchshuber. Gerade auf dem flachen Land, mit wenigen Kliniken. "Wenn der Rettungsdienst nicht mehr weiß, wo er hinfahren soll, dann fährt er einfach ein Krankenhaus an, auch wenn es abgemeldet ist." Was dann passiere, sei ungeklärt.
Dass ganze Intensivstationen abgemeldet wurden, weil die Personaluntergrenze nicht eingehalten werden konnte, sei in der Region bisher nicht vorgekommen, heißt es von den Integrierten Leitstellen in Schweinfurt und Würzburg. Allerdings melden Kliniken "Betten ab, wenn sie keine Behandlungskapazitäten mehr haben", sagt Paul Justice, Geschäftsleiter des Zweckverbandes Rettungsdienst Würzburg.
Auch im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt gebe es das, sagt Sprecher Veit-Maria Oertel auf Anfrage. Etwa bei Krankheitsfällen auf Intensivstationen würden zeitweilig Behandlungsplätze reduziert. Grund sei dann jedoch nicht die Untergrenze, sondern eben der "kurzfristige Ausfall von Mitarbeitern". Die Notfallversorgung sei aber nie gefährdet gewesen. Im Leopoldina gibt es zwei Intensivstationen für Erwachsene mit jeweils 16 Betten, 115 Gesundheits- und Krankenpfleger sind dort beschäftigt. Mehr Personal habe man durch die neuen Richtlinien nicht, so Oertel, da die Besetzung im Leopoldina intern bereits über den Mindestvorgaben gelegen habe.
Das gilt auch für die Uniklinik Würzburg. "Wir haben eigentlich unsere Bettenkapazität immer voll ausfahren können – das heißt, wir haben Intensivpatienten nie abweisen müssen", sagt Pflegedirektor Günter Leimberger. Die Untergrenzen seien auf allen sieben Intensivstationen, die unter die Verordnung fallen, erfüllt worden. Abmeldungen bei der Leistelle habe es nicht gegeben. Trotzdem sei der Pflegemangel an der Uniklinik ein Thema: "wenn wir nichts tun würden, hätten wir ein Problem". Deshalb sieht Leimberger die Untergrenzen kritisch: "Es wurde ein Wert angesetzt, der nichts mit dem tatsächlichen Aufwand und der Pflegesituation des Patienten zu tun hat."
Konkret schreibt die Verordnung für die Intensivmedizin tagsüber maximal 2,5 Patienten pro Pflegekraft vor, nachts 3,5 Patienten. "Die Zahlen sind so, dass man sagen muss: Weniger darf es gar nicht sein", sagt Christian Huß, Personalratsvorsitzender an der Uniklinik Würzburg. Mit Versorgungsqualität habe das nichts zu tun. Und: Der generelle Mangel, der leer gefegte Arbeitsmarkt im Pflegebereich, der Notstand an Fachkräften, wurde durch die Untergrenzen keinesfalls behoben.
Ab 2020 sollen für vier weitere Krankenhausbereiche Untergrenzen gelten
Ähnlich sieht man das im Leopoldina. Grundsätzlich habe die Verordnung "den Klinikalltag nicht verbessert", sagt Sprecher Veit-Maria Oertel. Im Gegenteil, sie habe vor allem den bürokratischen Aufwand weiter erhöht.
"Die Personaluntergrenzen können die Situation nicht grundsätzlich verbessern, wenn Pflegekräfte deutschlandweit fehlen", sagt Beate Derra, Sprecherin des Klinikums Würzburg Mitte. Sowohl am Standort Juliusspital als auch in der Missioklinik seien die Mindestvorgaben "trotz der insgesamt angespannten personellen Situation eingehalten" worden. Patienten habe man nicht abweisen müssen, um die Richtlinien zu erfüllen. Aber: "Vorgaben beheben einen Mangel nicht zwangsläufig", so Derra
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Ungeachtet aller Kritik will Gesundheitsminister Jens Spahn die Mindestvorgaben für Personal ausweiten. Ab 2020 sollen verpflichtende Untergrenzen auch für Herzchirurgie, Neurologie, neurologische Frührehabilitation und in den Spezialstationen für Schlaganfall-Patienten (Stroke Units) kommen.
Für den Würzburger Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann (FDP) ist das der falsche Weg. "Wir sehen, dass selbst Häuser der Maximalversorgung oder Spezialkrankenhäuser nunmehr Betten schließen und Patienten abweisen müssen", sagt der Facharzt für Innere Medizin. Er warnt: "Faktisch werden in Zeiten des Personalnotstandes Untergrenzen zu Obergrenzen, wenn Patienten überhaupt noch versorgt werden sollen." Statt weiterer Mindestvorgaben fordert Ullmann, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern – etwa, den "Dokumentationswahnsinn" zu stoppen.