
Manche Bürger trugen schwarz. Kerzen, Blumen und Schilder umrahmten den Eingang des ehemaligen Krankenhauses in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). Im Herbst vergangenen Jahres wurde die Einrichtung geschlossen. „Hier fühlte ich mich bei der Geburt meiner Kinder gut betreut“ oder „Vielen Dank für die schönen gemeinsamen Jahre“ ist in einem Kondolenzbuch zu lesen. Einträge, die die Verbundenheit der Menschen mit dem Haus zeigen. Die symbolische Trauerfeier sollte damals ein Zeichen setzen, vielleicht provozieren, vor allem aber Aufmerksamkeit wecken. Denn die Schließung war kein lokales Problem. Bundesweit wird die Krankenhauslandschaft seit Jahren umstrukturiert. Die Politik will Überkapazitäten abbauen, ohne dass die Versorgung in der Fläche leidet. Nur: Gelingt das? Und was heißt das für die Region?
Bundesweit in den vergangenen 25 Jahren über 450 Krankenhäuser geschlossen
In Unterfranken zeigt sich die Zentralisierung exemplarisch im Landkreis Main-Spessart. Mit dem Aus für das Karlstadter Krankenhaus sind die strukturellen Veränderungen dort nicht beendet. Bis 2023 soll das Krankenhaus Marktheidenfeld schließen. Dafür wird in Lohr ein zentrales Klinikum Main-Spessart mit 280 Betten geplant. So sollen Doppelvorhaltungen abgebaut und die Defizite der Kreiskliniken verringert werden, sagt eine Sprecherin des Bayerischen Gesundheitsministeriums auf Anfrage dieser Redaktion. In München sieht man die Chance, so die „medizinische Qualität der Versorgung durch Profilbildung insgesamt zu verbessern“. Und diese Konzentration auf große Häuser trifft nicht nur die unterfränkische Provinz.
Deutschlandweit wurden in den vergangenen 25 Jahren mehr als 450 Krankenhäuser geschlossen. Dabei ging die Zahl der öffentlich und kirchlich betriebenen Kliniken zurück, die der privat geführten Einrichtungen nahm zu. Ähnlich sieht es im Freistaat aus. Insgesamt gibt es in Bayern nach den aktuellsten Statistiken 357 Krankenhäuser (Stand 2016; ohne Bundeswehrkrankenhäuser). Zwei Jahrzehnte zuvor waren es noch mehr als 400. Die Zentralisation greift. Kritiker fürchten jedoch, auf Kosten der medizinischen Versorgung der Bürger – gerade auf dem Land.
„Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen“
Wie im Landkreis Main-Spessart. Schon jetzt „haben wir nur noch ein Restkrankenhaus“, sagt Ludwig Keller, Sprecher der Bürgerinitiative „proMAR“ in Marktheidenfeld. Das sorgt für Verunsicherung. „Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen“, so Keller. Die Zentralisation betreffe nicht nur die Notfallversorgung, sondern auch die ärztliche Bereitschaft, die mittlerweile ebenfalls am Krankenhaus in Lohr sitze. Die Folge: „Es fehlt eine Anlaufstelle für Patienten, wenn die Arztpraxen geschlossen sind.“ Das sei ein „riesiges Problem“, vor allem für Ältere.
Ähnlich sieht es beispielsweise in Hersbruck (Lkr. Nürnberger Land) oder im niederbayerischen Waldkirchen aus. Auch dort stemmen sich Bürgerinitiativen gegen die Schließung örtlicher Krankenhäuser. Die Argumente gleichen sich: Patienten drohten künftig weite Wege. Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, für den würden Klinikbesuche beschwerlich und zeitaufwendig. Und zahlreiche Arbeitsplätze gingen verloren. Wie in Main-Spessart wird auch in Hersbruck oder Waldkirchen symbolträchtig protestiert, mit roten Herzluftballons und zahlreichen Demonstranten. Der Erfolg ist gering. Deshalb haben sich die Initiativen nun zusammengeschlossen, wollen sich mit einem bayernweiten Aktionsbündnis gemeinsam für den Erhalt ländlicher Krankenhäuser einsetzen. Aber kommen ihre Sorgen bei der Politik an?
Was genau ist „wohnortnah“?
Ja, sagt zumindest die Schweinfurter SPD-Politikerin Kathi Petersen, die Mitglied des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag ist. Grundsätzlich teilt sie zwar die Auffassung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass nicht jedes Krankenhaus jede Operation anbieten muss. Dennoch müsse zum Beispiel die Notfallversorgung schnell erreichbar sein. Nötig sei dafür deutlich mehr Krankenhausplanung im Freistaat. Und eine Diskussion um den vielgenutzten Begriff „wohnortnah“. Eine Stunde bis zur nächsten Klinik? Das wäre für sie zu weit, so Petersen.
Auch ihr CSU-Kollege im Gesundheitsausschuss, Steffen Vogel, sieht den Punkt Anfahrtswege kritisch. Gerade in seinem Stimmkreis Hassberge/Rhön-Grabfeld gebe es „Orte, die 35 oder mehr Minuten zur Klinik haben“. Da stelle sich dann „schon die Frage: Ist das Leben auf dem Land gefährlicher?“. Andererseits, gibt der Landtagsabgeordnete zu Bedenken, überlegten sich Patienten bei planbaren Eingriffen häufig bereits im Vorfeld, wo sie sich behandeln lassen, unabhängig vom Anfahrtsweg. Zudem verfüge Unterfranken über eine sehr gute Versorgung in der Fläche, etwa im Vergleich zu Ländern wie Schweden, wo „alle 250 Kilometer ein Vollversorgerkrankenhaus“ sei.
AOK: Mehr Routine verspricht bessere Behandlungsqualität
Insgesamt 37 Krankenhäuser (ohne Rehakliniken) mit rund 8160 Betten gibt es nach Recherchen dieser Redaktion derzeit in Unterfranken. Das Statistische Landesamt zählt allerdings anders. Die neusten Erhebungen stammen hier von Ende 2016. Dabei wurden die Heiligenfeld Kliniken, die Hemera Klinik und das Neurologische Fachkrankenhaus Klinik Bavaria in Bad Kissingen sowie die My Way Betty Ford Klinik in Bad Brückenau und die Augenklinik in Gerolzhofen einbezogen; die Helios OrthoClinic Hammelburg und die Naturklinik in Michelrieth nicht. Außerdem wurden Juliusspital und Missioklinik, die mittlerweile zum Klinikum Würzburg Mitte fusioniert sind, getrennt gezählt. So ermittelte das Amt vor zwei Jahren insgesamt 41 Krankenhäuser im Bezirk. Im Vergleich ist das nicht wenig. In Oberfranken etwa verzeichnete es nur 24 Krankenhäuser (6718 Betten). Erst mit Blick zurück wird die Konzentration deutlich: Zehn Jahre zuvor gab es in Unterfranken nach Amtsangaben fünf Krankenhäuser mehr.
Heute werden die Patienten somit an weniger, zentralen Kliniken behandelt. Eine Entwicklung, die die Qualität verbessern soll, so legt es nicht nur die Politik, sondern auch der Krankenhaus-Report 2018 der AOK nahe. Darin plädiert die Krankenkasse klar für Zentralisation, für mehr Häuser mit über 500 Betten. Der Vorteil sei, dass dann Kliniken mit größerer Erfahrung komplexe und planbare Operationen übernehmen. Ob das im Sinne der Patienten ist, ist umstritten.
Spagat zwischen Zentralisierung und Grundversorgung in der Fläche nötig
Grundsätzlich gelte bei Behandlungen zwar, je mehr Routine ich habe, desto besser, sagt Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Gleichzeitig führten Regeln wie beispielsweise zu Mindestmengen bei Operationen dazu, dass Leistungen zentralisiert werden. Und die Wege zu Krankenhäusern weiter. Wichtig sei es deshalb, den „Spagat zwischen sinnvoller Zentralisierung der Leistungen und Grundversorgung in der Fläche“ zu schaffen, sagt Hasenbein.
So sieht es auch Steffen Vogel. Denn obwohl kleine Häuser häufig Defizite schrieben, sei die Patientenzufriedenheit dort oft höher als in großen. Als Beispiel nennt der CSU-Abgeordnete Geburtsstationen. Massenbetriebe würden hier von vielen werdenden Müttern abgelehnt. Es gehe vielmehr um umfangreiche Vor- und Nachbereitung der Geburt, um Zeit für individuelle Betreuung. Um das Gefühl, aufgehoben zu sein. Nur: Welche Rolle spielt die Patientenzufriedenheit wirklich, wenn Kliniken längst wie Wirtschaftsunternehmen funktionieren?
Zahlreiche Krankenhäuser schreiben rote Zahlen – Entlastung kommt nicht an
Derzeit bekommen Krankenhäuser zur Deckung der Betriebskosten pro Patient einen pauschalen Euro-Betrag von der Krankenkasse des Betroffenen, die sogenannte Fallpauschale, überwiesen. Investitionen etwa in Neubauten oder Geräte tragen die Länder. Und genau da hapert es in Bayern, sagt Kathi Petersen. So werde „Geld, das eigentlich für die Bezahlung von Pflegekräften da wäre, zur Finanzierung von Investitionen genommen“. Das müsse sich ändern.
Denn Experten warnen: Jedes zehnte Krankenhaus sei bundesweit von Insolvenz bedroht. In Bayern schreibe sogar gut jede dritte Klinik rote Zahlen. Die Krankenhausstrukturreform hatte Entlastung versprochen. Angekommen sei die bislang nicht, so Hasenbein, Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung darauf geeinigt, Pflegepersonalkosten künftig besser und unabhängig von Fallpauschalen zu vergüten. Beispielsweise soll die Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst von den Krankenkassen übernommen werden. Ein guter Ansatz, sagen Petersen und Hasenbein unisono. Daneben seien aber weitere Korrekturen notwendig. Und ein Umdenken.
„Neue Modelle“ gegen den Mangel an Pflegekräften finden
Das braucht es vor allem im Ringen um mehr Personal, um Fachkräfte, um Nachwuchs für Landärzte, um Pfleger an den Krankenhausbetten. Nach Berechnungen der Gewerkschaft ver.di fehlen bundesweit rund 80 000 Pfleger in den Kliniken. „Jeder möchte, wenn er krank ist oder alt wird und Betreuung braucht, möglichst gut versorgt werden. Aber das kriegt man natürlich nicht zum Nulltarif“, sagt SPD-Politikerin Kathi Petersen. Dass die Pflegeversicherung in Zukunft teurer werde, sei unvermeidbar. Zudem müsse man „auch neue Modelle überlegen“, so die SPD-Politikerin. Ideen kursieren diverse, von Personaluntergrenzen über eine generalisierte Pflegeausbildung bis hin zur Digitalisierung.
Wie wird die Krankenhauslandschaft Unterfrankens in Zukunft aussehen?
Die stationäre Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig auf leistungsfähige Strukturen hinzuwirken, sei Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte, heißt es aus dem Bayerischen Gesundheitsministerium. Sie sollen also den genannten Spagat schaffen. Dazu würden von den Trägern „an einzelnen Stellen auch Standorte hinterfragt“. Welche das in der Region sind und ob weitere Zentralisationsmaßnahmen geplant sind, lässt das Ministerium offen. Auch, ob unterfränkische Krankenhäuser von der geplanten Neuregelung der Notfallversorgung betroffen sind, sei noch unklar. Diese sieht vor, dass künftig weniger Kliniken Notfälle behandeln sollen – dafür aber eine angemessene Betreuung garantieren müssen. Die nötigen Voraussetzungen zu erfüllen, könnte für manch kleines Haus existenzbedrohend sein.
Bürgerinitiative „proMAR“ fordert Anlaufstelle für Patienten vor Ort
Noch mehr Zentralisation also? Bei „proMAR“-Sprecher Ludwig Keller löst das Unmut aus. Landkrankenhäuser, so sein Credo, müssten unbedingt erhalten bleiben. Wie eben in Marktheidenfeld. Dort hat die Bürgerinitiative den Kampf für ihr Krankenhaus noch nicht aufgegeben. Zumindest noch nicht ganz. „Wenn das Klinikum Main-Spessart kommt, brauchen wir dringend eine Anlaufstelle für Patienten“, sagt Keller. Vielleicht eine Art Sprechstunde, am besten in den bisherigen Krankenhausräumen. „Die könnte abends zum Beispiel von 19 bis 20 Uhr oder am Wochenende zu bestimmten Zeiten angeboten werden und vor allem die älteren Menschen versorgen“, sagt der 71-Jährige. Menschen, die nicht mehr mobil sind, für die der Weg nach Lohr zu weit ist.