Wie viel Pflegekräfte braucht eine Krankenhausstation? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat diese Frage schon beantwortet. Für vier pflegeintensive Bereiche – Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie, Unfallchirurgie – wurden bereits Untergrenzen festgelegt. Sie gelten seit Januar. 2020 soll es Vorgaben für die gesamte Pflege im Krankenhaus geben. Den Initiatoren des Volksbegehrens „Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern“ reicht dies allerdings nicht. Ihre Kernforderung lautet: Der Pflegeaufwand muss sich an dem individuellen Pflegebedarf der Patienten auf der Station orientieren. Doch kann Bayern überhaupt einen anderen Pflegepersonalschlüssel festlegen als der Bund?
Das ist nach Einschätzung von Stefan Jagel der juristische Knackpunkt. Der Gesundheitsexperte der Gewerkschaft ver.di gehört zu den sieben Initiatoren des bayerischen Volksbegehrens, das über 100 000 Unterschriften für sein Anliegen gesammelt hat. Für Jagel steht fest: „Minister Spahn hat mit seinen Personaluntergrenzen nur den Pflegenotstand manifestiert. Denn es wurde einfach in die Statistik geschaut, wer die schlechtesten Personalbesetzungen hat, ein Schnitt errechnet, und der darf künftig nicht unterschritten werden.“
Eine Frage der Qualität
Auf annehmbare Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte, auf eine qualitative Betreuung für die Patienten ist nach Ansicht von Jagel nicht ausreichend geachtet worden. Für ihn und seine Mitstreiter – Pflegekräfte, Ärzte, Juristen, Politiker der Parteien Die Linke, SPD und die Grünen – müssen beim Pflegeschlüssel für die Stationen bestimmte Kriterien berücksichtigt werden: etwa die Schwere der Erkrankung der Patienten, das Alter, Mehrfachdiagnosen. Die entscheidende Frage jedoch, die am heutigen Dienstag vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof in einer ersten mündlichen Verhandlung zu klären sein wird, heißt: Darf Bayern andere, in dem Fall höhere Landespersonalgrenzen festlegen als der Bund? „Unsere Juristen sagen ja, die Juristen vom bayerischen Innenministerium sagen nein“, erklärt Jagel. Bayerns Innenministerium sieht nämlich die Voraussetzungen für eine Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben und hat es dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vorgelegt.
Fehlende Gesetzgebungskompetenz
Nach Einschätzung des CSU-geführten Innenministeriums sind „die begehrten Regelungen über die Bemessung des Pflegepersonals in Krankenhäusern mit Bundesrecht nicht vereinbar“. Grund ist demnach unter anderem die fehlende Gesetzgebungskompetenz der Länder für Regelungen zur Mindestausstattung der Krankenhäuser mit Pflegepersonal.
Auch genügt nach Ansicht des Ministeriums die Begründung des Volksbegehrens nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen: „Sie stellt die auf Bundesebene geltende Rechtslage, die sich zum 1. Januar 2019 maßgeblich geändert hat, nicht zutreffend beziehungsweise unvollständig dar und informiert auch sonst nicht hinreichend über den Inhalt und die Auswirkungen des Volksbegehrensentwurfs.“ In Hamburg wurde ein Pflege-Volksbegehren abgelehnt. In Bremen läuft die Entscheidung. In Bayern wird ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs am 18. Juli erwartet. Nur wenn die Richter das Begehren zulassen, können die Bürger in Bayern im Herbst über das Volksbegehren entscheiden.
Bleibt allerdings noch ein ganz anderes Problem: Woher sollen die fehlenden Pflegekräfte überhaupt kommen? Wie berichtet, bereiten die seit Januar geltenden Personaluntergrenzen schon jetzt einigen bayerischen Krankenhäusern – auch in der Region – Probleme. Einzelne Stationen werden für Tage geschlossen, Patienten zum Teil abgewiesen. Ver.di-Mann Jagel kennt die Problematik. Für ihn steht aber fest, dass nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen spürbar verändern, mehr Menschen künftig in der Pflege arbeiten werden. „Wir bilden so viele junge Menschen in der Pflege aus wie nie.“ Fakt ist aber auch, dass Pflegekräfte im Schnitt nach sieben Jahren ihren Job beenden. Vor allem, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind.“ Diese Spirale nach unten gelte es zu stoppen.
Bessere Bezahlung als Ziel
Allerdings plant auch die Bundesregierung Maßnahmen, um in der Pflege grundlegend bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. So haben Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) und Gesundheitsminister Spahn (CDU) eine „Konzertierte Aktion Pflege“ erarbeitet. Ziel ist auch eine bessere Bezahlung. Zur Diskussion stehen ein flächendeckender Tarifvertrag oder ein Pflege-Mindestlohn.