
Andrew Ullmann ist Facharzt für Innere Medizin und Professor für Infektiologie an der Uniklinik Würzburg, er hat im In- und Ausland geforscht. Nach Jahren in der Kommunalpolitik sitzt der 56-Jährige seit 2017 für die FDP im Bundestag und ist dort Obmann im Gesundheitsausschuss. Als Oppositionsvertreter gehört Ullmann zu den politischen Gegenspielern von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ein Gespräch über falsche politische Entscheidungen, himmelschreiende Ungerechtigkeiten und Aufgaben für Profis.
Frage: Auf Ihrer Homepage begründen Sie ihren Gang in die Bundespolitikmit dem Satz: "Es sterben Menschen, obwohl sie es nicht müssten. Und das liegt nicht an den Ärzten oder den Patienten, sondern an den falschen politischen Entscheidungen." Was sind das für falsche Entscheidungen gewesen?
Andrew Ullmann: Ein Beispiel ist der Umgang mit der schweren Grippewelle im Jahr 2017/2018. Damals wurden Empfehlungen der ständigen Impfkommission erst mit einer gewissen Verspätung umgesetzt, aufgrund der verwaltungstechnischen Verzögerung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Ich bin der Meinung, dass man so etwas in Zukunft verhindern muss. Gerade wenn es um die Nutzungsbewertung von Medikamenten geht, braucht es eine rasche Umsetzung. Nur so können wir Innovationen schnell an die Patienten bringen und damit auch Leben retten.
Im Grippewinter 2017/2018 erhielten Privatpatienten den besseren Vierfach-Impfstoff, Kassenpatienten nicht. Steuern wir in Deutschland auf eine Zwei-Klassen-Medizin zu?
Ullmann: Ich behaupte, dass wir in Deutschland keine Zwei-Klassen-Medizin haben. Jeder bekommt die Versorgung, die medizinisch notwendig ist – es wird niemand zurückgewiesen, weil er die falsche Versicherung hat. Mit Blick auf die demografische Entwicklung stellt sich natürlich die Frage, wie können wir unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen? Hier gilt es zu verhindern, dass Medizin unbezahlbar wird.
Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) möchte die Große Koalition die ambulante Versorgung vor allem im ländlichen Raum verbessern. Zentral hierbei sind Terminservicestellen. Sie lehnen das komplette Gesetzespaket ab. Warum?
Ullmann: Ein Gedanke hinter dem Gesetz war, dass jeder jederzeit einen Facharzttermin bekommen sollte. Ich denke aber, mit Blick auf die gesamte Gesellschaft müssen wir begreifen, dass wir nicht unendlich viele Ärzte ausbilden können. Man kann nicht für jede medizinische Indikation sofort einen Facharzt verlangen – auch der Hausarzt beherrscht den Umgang mit sehr vielen Krankheiten. Sollte doch ein Spezialist notwendig werden, wird ein Termin immer möglich sein. Deswegen betrachten wir das als überflüssige Gesetzesvorgabe.

In der aktuellen Debatte um vorgeburtliche genetische Bluttests liegen Sie hingegen auf einer Linie mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Sie haben sich wie er für die Tests auf Trisomie 21 ausgesprochen. Nur: Die Tests gibt es bereits seit mehreren Jahren. Hinkt die Politik hier der Medizin hinterher?
Ullmann: Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Und in diesem Punkt ist tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin vorhanden. Es wird ein Test angeboten, der derzeit noch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Frauen, die das entsprechende Geld haben, können ihn sich aber leisten. Das ist für mich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Hinzu kommt: Die alternative Fruchtwasseruntersuchung ist gefährlich, eine Blutentnahme völlig ungefährlich. Als Mediziner plädiere ich immer für die ungefährliche Untersuchung. Die Frage ist nur, wann soll dieser Test gemacht werden? Ich bin dagegen, ihn als Reihenuntersuchung anzubieten – bei Risikoschwangerschaften allerdings sollte man ihn anwenden.
Werden dann die Abtreibungszahlen steigen?
Ullmann: Das weiß ich nicht. Aber ich halte die Selbstbestimmung des Paares oder der Frau in dem Bereich für sehr wichtig. Die Konsequenz des Testes ist ja nicht automatisch eine Abtreibung. Ich habe auch mit meiner Frau debattiert, als sie schwanger war. Ich möchte nicht am Tag der Geburt zum ersten Mal damit konfrontiert werden, ich will vorbereitet sein. Und diesen Wunsch muss man den Eltern auch gewähren.
Wäre das nicht ein guter Anlass für die Politik, sich gleich umfassender mit vorgeburtlichen genetischen Tests zu beschäftigen?
Ullmann: Ja, wir werden auch darüber diskutieren müssen, wie weit wir mit diesen Tests gehen können. Ich möchte keine Eugenik haben. Das ist jetzt wirklich Science Fiction – aber ich will keine Designerbabys. Ich glaube an die Natürlichkeit und genau in dieser Varianz ist die Menschheit interessant.

Im Zuge der Forschung zu Gentherapien, die in Amerika schon recht weit ist, wird es da noch ganz andere Möglichkeiten geben – beispielsweise, wenn es um die Behandlung genetisch bedingter Krankheiten geht.
Ullmann: Sie sprechen ein sehr interessantes Thema an. Es wird viel über Globalisierung geredet oder über Digitalisierung. Aber wir erleben auch eine Biologisierung – mit Gentechnologie, Diagnostik, Gentherapie. Viele Menschen haben Angst, in diesem Bereich etwas zu machen. Ich denke, da bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, aber auch politischer Leitplanken, was wir uns eigentlich erlauben dürfen und was nicht.
Was erlaubt wird und was nicht in Bezug auf Kassenleistungen, das entscheidet in Deutschland der Gemeinsame Bundeausschuss. Noch. Spahn möchte ihn jetzt ein Stück weit entmachten und selbst entscheiden. Weniger Bürokratie und mehr Primat der Politik. Eigentlich müssten Sie als FDP-Politiker dem zustimmen.
Ullmann: Weniger Bürokratie, da bin ich ganz bei Ihnen. Aber nicht bei mehr Staatsmedizin. Und das ist das, womit der Bundesgesundheitsminister liebäugelt. Da sage ich ganz brutal: Schuster bleib bei deinem Leisten. Die nötige medizinische Kenntnis findet sich nicht unbedingt in einem Ministerium wieder, sondern in den Fachgesellschaften. Medizin sollte Spahn den Profis überlassen. Beim Thema Gesetze hingegen, da ist er Profi und sollte sie möglichst so gestalten, dass wir eine hochwertige Gesundheitsversorgung in unserem Land haben.