Corona hat das Schulleben drastisch verändert. Was sind die Folgen? Ist im Herbst eine Rückkehr zum Regelbetrieb, wie sie sich Kultusminister Michael Piazolo zum Ziel gesetzt hat, realistisch? Oder wird Corona noch viele Monate lang das Schulleben lenken, lähmen, verändern? Wir haben vier unterfränkische Schulleiter nach ihren Sorgen gefragt. Sie haben uns ihre fünf "Corona-Baustellen" beschrieben.
Erste Sorge: Lehrermangel
Corona wird den bestehenden Lehrermangel in Bayern noch verschärfen. Denn nach geltenden Bestimmungen dürfen schwangere Lehrerinnen und – bei Vorlage eines Attests – auch Lehrkräfte aus Risikogruppen keine direkten Schülerkontakte haben. Maria Walter, Leiterin Abteilung Schulen bei der Regierung von Unterfranken, rechnet auf Basis bisher vorliegender Zahlen deshalb damit, dass im Herbst "sieben bis zehn Prozent der rund 10 000 unterfränkischen Lehrkräfte aller Schularten" zumindest für den Präsenzunterricht coronabedingt ausfallen.
"Mir werden im Herbst genau diese zehn Prozent fehlen; denn bei einer Personalstärke von 30 Kräften sind aktuell drei meiner Lehrerinnen schwanger", sagt Susanne Rinno, Leiterin der Gustav-Woehrnitz-Mittelschule Lohr. Auch Tomi Neckov, der die Frieden-Mittelschule in Schweinfurt leitet, fürchtet Ausfälle. Er rechne aufgrund des Lehrermangels nicht damit, dass ihm das Ministerium seine benötigten 851 Lehrerwochenstunden wirklich zuteilen könne, sagt der Schulleiter. Die unterfränkischen Rektoren zerbrechen sich deshalb jetzt schon den Kopf, wie sie die zu erwartenden Ausfälle managen. "Wir würden wohl eine Stunde Ganztag streichen und für alle eine Stunde Sport“, sagt Neckov.
Auch der Würzburger Schulrektor Winfried Gintschel, Leiter der Mittelschule Heuchelhof, sorgt sich wegen der Unterrichtsplanung. Er wisse noch nicht, wie er das Problem der klassenübergreifenden Gruppen handhaben solle, sagt er: "Normalerweise ziehe ich doch in Fächern wie Religion, Sport oder Technik die Schüler aus meinen vier Parallelklassen zusammen. Und brauche dafür dann nur eine Lehrkraft." Bloß verbiete das aktuelle Hygiene-Konzept ja derzeit die Bildung klassenübergreifender Gruppen. Weil dadurch das Infektionsrisiko steigt. Gintschel: "Wenn ich aus Parallelklassen die Kinder nicht mehr zusammenziehen kann, brauche ich mehr Lehrkräfte als sonst."
Zweite Sorge: Erhöhter Förderbedarf
Corona vergrößert die Defizite einzelner Schülergruppen und bedingt intensivere Förderung. Die Schülergruppe, um die sich Mittelschulrektor Neckov aus Schweinfurt besonders sorgt, sind die Migrantenkinder. "Wir haben an unserer Schule einen hohen Ausländeranteil; und ich sehe bei vielen Migrantenkindern einen Riesen-Rückschritt in der Sprache", sagt Neckov. Während des Lockdowns seien die Kinder aus der Lernroutine herausgefallen, hätten überwiegend in ihrer Herkunftssprache geredet und seien ohne direkte Lehreransprache und ohne Live-Unterricht beim Deutsch lernen zurückgefallen. "Wie wir das wieder aufholen sollen? Tja, das wird spannend", sagt Neckov.
Dem Schweinfurter Schulleiter ist es ganz wichtig, trotz Lehrermangels Einschnitte bei den Deutschförderkursen zu vermeiden. Tomi Neckov hofft, dass seine Schule von der vom Kultusministerium jüngst beschlossenen Aufstockung der Fördermittel für Drittkräfte von zehn auf 13 Millionen Euro etwas abbekomme. Aber Drittkräfte, Studenten etwa, die Kinder individuell fördern sollten, müsse man erst mal finden und anwerben, so Neckov.
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Seine Kollegin Susanne Rinno von der Mittelschule Lohr sieht einen ganz besonders dringenden Förderbedarf "bei jenen Schülern, die uns während des Lockdowns weggebrochen sind". Rinno spricht von Kindern, die im digitalen Unterricht abgetaucht sind, die sich niemals in Video-Konferenzen einloggten, die keine gestellten Hausaufgaben bearbeiteten – von Kindern also, die ganz buchstäblich vom Bildschirm verschwanden. "Wir müssen diese Kinder von Schuljahresanfang an früh binden, in deren Förderung viel investieren, damit die Verbindung zur Schule nicht dauerhaft reißt", sagt Rinno.
Dritte Sorge: Inklusion in Gefahr
Beeinträchtigte Kinder brauchen mehr Körperkontakt als gesunde Kinder. Aber wie viel Körperkontakt ist mit Blick auf die Hygiene-Regeln möglich und erlaubt? Das fragt sich etwa der Würzburger Schulleiter Wilfried Gintschel, dessen Mittelschule Heuchelhof eine Inklusionsschule ist. "Wir haben ja etliche Kinder mit Schulbegleiter. Normalerweise sitzt der direkt neben dem Kind, guckt mit ihm ins Buch, ins Heft. Ist direkt neben dem Kind. Wie soll das jetzt gehen?" Noch problematischer ist aus Gintschels Sicht die Beschulung eines Kindes, das aufgrund seiner Behinderung als "Hochrisikopatient" gelten muss. "Kann ich das überhaupt riskieren, so ein Kind zu beschulen?"
Dass die körpernahe Beschulung beeinträchtiger Kinder auch unter Corona funktionieren kann, weiß Schulleiterin Sibylle Herrmann, die die St. Kilian-Schule in Marktheidenfeld leitet, ein sozialpädagogisches Förderzentrum. "Wir haben uns Plexiglas-Scheiben angeschafft, die erlauben, dass eine Lehrkraft nah am Kind sitzt und zum Beispiel in sein Heft schauen kann." Herrmann verweist bei der Beschulung behinderter Kinder auf ein geltendes, alternatives Hygiene-Konzept für Heil- und Tagesstätten, das es erlaube, auch mal ein "Kind zum Trösten auf den Schoß zu nehmen oder es zu wickeln".
Vierte Sorge: Organisatorische Herausforderung
Sibylle Herrmann, die Leiterin des sozialpädagogischen Förderzentrums, hat es als Herausforderung erlebt, sicherzustellen, dass während des Lockdowns das Lernmaterial zum Kind kam. Manche behinderte und junge Kinder bräuchten Material zum Anfassen; über den Computer gehe da nichts. Weshalb die Schulleitung nicht virtuelle, sondern reale Lernpakete schnüren ließ, die entweder in der Schule abgeholt werden mussten und teilweise sogar den Eltern vor die Haustür gefahren wurden. "Wir haben das bearbeitete Material sogar wieder abgeholt", sagt Herrmann. Sie hält es für sehr wichtig, für den Herbst und für den Fall einer neuen Welle sicherzustellen, dass zu den Eltern ihrer behinderten Kinder "sehr viele Kommunikationskanäle" offen sind, von Direktzustellung von Paketen über Videochats über Telefonberatung". Im Moment bitte man alle Eltern, sich eine Mail-Adresse zuzulegen und diese auch zu kommunizieren.
Fünfte Sorge: Diskrepanz zwischen Hygiene-Konzept und Realität
Unterfrankens Schüler sind einerseits gehalten, sich an die strengen Hygiene-Konzepte in der Schule zu halten. Sie erleben andererseits dann, wenn sie das Schultor passiert haben, dass sich draußen auf der Straße Passanten ohne Mundschutz ganz nahe kommen oder sich Fußball-Fans umarmen. "Die Kinder leben in zwei Welten, die nicht zusammenpassen", sagt der Schweinfurter Schulleiter Tomi Neckov. Er hält es für eine große Herausforderung, die Kinder zur Einhaltung der Corona-Regeln zu motivieren, während draußen erwachsene Menschen auf diese Regeln pfeifen.
"...Unterfrankens Schüler sind einerseits gehalten, sich an die strengen Hygiene-Konzepte in der Schule zu halten. Sie erleben andererseits dann, wenn sie das Schultor passiert haben, dass sich draußen auf der Straße Passanten ohne Mundschutz ganz nahe kommen oder sich Fußball-Fans umarmen....