
Kristina Jordan fährt ihren Laptop hoch, sie richtet ihre Kamera ein und platziert das große Raummikrofon auf einem extra Tisch. Im Musiksaal des Würzburger Röntgen-Gymnasiums beginnt gleich der Englisch-Unterricht der 6b. Ein Teil der Klasse ist anwesend und hat Präsenzunterricht, die restlichen Schüler sind über einen Computer oder ihr Handy von zu Hause aus zugeschaltet. Die Englischlehrerin streamt ihren Unterricht. Die Teilnahme ist für die Kinder zu Hause freiwillig. "Aber die Teilnehmerquote liegt bei fast 100 Prozent", sagt Jordan.
Während viele Lehrer beim Homeschooling weiter nur Arbeitsblätter an ihre Schüler verteilten, hat Kristina Jordan gleich nach den Osterferien mit dem digitalen Unterricht begonnen. Davor hat sie stundenlang abends rumgetüftelt, bis ihre erste Video-Unterrichtsstunde fertig war. "Die Schüler waren sofort begeistert. Sie haben sich gefreut, sich gegenseitig zu hören", erzählt die Lehrerin. Unterricht und Homeschooling finden am Röntgen-Gymnasium im wöchentlichen Wechsel statt. Jordan muss ihre Stunden aber nicht doppelt halten, weil die Kinder ja auch von daheim aus zugeschaltet sind.

Mittels Livestream wird nur das Bild der Lehrerin und das Tafelbild übertragen, die Schüler haben ihre Kameras aus und sehen sich nicht. "Aber sie hören alles - und das ist ja gerade beim Sprachunterricht wichtig." Und: Über die Konferenzschaltung können die Kinder auch von zu Hause aus Fragen stellen und sie werden aufgerufen, um die Fragen der Lehrerin zu beantworten.
So wie die Schüler von Kristina Jordan erlebten nur wenige Schüler den Unterricht zu Hause. Die meisten Schulen stellten lediglich Arbeitsblätter und Aufgaben zum Herunterladen und selbstständig Durcharbeiten auf digitalen Plattformen zur Verfügung.
Acht Prozent der Grund- und Mittelschulen in Würzburg nutzten Videokonferenzen
Eine Umfrage im Auftrag des gemeinsamen Elternbeirates Grund- und Mittelschulen Stadt Würzburg, durchgeführt von dem Vorsitzenden Thomas Ort, an der sich 727 Eltern beteiligt haben, zeigt, dass etwa 70 Prozent der Lehrer ihre Aufgaben einmal pro Woche per Mail verschickten. Etwa 20 Prozent der Schüler erhielten die Aufgaben über ein Schulportal. Ein Austausch von Schülern und Lehrern fand bei 39 Prozent nur manchmal statt. 27 Prozent gaben an, dass sie gar keinen Kontakt zum Lehrer hatten. Nur acht Prozent aller Grund- und Mittelschulen in Würzburg nutzten laut dieser Umfrage Videokonferenzen für den Unterricht.
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Für das neue Schuljahr bereitet Bayern nach Angaben des Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler) zwar den Regelbetrieb unter Hygiene-Auflagen vor und will wieder für alle Schüler täglichen Präsenzunterricht anbieten, aber nur wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. Experten rechnen damit, dass es immer wieder zu vorübergehenden Schulschließungen kommen kann oder dass die Mischung aus Präsenzunterricht und Homeschooling zumindest teilweise erhalten bleiben wird.
Und was ist mit dem Datenschutz?
Digitaler Unterricht ist in Deutschland immer noch neu und ungewohnt. "Viele Lehrer haben Angst vor der Technik", sagt Chan-jo Jun, Fachanwalt für IT-Recht in Würzburg. Für einen guten digitalen Unterricht brauche man keine große technische Ausstattung und auch der Umgang mit der Technik sei erlernbar, erklärt er. "Wenn der Lehrer nur den Ton übertragen möchte, genügt schon ein Handy mit Headset", sagt Jun.
Für mehr Tonqualität empfiehlt er ein externes Mikrophon, dass an den Computer oder Laptop angeschlossen wird. Wer Ton und Tafelbild live überträgt, mache bereits einen guten digitalen Unterricht. "Das hat schon einen Mehrwert für die Schüler, wenn sie den Lehrer und die Klassenkameraden hören können", so Jun.

Allerdings besteht bei einigen die Sorge, dass die Übertragung missbraucht werden könne, dass Lehrer überwacht werden oder dass die Schüler dem digitalen Unterricht nicht folgen können. "Die Sorgen sind nachvollziehbar, aber rechtlich mit Datenschutzerklärungen lösbar, sagt der Anwalt für IT-Recht. "Und daher brauchen wir Erfahrungen von mutigen Lehrkräften, die bereit sind, Neuland zu betreten und über ihre Erfahrungen zu berichten", so Jun. An den Universitäten sei eine Übertragung der Vorlesungen selbstverständlich. "Kein Professor kann es sich leisten, keinen digitalen Unterricht anzubieten." Umso verwunderlicher sei es, dass Lehrer dem immer noch so reserviert gegenüberstehen.
In der Englisch-Stunde ruft Kristina Jordan eine Schülerin auf: "Klara, kannst du uns bitte das Bild beschreiben. Was ist darauf zu sehen?", fragt die Lehrerin eine Schülerin, die den Unterricht von daheim aus verfolgt. "Klara?" Keine Antwort. Nach ein paar Minuten meldet sich ein anderer Schüler über ein Chat-Fenster: "Frau Jordan, wir können Sie gerade nicht hören." Jetzt ist warten angesagt, bis das technische Problem wieder behoben ist und der Unterricht fortgesetzt werden kann. "Es läuft nicht immer alles reibungslos mit der Technik", erklärt die Lehrerin.

"Wenn alle Lehrer ihren Unterricht live übertragen, dann würde unser Netz zusammenbrechen", sagt Wolfgang Weigand. Der Mathe- und Physiklehrer ist zuständig für die IT am Würzburger Röntgen-Gymnasium. Am wichtigsten findet er, dass alle Schüler mit Endgeräten ausgestattet werden. "Es gibt immer noch Schüler, die kein Endgerät haben. Das ist ein großes Problem", erzählt Weigand. Er hofft, dass ab September für alle Schüler, die es brauchen, ein Leihgerät zur Verfügung stehen wird.
Große Unterschiede in Sachen Bildungsgerechtigkeit
Am Friedrich-Rückert-Gymnasium in Ebern (Lkr. Haßberge) nutzt der Geschichts- und Englischlehrer Christian Langer "Microsoft Teams" zur Kommunikation mit den Schülern. "Das war ein ganz wichtiger Schritt, denn den direkten Kontakt zu Schülern kann keine interaktive Übung und kein Lernvideo ersetzen", so Langer. Mit dem Konferenz-Tool können direkt Fragen und Probleme geklärt und Unterrichtsinhalte erklärt und eingeführt werden.
Doch auch Langer gibt zu, dass die Technik selbst das größte Problem des Online-Unterrichts ist. "Wir haben bereits große Unterschiede in unserem Land was die Bildungsgerechtigkeit angeht. Wenn wir dieser schon existierenden Ungleichheit noch die Komponente der technischen Ausstattung hinzufügen, werden wir die Chancengleichheit unserer Kinder und Jugendlichen noch weiter zunichte machen", sagt er.

Es gebe klare Vorgaben für den Distanzunterricht, sagt Zoran Gojic, stellvertretender Pressesprecher
im bayerischen Kultusministerium. "In jeden Fall ist regelmäßiger Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern - zum Beispiel durch Video-Sprechstunden - wichtig, um sie anzuleiten, neuen Stoff zu vermitteln und Lernstände zu spiegeln."
Warum das in den vergangenen Monaten oft nicht geklappt hat, kann der Pressesprecher nicht erklären. Er sagt: "Digitale Technologien eröffnen zahlreiche didaktische und methodische Möglichkeiten - Kollaboration, Videochat etc. - und können dazu genutzt werden, Aufgaben zu stellen, individuelles Feedback zu geben sowie das stark eingeschränkte soziale Miteinander in der Klasse im virtuellen Raum zu fördern."
Es hängt viel von der Initiative einzelner Lehrer ab
Wie kann es gelingen, das diese digitalen Technologien dann auch wirklich zum Einsatz kommen? "Hier ist noch zu viel von der Initiative, Motivation und Bereitschaft Einzelner geprägt", sagt Jörg Nellen, Geschäftsführer der unterfränkischen Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft". Durch systematische Fortbildungen müssten auch Synergie-Effekte genutzt werden. Zurzeit würde jeder seinen eigenen Weg durchs weltweite Netz finden, statt zusammen zu marschieren und voneinander zu profitieren.
"Ich kenne nur Pädagogen, die sich massiv in die digitale Welt hineingestürzt haben, kaum einer hat bei Null angefangen", so Nellen. "Das digitale Zeitalter hat die Schulen dennoch in eine massive Krise gestürzt. Doch aus jeder Krise erwachsen Chancen, sich weiter zu entwickeln, aus Fehlern zu lernen und Gelingensfaktoren zu stärken."