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Würzburg
Bundestagswahl 2021: Was sich in der Pflege dringend ändern muss
Personalmangel, Bürokratie, Finanzierung: Juliusspital-Stationsleiterin Petra Budig erwartet von der Politik Veränderungen – was sechs Kandidatinnen und Kandidaten dazu sagen.
Petra Budig, Stationsleitung in der neurologischen Frührehabilitation im Juliusspital Klinikum Würzburg Mitte (KWM).
Foto: Thomas Obermeier | Petra Budig, Stationsleitung in der neurologischen Frührehabilitation im Juliusspital Klinikum Würzburg Mitte (KWM).
Julia Back
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:11 Uhr

Die Wählerin hat das Wort: Am 26. September ist Bundestagswahl – doch welche Änderungen erwarten sich die Menschen in Stadt und Landkreis Würzburg danach von der Politik? In einer Serie stellen wir Wählerinnen und Wähler aus verschiedenen Bereichen in den Mittelpunkt. Sie schildern, wo es hakt und was sich ihrer Meinung nach dringend ändern muss. Antwort bekommen diese von den Direktkandidatinnen und Direktkandidaten der sechs im Bundes- und Landtag vertretenen Parteien aus dem Wahlkreis Würzburg.

Die Wählerin hat das Wort: Petra Budig

"Ich bin seit über 40 Jahren Krankenschwester und ich mache meinen Beruf sehr gerne. Er ist anspruchsvoll, erfüllend und vielseitig. Unser Berufsbild umfasst ein großes Spektrum und hat sehr gute Weiterbildungsmöglichkeiten, auch der Verdienst ist nicht unattraktiv.

Wahr ist aber auch: Die Pflege ist am Limit.

Unser größtes Problem ist der Personalmangel und die Gewinnung von Pflegekräften. Eine besondere Herausforderung besteht darin, Pflegeschülerinnen und -schüler nach Abschluss der Ausbildung im Beruf zu halten.

Work-Life-Balance ist wichtig

Natürlich spielen Bezahlung und Pflegeschlüssel eine Rolle, aber vor allem geht es um ausgewogene Arbeitszeiten. Work-Life-Balance ist besonders für Pflegekräfte sehr wichtig. Es braucht eine Garantie des Freizeitausgleichs, der im Moment nicht sicher planbar ist, weil es wegen der angespannten Personalsituation keinerlei Reserven gibt. Man müsste sehr schnell sehr viele zusätzliche Pflegekräfte gewinnen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dafür sollte das Berufsbild, auch in der gesellschaftlichen Wertschätzung, massiv aufgewertet werden, damit die Pflege wieder attraktiv wird für Pflegeschüler oder auch für ausgebildete Kräfte, die in den letzten Jahren wegen der schlechten Bedingungen scharenweise in andere Berufsfelder abgewandert sind.

Viele Pflegekräfte verlassen auch den Beruf, weil sie den überbordenden Bürokratismus als unerträgliche Last empfinden. Die ständig zunehmende Verwaltungsarbeit raubt uns Zeit, die uns dann beim Patienten fehlt. Unsere Aufgabe ist die Versorgung und Pflege, wir kümmern uns um das Wohlbefinden und nehmen Ängste. Und das kommt zu kurz.

Das Gesundheitssystem muss belastungsfähig bleiben

Auch die Finanzierung der medizinischen Versorgung muss sicher sein. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die zur Daseinsvorsorge gehört, und die staatlich abgesichert werden muss. Wir haben es gerade erlebt, wie es ist, wenn in einer pandemischen Lage keinerlei Reserven mehr da sind. Ein belastungsfähiges Gesundheitssystem vorzuhalten, muss absolute Priorität haben.

Wir alle werden mal krank, und jeder wünscht sich die beste Versorgung. Dafür müssen genug Pflegekräfte da sein. Aber das wird nicht umsonst zu haben sein, und ein abendlicher Applaus vom Balkon wird nicht genügen. Der Gesellschaft muss bewusst werden: Wir werden gebraucht!"

Petra Budig (60), Stationsleitung in der neurologischen Frührehabilitation, Schwerpunkt Schädel-Hirn-Verletzte, im Juliusspital Klinikum Würzburg Mitte (KWM), arbeitet seit 1979 in dem Beruf. Auf ihrer Station werden Patienten mit schwersten Einschränkungen der Wahrnehmung und des Bewusstseins sowie körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen versorgt.

Das sagen die sechs Würzburger Direktkandidatinnen und Direktkandidaten der im Bundes- und Landtag vertretenen Parteien zu Budigs Aussagen und dem Thema Gesundheit:

Andrew Ullmann (FDP): "In die Ausbildung eines attraktiven und zukunftsorientierten Berufes investieren"

Der Würzburger Andrew Ullmann (58) will auch nach der Wahl im September wieder für die FDP in den Bundestag einziehen.
Foto: Patty Varasano | Der Würzburger Andrew Ullmann (58) will auch nach der Wahl im September wieder für die FDP in den Bundestag einziehen.

"Als ich vor fast vier Jahren in den Bundestag gewählt wurde, wurde ich von den Pflegekräften von meiner Station mit den Worten verabschiedet: Bitte vergiss uns nicht. Mir ist sehr bewusst, auch als Arzt: Die machen einen Superjob, arbeiten bis an ihre Leistungsgrenze. Aber Dankesworte reichen nicht.

Wir brauchen mehr Pflegekräfte. In der Pandemie ist dies noch deutlicher geworden. Die Gründe des Pflegenotstands wurden nicht beseitigt.

Hauptursache dieser Probleme im stationären Sektor sind die zu hohen Fallzahlen und zu viele Leistungen, dazu kommt die überbordende Bürokratie und unzureichende Digitalisierung.

Durch die Personaluntergrenzen hat sich die Versorgungssituation verschlechtert. Pflegebereiche kannibalisieren sich gegenseitig. Pflegekräfte werden aus der ambulanten Versorgung in Krankenhäusern abgeworben. Intensivbetten werden wegen der Nichteinhaltung der Personaluntergrenzen geschlossen.

Es gilt, die Grundübel zu beseitigen: Das sind die fehlende Krankenhausstrukturreform, schlechte Finanzierung der Krankenhäuser, fehlende Fachkräfte und fehlende Ausbildungsinitiativen. Wer wirklich eine nachhaltige Gesundheitsversorgung haben will, muss neben einer Krankenhausstrukturreform in die Ausbildung eines attraktiven und zukunftsorientierten Berufes investieren."

Paul Lehrieder (CSU): "Ausschlaggebend ist mehr Personal, das neben einer besseren Bezahlung auch mehr Kompetenzen erhält"

Paul Lehrieder (61) aus Gaukönigshofen will auch im September wieder für die CSU in den Bundestag einziehen.
Foto: Deutscher Bundestag / Inga Haar | Paul Lehrieder (61) aus Gaukönigshofen will auch im September wieder für die CSU in den Bundestag einziehen.

"Das Thema Pflege steht nicht erst seit der Pandemie ganz oben auf unserer politischen Agenda. Applaus und die Corona-Prämie zur Anerkennung der besonderen Leistungen waren zwar wichtige Zeichen, sind aber nicht ausreichend, um Pflegekräfte für den Beruf zu gewinnen oder zu vermeiden, dass sie aufgrund der erheblichen psychischen und körperlichen Herausforderungen in andere Berufe abwandern.

Hier gilt es anzusetzen: ausschlaggebend ist mehr Personal, das neben einer besseren Bezahlung auch mehr Kompetenzen erhält. Zu attraktiven Arbeitsbedingungen gehören neben einer angemessenen und fairen Entlohnung auch die verlässliche Gestaltung der Dienstpläne und Erleichterungen bei der Pflegedokumentation.

Mit dem Pflegepersonalstärkungs- und dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wurden erste Maßnahmen für bessere Rahmenbedingungen und für eine bessere Bezahlung umgesetzt – weitere müssen folgen. Wir setzen uns zudem für eine generelle Schulgeldfreiheit für Gesundheits- und Pflegeberufe ein, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Die Ausbildung in der Pflege wollen wir durch die Einführung einer bundesweiten Vergütung der Azubis in der Pflegefachassistenzausbildung weiter stärken.

Für weiterführende Fragen stehe ich Ihnen gern in einem persönlichen Gespräch zur Verfügung."

Freya Altenhöner (SPD): "Die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens stoppen"

Die Würzburgerin Freya Altenhöner (33) will für die SPD nach der Wahl in den Bundestag einziehen.
Foto: Kathrin Königl | Die Würzburgerin Freya Altenhöner (33) will für die SPD nach der Wahl in den Bundestag einziehen.

"Wir brauchen eine solidarische Finanzierung unseres Gesundheitssystems. Dafür werden wir eine Bürgerversicherung einführen. Wir brauchen massive Investitionen, um unser Gesundheitssystem zu reformieren und zu gewährleisten, dass alle einen guten Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Gesundheit ist keine Ware. Dafür sind gute Arbeitsbedingungen und Löhne in der Pflege eine wichtige Grundlage. Das bedeutet mehr Personal, mehr Urlaub und Ruhezeiten. Damit Pflegekräfte das tun können, weswegen sie den Beruf ergriffen haben. Sich um Menschen zu kümmern.

Wir wollen die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens stoppen. Sie wird weder der Versorgung der Patienten und Patientinnen gerecht, noch sorgt sie für gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Auch die medizinische Versorgung in ländlichen Raum wird so nicht gesichert.

Die Kommunen müssen gestärkt werden, indem man die Errichtung integrierter medizinischer Versorgungszentren unterstützt. Das System der Fallpauschalen werden wir auf den Prüfstand stellen, die Pauschalen überarbeiten und wo nötig abschaffen. Öffentliche Krankenhäuser und integrierte medizinische Versorgungszentren spielen eine zentrale Rolle, um eine flächendeckende medizinische Versorgung zu gewährleisten und müssen entsprechend finanziert werden."

Sebastian Hansen (Bündnis 90/Die Grünen): "35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich"

Sebastian Hansen (26) aus Waldbüttelbrunn will für die Grünen in den Bundestag einziehen.
Foto: Thomas Obermeier | Sebastian Hansen (26) aus Waldbüttelbrunn will für die Grünen in den Bundestag einziehen.

"Pflegekräfte verdienen mehr als nur Applaus, denn sie leisten einen unschätzbaren Beitrag für unsere Gesellschaft. Wir wollen die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern. Es braucht eine verbindliche, bedarfsgerechte Personalbemessung, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und den Abbau von Bürokratie. Zudem wollen wir neue Arbeitszeitmodelle ermöglichen, zum Beispiel die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Wertschätzung drückt sich auch über den Lohn aus – deswegen braucht es gute Tarifverträge und eine Verpflichtung für die Pflegeversicherung, nur noch mit Anbietern zusammenzuarbeiten, die diese auch einhalten. Zudem sollten Pflegekräfte auf Augenhöhe mit Angehörigen anderer Gesundheitsberufe in wichtigen gesundheitspolitischen Gremien wie dem gemeinsamen Bundesausschuss vertreten sein.

Die Pflegeversicherung wollen wir in eine solidarische Bürger und Bürgerinnen-Pflegeversicherung überführen, sodass sich alle mit einkommensabhängigen Beiträgen an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen. Wer pflegebedürftig ist, hat die bestmögliche Pflege und Unterstützung für ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben verdient und sollte dadurch nicht von Armut bedroht sein. Die Eigenanteile an den Pflegekosten wollen wir deswegen schnell senken und deckeln."

Simone Barrientos (Die Linke): "Wir brauchen endlich eine gesetzliche Perso­nalbemessung"

Simone Barrientos (57) aus Ochsenfurt will auch im September wieder für Die Linke in den Bundestag einziehen.
Foto: Linksfraktion / Olaf Krostitz | Simone Barrientos (57) aus Ochsenfurt will auch im September wieder für Die Linke in den Bundestag einziehen.

"Der Pflegenotstand ist unübersehbar und die Coronakrise hat uns vor Augen geführt, dass das Gesundheitssystem falsch organi­siert ist. Schon vor Corona galt als Normalzustand in Krankenhäusern und in der Pflege: Kaum Zeit für Zuwendung, mangelnde Hygiene, mehr Unfälle und sogar vermeidbare Todesfälle. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Perso­nalbemessung für alle Berufe im Kran­kenhaus und in ambulanten und stationä­ren Pflegeeinrichtungen!

Anders ist der reale Bedarf von circa 100 000 Pflegekräften mehr in den Krankenhäusern und weiteren 100 000 Pflege­kräften zusätzlich in den Pflegeheimen nicht zu decken. Um die vielen Ausgebildeten, die den Beruf verlassen haben, mit attraktiven Arbeitsbedingungen zurück zu gewinnen, muss das Grundgehalt in den sozialen Berufen um 500 Euro angehoben werden!

Ich finde, gerade die Aus- und Fortbildung in Gesundheits- und Pflegeberufen soll gebührenfrei sein und insbesondere die Arbeitsleistung während der Ausbildung muss zusätzlich vergütet werden. Alles andere grenzt an Ausbeutung. Ich trete dafür ein, privatisierte Krankenhäuser wieder in kommunale, öffentliche oder gemeinnützige Hand zurück zu führen. Gewinne aus dem Betrieb von Krankenhäusern und der Pflege dürfen nicht in die Taschen von Eigentümern und Aktionären fließen."

Robert Starosta (Freie Wähler): "Was ich fordere ist eine Wertschätzung und Attraktivität der Pflegeberufe"

Robert Starosta (51) aus Würzburg will für die Freien Wähler in den Bundestag einziehen.
Foto: Fabian Gebert | Robert Starosta (51) aus Würzburg will für die Freien Wähler in den Bundestag einziehen.

"Das Thema Pflege in Deutschland ist in dem vergangenen Jahr der grassierenden Corona-Pandemie oft behandelt worden. Pflegekräfte in Krankenhäusern, die am Limit arbeiten, wurden in der medialen Berichterstattung häufig thematisiert. Die Bundesregierung hat im Schnellverfahren eine der wichtigsten sozialpolitischen Weichenstellungen der Gegenwart beerdigt und übrig geblieben ist aus Sicht der Freien Wähler lediglich ein Reförmchen.

Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, ist von der Pflegereform also eher enttäuscht und hatte sich mehr versprochen. Keine nennenswerten Leistungsverbesserungen, keine spürbare Verringerung des Armutsrisikos durch die eigene Pflegebedürftigkeit und zweifelhafte Regelungen zur besseren Bezahlung von Pflegenden: Das sind die wesentlichen Kritikpunkte. Was ich fordere, ist eine Wertschätzung und Attraktivität der Pflegeberufe. Pflege war schon immer systemrelevant!

Die Bezahlung der Pflegefachpersonen und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit müss­en sich verbessern, fordern wir. Ihre Kompetenzen müssen für das gesamte Gesundheits- und Pflegesystem genutzt werden. Benötigt wird auch eine neue Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe. Ich wünsche mir, dass die Arbeit der Pflegenden endlich so gewürdigt und honoriert wird, wie es sich für einen professionellen Beruf gehört."

 
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