Im Alter möglichst lange im Kreis der Familie bleiben, in den vertrauten vier Wänden – das ist für viele Menschen die Wunschvorstellung. Doch nicht immer können die Angehörigen die Betreuung übernehmen. Oft wird so plötzlich ein Pflegeheim zum Zuhause.
Doch wie geht es den Bewohnerinnen und Bewohnern damit? Fühlen sie sich abgeschoben oder aufgehoben? Und reicht ihre Rente zum Leben dort aus? Zwei Senioren und eine Seniorin aus Würzburg erzählen.
1. Michael Lieb (64): "Es fiel mir nicht leicht, aber das Heim war die beste Lösung"
Michael Lieb ist 64 Jahre alt und lebt im Bischof-Scheele-Haus am Würzburger Heuchelhof. Die Einrichtung der Caritas wurde erst im Sommer 2021 eröffnet und bietet 77 stationäre Pflegeplätze, Tagespflege und betreutes Wohnen. Von außen wirken die Gebäude eher wie ein Hotel, hell, modern, große Fenster, ein Café im Innenhof. Michael Lieb allerdings hat das noch nie gesehen. Er ist von Geburt an blind. Der 64-Jährige sagt offen, dass er nie im Heim leben wollte. Trotzdem hadert er nicht, lacht viel. Es sind Kleinigkeiten, die ihn glücklich machen.
"Ich lebe mit meiner 95-jährigen Mutter seit etwa einem Jahr im Bischof-Scheele-Haus. Anfangs war sie nicht begeistert, immerhin haben wir über 50 Jahre in der Sanderau in einer Drei-Zimmer-Wohnung gewohnt. Es fiel nicht leicht, das aufzugeben. Ich habe immer gedacht, ich bleibe bis zum Schluss zuhause – aber irgendwann ging es nicht mehr.
Meine Mutter hat sich immer um mich gekümmert, denn ich bin blind. Nach der Mittleren Reife habe ich eine Ausbildung zur Schreibkraft und im Telefondienst gemacht und dann bei verschiedenen Unternehmen gearbeitet. Bis 2009. Da bekam ich die Diagnose Krebs. Ich wurde erfolgreich operiert, aber meine Blase machte seitdem Probleme. Es war eine schwere Zeit.
Nach einer weiteren Operation 2022 riet man mir zu einer Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim. Die Wahl traf das Bischof-Scheele-Haus und das war ein Glücksfall. Oder Gottes Fügung.
Im Nebenzimmer wohnt seine 95-jährige Mutter, die sich ihr Leben lang um ihn gekümmert hat
Es war gut, hier zu leben. Zu Hause wurde es für meine Mutter im hohen Alter langsam doch zu schwierig. Sie ist zwar noch fit, aber ich habe gespürt, dass es für uns der bessere Weg ist, wenn wir unseren Lebensabend hier verbringen. Meine Mutter hat das nach längerem, schwierigem Eingewöhnen angenommen. Es geht ja auch um die Frage, was passiert, wenn sie einmal nicht mehr da ist. Ich bin dann gut aufgehoben.
Hier leben wir im dritten Stock in zwei Zimmern nebeneinander. Von einigen Sachen mussten wir uns beim Umzug leider trennen, aber ich konnte mein Klavier mitnehmen, das steht jetzt im Speiseraum, und die Orgel in der Kapelle. Manchmal begleite ich darauf die Gottesdienste. Und morgen findet das Frühlingsfest statt. Da werde ich auf meinem Akkordeon etwas zum Besten geben. Dann singen wir Lieder, trinken Kaffee, essen Kuchen und es werden Gedichte vorgelesen. Das wird ein wunderschöner Tag.
Normalerweise sieht mein Alltag immer gleich aus. Die Pfleger helfen mir morgens, wo es nötig ist. Dann gehe ich zum Frühstück in unseren Gemeinschaftsraum. Leider kann ich mich nur mit wenigen Leuten aus unserer Wohngruppe unterhalten, da zum Teil sehr pflegebedürftige Menschen dabei sind. Aber mit den Betreuern und Pflegern rede ich gerne, das gesamte Personal ist sehr nett. Vormittags und nachmittags gibt es meist Angebote wie Basteln, Gymnastik, Gedächtnistraining oder Singen. Zwischendrin lese ich in meinen E-Büchern, mache Musik oder ich spiele mit meiner Mutter.
Alle sechs Wochen nehme ich an einem Literaturkreis teil und einmal pro Woche fahre ich mit dem Taxi in die Sanderau zur Chorprobe, denn seit 2015 singe ich im Valentin-Becker-Chor als Tenor. Die Noten lasse ich mir per E-Mail schicken und schreibe sie mit meiner Schreibmaschine in Brailleschrift ab. Oft ist das gar nicht so einfach. Aber das Singen bedeutet mir viel.
Die Heimkosten sind hoch, viel Geld bleibt nicht übrig
Unser Leben in der Sanderau vermisse ich schon. Aber meine Mutter und ich sind hier voll integriert. Wir gehören sogar beide zum Heimbeirat. Sicher ist es nicht billig und obwohl wir Unterstützung bekommen, haben wir nicht mehr viel Geld. Aber es reicht.
Natürlich gibt es überall etwas zu kritisieren. Ein Problem ist sicher der Pflegemangel, der ist wie in allen Heimen und Kliniken spürbar. Ich versuche auch schon lange, Ehrenamtliche zu finden, die bereit sind, ab und an etwas mit uns zu unternehmen. Alleine kann ich mit meiner Mutter nicht mehr raus.
Eigentlich hatte ich mir immer gewünscht, ich könnte irgendwann meine Mutter pflegen, ihr etwas zurückgeben. Die Ärzte waren jedoch skeptisch, wie ich das als Blinder bewerkstelligen wollte. Nach meiner Operation war klar, das geht nicht – das Heim war die beste Lösung. Jetzt können wir läuten und dann helfen uns die Pfleger. Das ist eine große Erleichterung. Ich bin auf jeden Fall dankbar und zufrieden. Hier habe ich alles, was ich brauche."
2. Edeltraud Müller (93): "Daheim könnte ich nichts mehr machen, das wäre langweilig"
Edeltraud Müller ist 93 Jahre alt und wohnt im Juliusspital Seniorenstift. Die Einrichtung bietet 150 Pflegeplätze und einen Garten mitten in der Stadt. Aus Müllers Fenster im siebten Stock blickt man weit über Würzburg, auf dem Tisch davor stehen riesige Blumensträuße und Geschenkkörbe:
"Ich hatte gerade Geburtstag und meine Mitbewohnerin auch. 93 Jahre alt bin ich geworden und die ganzen Blumen und Geschenke dort auf dem Tisch habe ich bekommen. Das war ein großes Fest. Wissen Sie, hier ist immer etwas los, fast jeden zweiten, dritten Tag. Alles wird gefeiert. Es gibt zum Beispiel ein Frühlingsfest, dann wird das ganze Haus geschmückt, überall in den Fluren. Oder Weihnachten, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Und Fasching, den haben sie ganz groß aufgezogen, da kamen Musikanten und Tanzmariechen und es gab Krapfen, Gebäck und Wein. Da hat nichts gefehlt, es hätte nicht schöner sein können.
Ich lebe seit etwa einem Jahr im Seniorenstift. Zuhause konnte ich nicht mehr bleiben, weil meine Tochter, die sich zuletzt um mich gekümmert hat, selbst an der Hüfte operiert wurde. Es war aber auch vorher schon schwierig, denn sie wohnt in einem Haus am Weinberg mit sehr steilen Treppen. Ich habe mittlerweile sechs Operationen hinter mir, mein Körper ist kaputt, aber mein Geist funktioniert.
Pflegekräfte haben "alle tüchtig zu tun"
Hier fühle ich mich sehr wohl. Es ist wunderbar, das kann ich nicht anders sagen. Das ganze Team, die Pflegekräfte, sind super. Sicher haben sie alle tüchtig zu tun, ich beneide niemanden, der das machen muss – ich weiß selbst, wie es ist. Denn meine andere Tochter hat MS und ich habe sie jahrelang gepflegt. Bis ich selbst nicht mehr konnte. Sie ist jetzt in einem Pflegeheim in Ostthüringen, aber das ist kein Vergleich, wie es da zugeht, das ist schlimm.
Natürlich stehen die Schwestern auch hier unter Stress, die haben keinen Moment Ruhe, sie müssen laufend etwas tun. Aber sie machen es sehr gut. Mir helfen sie frühs aus dem Bett, beim Waschen und Strümpfe anziehen, das kann ich nicht mehr. Tagsüber gibt es fast immer Angebote. Freitags wird zum Beispiel gebacken, da haben sie von meiner Tochter viele Rezepte übernommen. Oder wir spielen oder basteln. Die Herzen da an der Wand, die haben wir ausgeschnitten und den Schmuck im Flur auch.
Mit meiner Mitbewohnerin verstehe ich mich gut, da bin ich froh. Das kann auch anders sein. Bei der Kurzzeitpflege waren manche, die haben nachts die Schränke ausgeräumt und tagsüber geschlafen. Aber hier habe ich Kolleginnen, mit denen ich sehr gut zurechtkomme.
Im Sommer fahre ich oft mit meinem Rollstuhl in den Garten. Und wenn mal nichts ist, mache ich Sudoku, Gedächtnisspiele oder ich trainiere meine Finger, denn manchmal fallen mir Sachen aus der Hand. Aber für die Schwestern nähe ich trotzdem noch die Knöpfe an. Die kommen zu mir, wenn was abgefallen ist.
Die Rente reicht nicht aus, jeden Monat geht ein Teil vom Ersparten ab
Ich bin gelernte Schneiderin und auch mein Mann war Maßschneider. Er ist vor 23 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Einsam bin ich aber nicht. Meine Tochter kommt zwei Mal pro Woche zu Besuch und ich habe drei Enkel und drei Urenkel, die kommen auch ab und an.
Insgesamt habe ich mich gut eingelebt. Sicher ist es kein günstiges Heim. Die Rente reicht nicht aus, jeden Monat geht ein Teil vom Ersparten runter. Aber ich habe noch etwas Geld fürs Privatvergnügen. Und ich muss ehrlich sagen: Hier bin ich gut versorgt. Daheim könnte ich nichts mehr machen, da müsste ich bedient werden – und es wäre langweilig."
Edeltraud Müller wirkt deutlich jünger als 93 Jahre. Sie erzählt gerne, scherzt und lacht. Als es Zeit zum Mittagessen ist, rollt sie energisch mit dem Rollstuhl aus ihrem Zimmer. Schieben lässt sie sich ungern, ein bisschen Eigenständigkeit will sie bewahren.
3. Peter Tischer (60): "Es ist besser, wenn sich jemand um mich kümmert"
Genau wie Peter Tischer. Der 60-Jährige wohnt im AWO Sozialzentrum Jung und Alt in Heidingsfeld. In der Einrichtung gibt es unter anderem 63 stationäre Pflegeplätze, betreutes Wohnen und ein Wohnheim für psychisch beeinträchtigte ältere Menschen. Durch die offene Balkontür scheint die Sonne in Peter Tischers Zimmer, unzählige CDs stapeln sich in den Regalen, die Musik dominiert den Raum:
"Bis Juni 2021 habe ich in Eisingen in einer Wohnung gelebt – aber als mir gekündigt wurde, hat meine Betreuern hier ein Zuhause für mich gefunden. Es ist besser, wenn sich jemand um mich kümmert. Familie habe ich keine.
Meine Wohnung vermisse ich eigentlich nicht, aber ich musste einige Sachen weggeben, leider auch einen Teil meiner CD-Sammlung. Jetzt habe ich nur noch um die 1000 CDs. Und ich spiele selbst Akkordeon. Wenn es sich ergibt, bei Festen zum Beispiel, spiele ich hier für die anderen Bewohner ein paar Lieder. Aber manchmal ist das schwierig, weil ich etwas langsamer spiele und dann singen sie zu schnell für mich.
Bingo, Schafkopf-Runde und Fußball-Abend mit Freunden
Ich habe an der Fachhochschule BWL studiert und in der Verwaltung gearbeitet. Seit August bin ich in Rente. Was mir hier gut gefällt, ist das Freizeitprogramm. Heute früh habe ich schon Gymnastik gemacht und nachher gehe ich zur Entspannung.
Mein Tag beginnt um halb acht, da werde ich von der Schwester oder dem Pfleger geweckt. Waschen kann ich mich selbst, beim Duschen helfen sie mir. Vormittags und nachmittags wird dann etwas angeboten, zum Beispiel Bingo. Da kann man Schokoladentäfelchen gewinnen. Und wir haben sogar eine feste Schafkopf-Runde.
Fasching wurde auch groß gefeiert. Ich bin ein richtiger Faschingsfan und habe mir extra ein neues Kostüm gekauft. Manchmal grillen wir auch oder im Sommer gibt es Eiskaffee, so ist immer etwas los. Und wenn nicht, ist man schnell mit dem Bus oder der Straßenbahn in der Stadt. Da treffe ich mich öfter in einer Bar mit ein paar Freunden. Auch heute Abend, dann schauen wir zusammen Fußball. Darauf freue ich mich schon."
Oder ist es eine Anzeige von Seniorenheimen?