Ungewohnte Klänge erfüllen neuerdings die Unterrichtsräume am Berufsförderungswerk (BFW) Würzburg. Aus dem Bildungszentrum für sehbehinderte Menschen hört man Pianospiel, Gesang, rhythmisches Klatschen und Gitarren. Was geht her vor? Es geht um die Braille-Musiknotation, also Noten in Blindenschrift.
Das komplexe Prinzip der Punktschriftnoten gibt es schon lange. Genau genommen seit 1830, als Louis Braille, der Entwickler der Blindenschrift, der an diesem Samstag, 4. Januar, 205 Jahre alt geworden wäre, zusätzlich die Braille-Musiknoten ersann. Der Franzose war Organist und entwickelte aus den sechs Punkten der normalen Brailleschrift ein ganzes Musiknotensystem. Fünf blinde Teilnehmer des BFW haben sich im Rahmen der individuellen Unterrichtsangebote in den Kopf gesetzt, sich zusätzlich zur Punktschrift auch die Notenpunktschrift anzueignen.
Das „Geheimnis“ hinter den Noten ist einfach: Braille-Noten werden – wie die Buchstaben in der Schriftsprache – Zeichen für Zeichen nacheinander notiert. Dadurch passen sie die Musik perfekt dem Lesen mit dem Finger an. So bieten Braille-Musiknoten blinden Menschen die Möglichkeit, selbstständig und international standardisiert Noten zu lernen und zu schreiben.
Dieser Gedanke leitete auch, so heißt es in einer Pressemitteilung, fünf Teilnehmer des BFW Würzburg bei ihrem Wunsch, mehr über die Notenpunktschrift zu erfahren. EDV-Lehrer Ulrich van Aaken, der Schulmusik studiert hat und die Punktschrift beherrscht, bringt den Musik-Interessierten das Thema jeden Dienstagnachmittag näher.
Die Gründe der Teilnehmer, sich in dem neuen Kurs zu engagieren, sind vielfältig: Da gibt es den begeisterten Chorsänger mit einer ausgebildeten Stimme, der sich von „Vorsingkräften“ unabhängig machen möchte, um alleine seine Chorstimme einzustudieren und die Partitur zu lesen. Ein anderer Teilnehmer spielt Gitarre und möchte sich selbstständig ein neues Repertoire erarbeiten. Andere haben einfach Gefallen an dem Braille-Musiksystem gefunden und möchten ihre Kenntnisse vertiefen.
Allerdings ist es kaum möglich, mittels Braille-Musiknoten vom Blatt zu spielen. Schließlich muss eine Hand Zeichen für Zeichen durchgehen, um den Zusammenhang zu erkennen. Zudem braucht man bei den meisten Instrumenten beide Hände zum Spielen. Folglich lernt der blinde Musiker die Noten auswendig, kann aber jederzeit den Notentext selbst nachlesen und ist dabei nicht auf fremde Hilfe angewiesen.
Wenn man die Blindennotenschrift gut beherrschen und anspruchsvollere Stücke spielen möchte, sind die Anforderungen an Konzentration, Gedächtnis, Ausdauer und Vorstellungskraft sehr hoch. „Das ist gerade das Reizvolle und Herausfordernde“, ist Dozent Ulrich van Aaken überzeugt, heißt es in der BFW-Pressemitteilung. Aaken sehe sogar noch einen weiteren Vorteil: „Diese Voraussetzungen kommen den Lernenden, verbunden mit einer absolut präzisen Arbeitsweise, später in jedem Beruf zugute.“
Blinde Menschen arbeiten am Computer – ergänzend zur Braillezeile, die Texte in Punktschrift abbildet – mehr und mehr mit der Sprachausgabe. Die spezielle Software liest beispielsweise längere E-Mails vor. „Bei den Musiknoten funktioniert die Sprachausgabe nicht“, betont van Aaken augenzwinkernd und bricht damit eine Lanze für die klassische Punktschrift. Diese kann seiner Überzeugung nach durch die Sprachausgabe nur ergänzt, aber niemals ersetzt werden.
Aaken ist felsenfest überzeugt: „Das Erlernen der Brailleschrift ist für Blinde die Grundvoraussetzung, um beruflich wieder durchzustarten“, endet die Pressemitteilung.