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Würzburg
16. März: Warum sich Würzburgs wichtigster Gedenktag ändern wird
Das Gedenken und Erinnern an den 16. März 1945 wird in absehbarer Zeit ohne Zeitzeugen stattfinden. Das wird Würzburgs wichtigsten Gedenktag verändern.
Innenstadt       -  Nach dem Bombenangriff am 16. März 1945 war Würzburg nur noch ein Trümmerfeld. Die historische Altstadt wurde fast völlig zerstört.
Foto: Archiv Dürrnagel | Nach dem Bombenangriff am 16. März 1945 war Würzburg nur noch ein Trümmerfeld. Die historische Altstadt wurde fast völlig zerstört.
Karl-Georg Rötter
Karl-Georg Rötter
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:15 Uhr

Freitag, 16. März 1945 – ältere Würzburger wissen bei diesem Datum sofort Bescheid: Es war der dunkelste Tag in der Geschichte der Stadt. Der Tag als am Abend Bomber der britischen Royal Air Force kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs einen verheerenden Angriff auf Würzburg flogen und die Stadt dabei mit 300.000 Stabbrandbomben nahezu vollständig zerstörten. Das ist jetzt 75 Jahre her.

Jüngere Menschen, die nur das Würzburg von heute kennen, können sich kaum vorstellen, dass die Stadt damals ein einziges Trümmerfeld war. Noch leben einige Zeitzeugen, die den Angriff miterlebt haben und darüber berichten können. Doch sie werden von Jahr zu Jahr weniger. Und damit werden sich auch Form und Inhalt von Würzburgs wichtigstem Gedenk- und Erinnerungstags verändern.

  • Lesen Sie auch: Fotoprojekt zum 16. März: Würzburg nach der Zerstörung und heute

Der Luftangriff war weder Zufall nach Terror

In den vergangenen Jahren ist in dieser Hinsicht schon eine ganze Menge geschehen durch Projekte wie "Stolpersteine", "Wir wollen uns erinnern" oder den "Dialog Würzburger Erinnerungskultur". Insbesondere aber dadurch, dass sich nunmehr die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass der Angriff auf die Stadt kein Zufall war und dass es eine Legenden ist, dass Würzburg deswegen zum Angriffsziel der Alliierten wurde, weil kurz zuvor Heidingsfeld eingemeindet wurde und die Stadt dadurch mit über 100.000 Einwohnern als Großstadt zählte. Und heute würde auch kaum noch jemand - von ein paar ewig gestrigen Geschichtsleugnern abgesehen - auf die Idee kommen, dass die Zerstörung Würzburgs bloßer Terror war.

Würzburg war keine "unschuldige" Stadt

Würzburg war während der Nazi-Diktatur des Dritten Reichs eben keine "unschuldige" Stadt.  Mit Gauleiter Otto Hellmuth stand hier ein Mann an der Spitze, der Adolf Hitler treu ergeben war. Noch nach der Zerstörung der Stadt am 16. März 1945 rief er zum völlig aussichtslosen Kampf gegen die amerikanischen Truppen auf, die sich im April aufmachten, Würzburg einzunehmen. Er jagte Soldaten in den sinnlosen Tod. Die "Schlacht um Würzburg" forderte 1000 militärische und 300 zivile Opfer.

An der Uniklinik war mit Professor Werner Heyde ein Psychiater am Werk, der die Grundlagen für das grauenhafte Euthanasie-Programm der Nazis legte. Und die Gestapo unterhielt im Würzburger Stadtteil Frauenland ein Notgefängnis für Zwangsarbeiter.

Alljährlich kommen am 16. März mehrere hundert Menschen vor den Kiliansdom, um dort zum Zeitpunkt des Bombenangriffs dem Mahnläuten der Würzburger Kirchenglocken zuzuhören.
Foto: Johannes Kiefer | Alljährlich kommen am 16. März mehrere hundert Menschen vor den Kiliansdom, um dort zum Zeitpunkt des Bombenangriffs dem Mahnläuten der Würzburger Kirchenglocken zuzuhören.

Schon 1933 fanden auf dem Residenzplatz Bücherverbrennungen statt und zwischen 1941 und 1944 wurden bei sechs Deportationen rund 2000 mainfränkische Juden von Würzburg aus in die Todeslager geschickt. Es gab in der Stadt einen Militärflugplatz und 1938 wurde hier die 4. Panzerdivison aufgestellt, die 1939 an der Invasion in Polen beteiligt war, die den Zweiten Weltkrieg auslöste.

All dies gilt es im Blick zu haben, wenn auch in Zukunft die Erinnerung an den 16. März wach gehalten werden soll.

Die Erinnerung und das Gedenken an den 16. März werden in Zukunft wohl weniger von der individuellen Betroffenheit über die Zerstörung einer geliebten Stadt und der Trauer über rund 3600 Menschen, die bei dem Angriff ihr Leben ließen, geprägt sein - auch wenn diese selbstverständlich weiterhin ihre Berechtigung haben. Das Ereignis des 16. März 1945 ist inzwischen Geschichte und muss als solche verstanden werden. Das bedeutet, dass man es vor allem den Nachgeborenen vermitteln muss, um die Erinnerung und die damit verbundenen Botschaften am Leben zu erhalten. Denn: Wer seine Vergangenheit nicht kennt, wird auch Gegenwart und Zukunft nicht verstehen. Das gilt heutzutage mehr denn je. In Zeiten, in denen Antisemitismus und Rassismus, Hass und Hetze wieder Oberhand gewinnen, scheint es wichtiger denn je, an historischen Beispielen aufzuzeigen, wohin dies führen kann.

Ohne Zeitzeugen brauchen wir neue Darstellungsformen 

Bislang konnten Zeitzeugen anhand ihrer persönlichen Erlebnisse den historischen Ereignissen eine emotionale Komponente verleihen. Mit den Zeitzeugen verschwinden aber nicht die Ereignisse, über die sie jahrzehntelang aus erster Hand berichtet haben. Das bedeutet, dass für die Zukunft ohne Zeitzeugen neue Darstellungsmethoden gefunden werden müssen.

Ideal wäre dafür ein ganzjährig geöffneter und zentral gelegener innerstädtischer Ort, der auch in einem Bedeutungszusammenhang mit dem 16. März steht. Dort könnte ein „(Ge)Denklabor“ entstehen, das sowohl eine Erinnerungsfunktion besitzt, als auch ein Ort ist, an dem man sich mit dem Ereignis auseinandersetzen kann. Man könnte dort etwa Filmaufnahmen mit Zeitzeugen-Interviews zeigen, eine Bibliothek und Arbeitsräume einrichten. Dieses Labor sollte keinen musealen Charakter haben, könnte gleichwohl aber für kleinere Ausstellungen genutzt werden. Auch Gegenstände, die in direkter Verbindung zur Bombennacht stehen, könnten dort ausgestellt werden. Vor allem sollte das „(Ge)Denklabor“ für Schulklassen zur Verfügung stehen, um junge Menschen für das Thema zu sensibilisieren.

Auch mehrere Künstler haben sich mit dem 16. März auseinandergesetzt. Am Bekanntesten ist das Gemälde 'Würzburger Totentanz' von Wolfgang Lenz.
Foto: Kulturspeicher | Auch mehrere Künstler haben sich mit dem 16. März auseinandergesetzt. Am Bekanntesten ist das Gemälde "Würzburger Totentanz" von Wolfgang Lenz.

Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft wird es auch sein, die vielen in Würzburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund mit dem 16. März und seiner Bedeutung für die Stadt vertraut zu machen. Viele leben schon lange in Würzburg, andere sehen hier eine Perspektive für die Zukunft. Viele haben Diskriminierung, Krieg, Folter, Diktatur, Flucht und Vertreibung erlebt und können so zu den Ereignissen des 16. März einen neuen Aspekt hinzufügen. Sie können aus eigenem Erleben schildern, was Krieg und Verfolgung heute bedeuten. Vorstellbar wären auch Fotoausstellungen mit Bildern aus den aktuellen Kriegsgebieten, denen man Fotografien des zerstörten Würzburg gegenüberstellen könnte. Ein ähnliches Projekt hat Oberbürgermeister Christian Schuchardt kürzlich auch angeregt.

Juden ins Gedenken einbeziehen

Auch die Geschichte des Judentums in Würzburg sollte aus einer erweiterten Betrachtung des 16. März nicht ausgeklammert werden. Denn der Luftangriff auf Würzburg steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Holocaust. Oberbürgermeister Franz Stadelmayer, der von 1949 bis 1956 im Amt war, stellte in seinen Gedenkreden zum 16. März schon damals den Zusammenhang zwischen dem Luftkrieg und der nationalsozialistischen Rassenvernichtungspolitik her. Er gedachte in seinen Ansprachen mehrmals der sechs Millionen ermordeten Juden und forderte dazu auf, nicht nur an das Unheil zu denken, das durch den Krieg über Deutschland hereinbrach, sondern auch an das Leid, das über zahllose andere Völker, vor allem aber über das jüdische Volk, gekommen sei.

Wenn Juden heute darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen, wenn sie auf offener Straße angegriffen und angepöbelt werden, dann läuft etwas falsch in der deutschen Gesellschaft. Dann wurde die Lektion aus der Geschichte nicht verstanden.

Einen eindrucksvollen Überblick über das Ausmaß der Zerstörungen nach dem 16. März 1945 bietet das Stadtmodell des zerbombten Würzburg.
Foto: Museum für Franken | Einen eindrucksvollen Überblick über das Ausmaß der Zerstörungen nach dem 16. März 1945 bietet das Stadtmodell des zerbombten Würzburg.

Würzburg war nicht die einzige Stadt, die kurz vor Kriegsende noch bombardiert worden ist. Vorstellbar wäre es, mit diesen Städten in Kontakt zu treten und sich über künftige Formen der Erinnerungskultur auszutauschen. Man könnte eine solche Zusammenarbeit auch institutionalisieren und beispielsweise ein gemeinsames Symposium organisieren, das sich mit den Fragen der Erinnerungskultur in der heutigen Zeit, aber auch mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen befasst. Zentral sollte immer die Frage im Mittelpunkt stehen, welche Lehren sich aus den Ereignissen der Vergangenheit für die heutige Zeit ziehen lassen. In Würzburg könnte dies ergänzend im Rahmen eines „Tages der Demokratie und Freiheit“ (kurz vor oder nach dem 16. März) geschehen – gemeinsam mit Kulturschaffenden, den Hochschulen, den verschiedenen Akteuren der Erinnerungskultur und allen, die sich für das Thema interessieren.

Gut gerüstet für "neuen" 16. März

Wenn heute jüdische Synagogen angegriffen werden, nationalistisches und völkisches Gedankengut in aller Öffentlichkeit verbreitet wird und ausländische Mitbürger von rechtsradikal Verblendeten ermordet werden, dann ist ein Punkt erreicht, an dem man handeln muss. Dann ist es Zeit, Flagge zu zeigen und das Bekenntnis „Nie wieder!“ auch in die Tat umzusetzen.

In Würzburg gibt es hierfür sehr gute Ansätze. Seit einigen Jahren werden Schulklassen in Projekte der Erinnerungskultur eingebunden. Immer wieder gibt es kulturelle Projekte wie beispielsweise das Stück „Magnolienzeit“ des Mainfranken Theaters. Ganz zu schweigen von den vielen Autoren, die in ihren Büchern die jüngere Würzburger Stadtgeschichte mit all ihren dunklen Flecken aufgearbeitet haben. Und erfreulicherweise kann man beim Mahnläuten am Abend des 16. März auch immer mehr junge Menschen sehen.

Bei allen Neuerungen und Ergänzungen, die in Zukunft wohl kommen werden, wird auf dieser Basis aufbauend der 16. März bleiben, was er war und ist: Der wichtigste Gedenktag der Stadt Würzburg.

 
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  • hessd
    tut mir Leid Herr Rötter, aber Ihren Satz "Und heute würde auch kaum noch jemand - von ein paar ewig gestrigen Geschichtsleugnern abgesehen - auf die Idee kommen, dass die Zerstörung Würzburgs bloßer Terror war." kann ich nicht nachvollziehen. Auch wenn Sie natürlich Recht haben daß es in Würzburg viele Nazi-Verbrecher gegeben hat so kann ich es nicht akzeptieren wie man ein Verbrechen mit einem anderen entschuldigen kann. Ein Mord bleibt ein Mord. Die große Mehrheit der Menschen, die am Ende des Krieges in Würzburg lebten waren Alte, Frauen und Kinder die versuchten ihr tägliches Leben zu organisieren und die beileibe nicht alle das Nazitum guthießen. Wenn man wie ich noch die Möglichkeit hatte mit Menschen zu sprechen, die die damalige Zeit erlebt haben dann weiß man, daß sie keine begeisterten Nazis waren, aber sehr genau wussten dass jeder, der sein Maul aufmachte plötzlich verschwunden war. Wie leicht die Bevölkerung einzuschüchtern ist sieht man doch an der aktuellen Coronakrise.
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  • georgie
    Hi Andy, hier: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Marienkapelle_(Würzburg)
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  • anihe
    Ein sehr eindrücklich und gut geschriebener Artikel, Herr Ritter.
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  • eboehrer@gmx.de
    An Andy 25:
    Sie sollten wieder mal nach Würzburg fahren...
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  • Reinshagen153@t-online.de
    @christel2: las gerade, seit 3 Monaten gibt es eine Gedenktafel - reichlich spät!
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  • Reinshagen153@t-online.de
    Der Untere Marktplatz "verdankt" bekanntlich seine Entstehung dem großen Judenpogrom. Gibt es dort eigentlich eine Gedenkstätte? Vor ca. 10 Jahren wurde in TV Touring WÜ gesagt, dass nachdem Würzburger Bürger die Juden ermordet und ihre Häuser zerstört hatten, wurde der Grundstein der Marienkapelle an einem 16. März gelegt. Stimmt das tatsächlich? Ist das Datum belegt?
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