Ein weißer, leerer Raum. Mitten auf dem Berliner Bebelplatz öffnet sich der Boden. Durch eine Glasscheibe blicken die Passanten auf die Regale einer Bibliothek ohne Bücher. Im Zentrum der deutschen Hauptstadt hat der Israeli Micha Ullman eine beklemmende Erinnerung an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten vor 80 Jahren geschaffen.
Nicht nur am damaligen Berliner Opernplatz brannten am 10. Mai 1933 die Bücher. In mehr als zwanzig deutschen Städten eröffneten die Nazis die Hetzjagd auf Deutschlands Kultur, auf viele der bekanntesten Schriftsteller dieser Jahre und ihre Werke. Die Verfolgung erinnerte an das Mittelalter. Kaum mehr als drei Monate nach dem Machtantritt Adolf Hitlers sollten die Scheiterhaufen deutlich machen: Die „nationalsozialistische Revolution“ würde nicht haltmachen „vor den Tischen, an denen gedichtet und geschrieben wird“, wie es der NS-Autor Hanns Johst wenig später schrieb.
Auch in Würzburg formierten sich Studenten an diesem historischen Tag. Main-Post-Redakteur Roland Flade beschreibt in seinem Buch „Es kann sein, daß wir eine Diktatur brauchen. Rechtsradikalismus und Demokratiefeindschaft in der Weimarer Republik am Beispiel Würzburg“, wie sich gegen 22 Uhr ein Zug von Studenten vor dem „Platzschen Garten“ versammelte – begleitet von einer Musikkapelle und je einer Gruppe der SA und „Stahlhelm“. Auf dem Residenzplatz verbrannte die Studentenschaft dann zahlreiche Bücher, die diese als „rassefremde, marxistische, bolschewistische und sonstige Zersetzungs- und Schundliteratur“ bezeichneten.
Die Bücherverbrennung war der Höhepunkt einer von langer Hand geplanten „Aktion wider den undeutschen Geist“ – aber nicht einmalig in der deutschen Geschichte. Schon 1817 hatten deutsch-nationale Studenten auf ihrem Wartburgfest zur Erinnerung an die „Völkerschlacht“ gegen Napoleons Truppen den „Code Napoléon“ und Werke jüdischer Autoren ins Feuer geschleudert. „Dies war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, schrieb der Dichter Heinrich Heine (1797-1856). Er behielt Recht: Die NS-Bücherverbrennung war das Vorspiel zum Mord an Europas Juden.
Lange vor der offenen Verfolgung hatten es die Nazis auf unliebsame Autoren abgesehen, etwa auf Erich Maria Remarque und seinen Antikriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“. Sie überzogen den Autor mit einer beispiellosen Hetzkampagne, weil die Studenten ihm „literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs“ vorwarfen. In Hamburg verbrannten Studenten 1929 außerdem öffentlich den Versailler Friedensvertrag und die Weimarer Verfassung. Mit der Bücherverbrennung wollte das NS-Regime die Universitäten auf ihre „Blut-und-Boden“-Ideologie einschwören. Studenten und Professoren sollten ihre Loyalität beweisen. Bereits Anfang April 1933 hatte die Deutsche Studentenschaft die Universitäten zur Mobilisierung gegen den „jüdischen Zersetzungsgeist“ aufgerufen. Die Studenten als „geistige SA“: An jeder Hochschule wurden „Kampfausschüsse“ gebildet. Jeder sollte zunächst die eigenen Regale nach „zersetzendem Schrifttum“ durchforsten, Stadt- und Volksbüchereien mussten sich ebenfalls an der Säuberung beteiligen. Der Aufruf traf einen Nerv.
Die jungen Menschen, die um 1930 das Erwachsensenalter erreicht hatten, waren im Ersten Weltkrieg an das Freund-Feind-Denken gewöhnt worden. „Antisemitismus wurde zum Gemeingut der Deutschen“, schreibt der Historiker Götz Aly in seinem Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“
Der Buchhandel unterstützte die Nationalsozialisten tatkräftig bei der Auslese. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels veröffentlichte die Verbotslisten. Anhand solcher Listen bestimmte am 9. Mai der Würzburger „Kampfausschuß wider den undeutschen Geist“, welche Bücher verbrannt werden sollten. Ob die Bücher von Heinrich Mann, Erich Kästner, Arthur Schnitzler, Lion Feuchtwanger oder Sigmund Freud – sie galten als „unsittlich“ und „dekadent“. Der Druck auf die Bibliotheken war immens, die Eskalation wohlüberlegt geplant.
Am 6. Mai inszenierten die Nazis Plünderungen von Büchereien und Buchhandlungen, tausende Bände wurden abtransportiert. Die Würzburger Studentenschaft „säuberte“ an diesem Tag 13 Leihbüchereien systematisch. Daran beteiligt waren Mitglieder des Nationalsozialistischen Studentenbundes, der „Stahlhelm“-Studentengruppe sowie einheimische Schriftsteller. In das Haus der Studentenschaft brachten die Studenten 360 Bücher, 120 weitere wurden für die „Sicherstellung“ vorgemerkt. Die Aktionen liefen deutschlandweit weitgehend nach dem gleichem Muster ab: Im Fackelschein versammelten sich am 10. Mai die Studenten im Stadtzentrum. Die Vernichtung zielte auf die geistigen Grundlagen der von den Nazis verhassten Weimarer Republik. Die Nation sollte beweisen, dass sie sich „innerlich und äußerlich gereinigt hat“, wie es NS-Propagandachef Joseph Goebbels sagte. Alfons Ilg, der Älteste der Würzburger Studentenschaft, sagte damals, dass das deutsche Volk nicht mit „fremdrassigen und marxistischen Schriftstellern gefüttert“ werden darf.
„Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung“, hieß eine der zwölf „Feuersprüche“, unter denen die Menschen die Schriften der Kommunismus-Theoretiker Karl Marx und Karl Kautsky ins Feuer warfen. Auf die Berliner Studenten wartete ein Lastwagen mit etwa 25 000 Büchern. Unter den rund 70 000 Menschen waren Professoren, Mitglieder von Studentenverbindungen, Verbände von SA, SS und Hitler-Jugend. Als am nächsten Morgen die Stadtreinigung kam, blieb von den Büchern nur Asche übrig. Ein Jahr später standen auf „schwarzen Listen“ mehr als 3000 Titel.
Es sei ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen, schrieb Erich Kästner später. Der Würzburger Schriftsteller Leonhard Frank drückte sein Schicksal noch drastischer aus. „Über mich haben die Nazis gesiegt“, notierte er. Mitarbeit Thomas Borgböhmer
Aktuelle Ausstellungen
Zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennungen zeigt eine Sonderausstellung in Nürnberg, was nach den Ereignissen in deutschen Bücherregalen stehen blieb. Im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände stehen in der Ausstellung „WortGewalt. Vom rechten Lesestoff“ Romane, Sachbücher oder Kinderbücher, die den Ansichten der damaligen Machthaber entsprachen. Die Dokumente zeigen, für welche Lebensbereiche die Nationalsozialisten produzierten und welche Ziele sie damit verfolgten. Beispiele belegen die Unlesbarkeit mancher Schriften. Die Ausstellung läuft bis 29. September.
Das Jüdische Museum Berlin präsentiert ebenfalls eine Bibliothek mit Werken, die damals auf dem Scheiterhaufen landeten. Unter dem Titel „Bambi und die Relativitätstheorie“ wird in einer Kabinettsausstellung eine Auswahl der Sammlung George Warburg gezeigt.
Die Staatliche Bibliothek Regensburg will mit dem Evangelischen Bildungswerk und dem Verband der Schriftsteller Ostbayern an die Bücherverbrennung erinnern. Mit den Ereignissen vor 80 Jahren befasst sich heuer eine Sonderausstellung. Text: SAS
ONLINE-TIPP
Auch das Theater in Maßbach hat sich mit dem Thema beschäftigt: www.mainpost.de/zeitgeschehen