Zum 26. Mal werden am Freitag, 5. April, in Würzburg Stolpersteine verlegt. Die Verlegung der 28 Steine steht diesmal überwiegend im Zeichen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die während der Nazi-Diktatur im Gestapo-Notgefängnis in der Friesstraße im Frauenlandinhaftiert waren. Für sie werden am Ort des Gefängnisses 21 Gedenksteine - und erstmals auch eine Stolperschwelle - verlegt. Das Notgefängnis bestand (am Ort der heutigen Franz-Oberthür-Schule) vom 1. September 1942 bis zum 16. März 1945, als es beim Bombenangriff auf Würzburg vollständig abgebrannt ist.
Wie Alexander Kraus in der im März 2015 erschienenen Broschüre der Geschichtswerkstatt "Das Gestapo-Notgefängnis in der Friesstraße" schreibt, diente das Notgefängnis als Strafanstalt für Untersuchungshäftlinge oder Häftlinge in Schutzhaft, für Häftlinge mit kurzfristigen Haftstrafen und als Arbeitslager für Häftlinge im Arbeitseinsatz für die Stadt. Kraus hat sich in jüngster Zeit intensiv mit dem Notgefängnis beschäftigt, da ihm die sogenannten UNRRA-Listen (siehe Infobox) zugänglich gemacht wurden, die zuvor im Stadtarchiv aufgefunden worden waren.
1100 Häftlinge sind namentlich bekannt
In diesen Listen, die für Spruchkammerverfahren gegen Deutsche und deren Umgang mit Zwangsarbeitern angefertigt worden waren, gab es auch Angaben über Häftlinge im Notgefängnis. Eine spezielle Liste enthielt die Namen von 650 Personen, die im Notgefängnis inhaftiert waren. Daraus und aus weiteren Recherchen konnte Alexander Kraus insgesamt 1100 Personen namentlich ermitteln, die im Notgefängnis festgehalten wurden. Eine Gesamtzahl der Häftlinge des Notgefängnisses ist nicht bekannt.
Ein Großteil der Häftlinge im Notgefängnis waren im allgemeinen Sprachgebrauch sogenannte Zivil- oder Fremdarbeiter. Erst nach Kriegsende setzte sich die Bezeichnung Zwangsarbeiter durch. Sie kamen überwiegend aus Polen, der Ukraine, Frankreich, Tschechien, Holland und dem ehemaligen Jugoslawien. Diese Arbeiter wurden - oft auch gegen ihren Willen - nach Deutschland geholt, weil sich dort viele Männer im Krieg befanden und chronischer Arbeitskräftemangel herrschte. Überwiegend handelte es sich um Jugendliche und junge Erwachsene, die im Gastgewerbe, Handel, in der Industrie, der Landwirtschaft und sogar in Privathaushalten beschäftigt wurden. "Die Zwangsarbeit fand direkt vor den Haustüren statt", schreibt dazu Theresa Dietl in einer Pressemitteilung des Initiativkreises "Würzburger Stolpersteine". Insgesamt sollen in Würzburg zwischen 6000 und 9000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Einsatz gewesen sein. Untergebracht waren sie in Barackenlagern und anderen Unterkünften wie Gaststätten, Turnhallen oder Kasernengebäuden im gesamten Stadtgebiet.
Willkürliche Strafen der Gestapo-Justiz
Einmal angekommen, durften sie das Land nicht mehr verlassen. Sie wurden schon wegen geringster Verstöße verhaftet und ins Notgefängnis eingeliefert, wo sie unter menschenunwürdigen Umständen untergebracht waren. Die häufigsten Verstöße, die man ihnen vorwarf, waren Diebstahl (meist von Lebensmitteln), Widerstand gegen Arbeitgeber oder Vorgesetzte, Arbeitsunlust oder -verweigerung und unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz bzw. Flucht. Die Länge der Haftstrafen wurde oft völlig willkürlich festgesetzt. Darüber hinaus war das Notgefängnis auch Abschiebe- und Transitlager für Häftlinge auf dem Weg in ein Konzentrationslager oder eine Hinrichtungsstätte.
Misshandlungen, Erniedrigungen und Schikanen begannen schon mit der Aufnahme im Notgefängnis. Männern und Frauen wurde der Kopf kahl geschoren, zur "Begrüßung" gab es mindestens fünf und bis zu 25 Schläge mit einem Ochsenziemer. Für Häftlinge mit verschärfter Haft wurde eine geschlossene und gesonderte Unterbringung, ein strenges Kontaktverbot zu anderen Gefangenen und je nach Fall auch Einzelhaft und reduzierte Lebensmittelrationen angeordnet. Auch sonst herrschten im Notgefängnis katastrophale Zustände. Die Hygiene war absolut ungenügend. So mussten die Häftlinge während der gesamten Haftzeit die gleiche Kleidung tragen, es gab keine Seife, und in einer einzigen Baracke mussten sich 150 bis 200 Häftlinge fünf Handtücher teilen. Viele Häftlinge wurden durch die Mangelernährung, unmenschliche Lebensbedingungen und die Strapazen der Zwangsarbeit krank. Nur notdürftig wurden sie von einem Gestapo-Arzt behandelt.
173 Transporte in Konzentrationslager
Juristisch waren Zwangsarbeiter absolut rechtlos. Gleichzeitig hatten sie aber auch zahlreiche Pflichten zu erfüllen und Verbote zu beachten, wenn sie nicht straffällig werden wollten. Sie waren jedoch der Allmacht und der Willkür der Gestapo hilf- und schutzlos ausgeliefert. "Der Einsatz von Fremdarbeitern und Kriegsgefangnenen wurde von den meisten deutschen Arbeits- und Dienststellen hemmungslos und rigoros ausgenutzt. Das gilt uneingeschränkt auch für Würzburg", schreibt Alexander Kraus zur diesjährigen Stolperstein-Verlegung.
Nachweisbar wurden aus dem Notgefängnis 173 Personen in Todeslager deportiert. Viele von ihnen haben aber überlebt, weil sie vorzeitig wieder entlassen wurden. Im Notgefängnis selbst sind 13 Todesfälle nachweisbar. Laut Akten und Zeugenaussagen soll es am 16. März 1945 beim Angriff auf Würzburg 122 Tote im Notgefängnis gegeben haben. Das konnte aber bis heute nicht verifiziert werden.
Abschlussveranstaltung in der Oberthür-Schule
Nach der Verlegung der Stolpersteine findet am Abend um 19 Uhr eine Abschlussveranstaltung in der Aula der Franz-Oberthür-Schule statt. Dort referiert Alexander Kraus zum Thema des Abends "Zwangsarbeiter in Würzburg - gebraucht, missbraucht, ermordet". Kraus berichtet über Zwangsarbeit und das Gestapo-Notgefängnis in der Friesstraße. Die künstlerische und musikalische Gestaltung des Abends übernehmen Schülerinnen und Schüler des Matthias-Grünewald-Gymnasiums und der Goethe-Mittelschule sowie die Schulband der FOS/BOS Würzburg. Der Eintritt zu dieser Abschlussveranstaltung ist frei.
Zeitplan der Stolpersteine-Verlegung
Der Zeitplan für die Verlegung der Stolpersteine: Die Verlegung der insgesamt 28 Stolpersteine beginnt um neun Uhr an der Franz-Oberthür-Schule in der Friesstraße. Dort werden 21 Steine verlegt, die an Opfer aus dem Notgefängnis erinnern. Weitere Stationen, an denen an Opfer der Euthanasie und des Judenhasses erinnert wird, sind um 10.45 Uhr in der Semmelstraße 52, um elf Uhr in der Semmelstraße 6, um 11.20 Uhr in der Domerschulstraße 21, um 11.40 Uhr in der Rosengasse 4, um 12 Uhr in der Korngasse 12, um 12.25 Uhr in der Katzengasse 6 sowie um 12.45 Uhr in der Rotkreuzstraße 7.